Ich hatte in den letzten Monaten ein Mädchen im 1. Schuljahr bezüglich des Erstlesens gefördert und konnte mal wieder erleben, wie gravierend sich Raum-Lage-Wahrnehmungsstörungen auswirken. Das Mädchen hat an vielen Stellen Probleme mit der Raumlage und kam insbesondere oft mit der Buchstabenabfolge durcheinander. Zum Glück ist sie eine gute und motivierte Lernerin, so dass sie schöne Fortschritte gemacht hat.
Raum-Lage-Wahrnehmungsstörungen haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten massiv zugenommen. Im Schuljahr 2015/2016 hatten 80% der Erstklässler an 'meiner' Schule Probleme mit Links und Rechts. Ich vermute, viele Kinder bewegen sich heute nicht mehr so wie früher, und das führt zu den entsprechenden Defiziten in ihrer vorschulischen Entwicklung. Nachgelagert nimmt dann auch die schulische Entwicklung potenziell Schaden.
In der Deutschförderung ist die Behebung von Raum-Lage-Wahrnehmungsstörungs-Symptomen sehr aufwendig. Im Fach Mathematik ist die Situation einfacher, was das Doing angeht. Es setzt allerdings ein Umdenken auf Seiten des Lehrenden voraus, und diese Hürde mag gravierend sein. Ich habe jedenfalls lange gebraucht, bis mir diese Dinge klar geworden sind.
Raum-Lage-Wahrnehmungs-Störungen treten in der Grundschulmathematik (neben dem spiegelbildlichen Schreiben von Ziffern) an zwei Stellen auf:
- Vorgänger/Nachfolger-Begriff
- Verwechseln Zehner- und Einer-Position.
Der Vorgänger- und Nachfolger-Begriff
Kinder mit Raum-Lage-Wahrnehmungsstörungen haben Probleme mit dem 'vor' und 'nach'.
Hier gibt es eine einfache Lösung: Man fordert von Kindern, die damit Schwierigkeiten haben, das Beherrschen dieser Begriffe nicht ein!
Wenn die Kinder ab einer vorgegebenen Zahl vor- und rückwärts zählen können, beherrschen sie auch im mathematischen Sinne den Vorgänger-/Nachfolger-Begriff. Dies kann man üben. Die spezifische Raum-Lage-Problematik bleibt dabei außen vor.
Details dazu kann man auf http://www.horst-albrecht.de/schule/math/konzept.html nachlesen.
Die Verwechslung der Zehner- und Einer-Position
Hier liegt das Hauptproblem in der Ziffernfolge-Vorstellung der Zahlsymbole: die 73 wird dabei vorgestellt als die 3 neben der 7. Es ist klar, dass das bei vielen Kindern mit Raum-Lage-Problemen zu Verwechslungen führt. Das kann massive Auswirkungen auf das Erobern der Mathematik des 2. Schuljahrs haben.
Die Problematik ist verringer- bis vermeidbar, wenn man die Kinder vom Ziffernfolgedenken abbringt. Das Ziffernfolgedenken hat auch andere Nachteile, vor allem das ziffernweise Rechnen, was insbesondere bei der Subtraktion zur Übergeneralisierung des Zwerg-Riesen-Prinzips führt (62-38 wird als 68-32 gerechnet).
Unserer Zahlsymbolik liegt das dezimale Stellenwertsystem zugrunde. Dies lässt sich wahlweise über die dezimale Bündelung oder über die dezimale Zahlzerlegung begründen.
In den Grundschul-Lehrwerken quasi omnipräsent ist der Weg über die Bündelung. Das führt im 2. Schuljahr zur Begrifflichkeit der Zehner- und der Einer-Ziffer, also zur Ziffernfolge-Vorstellung.
Günstiger ist der Weg über die Zahlzerlegung. Die 73 ist dann die Zerlegung 70 und 3 (so wie es das Zahlwort ausdrückt). Die ideale Veranschaulichung dieser Vorstellung sind die Zahlenkarten:
Die 42 ist also 'die 2 auf der 40'.
Damit die Kinder sich immer der Zahlzerlegung bewusst sind, lasse ich sie die Zahlen im ZR100 grundsätzlich in Zahlenkarten-Schreibweise schreiben.
Für 42 schreiben sie zunächst 40:
und schreiben dann die 2 in die 0 der 40:
Das Gros der im 2. Schuljahr vermittelten Rechenoperationen basiert zudem auf der Zahlzerlegung, und das bilden die Zahlenkarten bzw. die Zahlenkarten-Schreibweise perfekt ab.
Details findet man auf meiner Webseite.