wird mit dem Matherad gearbeitet. Ich bin allerdings kein Lehrer, sondern quasi ehrenamtlicher Lernbegleiter, d.h. ich nehme die leistungsschwächeren Kinder in Zweierpärchen aus dem Unterriccht und behebe deren Defizite. Ich kann mir deshalb nur ein Urteil über das Arbeitsbuch erlauben, nicht über das Gesamtsystem. Die Arbeitsbücher kenne ich immerhin recht gut.
Ausgesprochen positiv am Arbeitsbuch finde ich, dass es sehr aufgeräumt daherkommt. Unnötiger bis ablenkender Schnickschnack wird praktisch vollständig vermieden,
Negativ empfinde ich, dass manche Themen mit dem Hintergrund der Wissenden dargestellt wird, ohne den Erfahrungshintergrund der Kinder zu beachten.
Ein paar Beispiele aus dem 1. Schuljahr:
Bei einer Aufgabe wird gefragt: Minus oder Ergänzen, was ist leichter für dich? Es wird davor aber nirgends erarbeitet, dass Ergänzen und Subtrahieren dasselbe sind. Es gibt lediglich in der Aufgabe davor ein Rechnen mit Umkehraufgaben, aber das empfinde ich als unzureichend und ist insbesondere inhaltlich ein zwar naheliegendes, aber nicht identisches Thema.
Generell kommt der wichtige Apektt der Teil-Teil-Ganzes-Beziehung von Addieren, Ergänzen und Subtrahieren zu kurz bzw. ist eigentlich gar nicht vorhanden. Beim Addieren werden zwei Teile zu einem Ganzen zusammengefügt, beim Ergänzen und Subtrahieren wird zu einem vorgegebenen ein restlicher Teil zum Ganzen gesucht. Der Aspekt des Hinzufügens bzw. Wegnehmens ist zwar günstig bei der handlungsorientierten Einführung von Addition und Subtraktion, greift insgesamt aber zu kurz. Rechengeschichten wie 'In einer großen Familie gibt es 4 Mädchen und 2 Jungen. Wie viele Kinder sind das?', die nichts mit Hinzufügen zu tun haben, wohl aber mit der Addition, kommen zu kurz.
Den Kindern wird keine sinnvolle Strategie für die Subtraktion im ZR10 vermittelt. In einer früheren Ausgabe des Matherads wurde immerhin mittels Nachbaraufgaben eine Strategie vermittelt, allerdings so unglücklich, dass damit kaum jemand klar kam und 'unsere' Lehrerinnen dieses Kapitel weitgehend ignoriert haben. So gesehen ist es konsequent, jetzt darauf zu verzichten, zumal das ja auch keine universelle Strategie ist. Nunmehr gibt es ausschließlich das Verfahren 'Legen und rechnen', wo die Kinder Plättchen auf einem Zehnerfeld von hinten wegnehmen. Das ist quasi rückwärts zählendes Rechnen! Dabei kann man, vor allem mit WÜrfelbildern im 5+5-Schema, das Subtrahieren/Ergänzen im ZR10 quasi auf einen Blick durchführen, wenn man beachtet, dass man den ersten 5er-Block entweder als Ganzes bestehen lässt oder als Ganzes wegnimmt. Das ist das kleine Pendant zum entscheidenden Tauschaufgaben-Trick, bei der Addition den größeren Summanden immer als ersten Summanden anzusehen. Der Tauschaufgaben-Trick der Addition erfährt im übrigen nicht den großen Stellenwert, den er tatsächlich hat. Es ist der Tauschaufgaben-Trick, der als unverselle Strategie das Addieren für die meisten Aufgaben einfach macht.
Die Rechenfertigkeit des Ergänzens kommt zu kurz bzw. ist eigentlich gar nicht vorhanden, obwohl es eine entscheidende Rechenfertigkeit ist bei der Nutzung des Teilschrittverfahrens für das Rechnen mit Zehnerüberschreitung. Das Teilschrittverfahren ist hier das im Arbeitsbuch favorisierte Verfahren. Zahlzerlegungen werden thematisiert, aber mehr im Sinne von 'Kunst für die Kunst' und nicht als Hinführung zum Ergänzen. Das Ergänzen ist ein Stiefkind des Matherads.
Das Teilschrittverfahren lässt sich übrigens am problemlosesten beim Ergänzen nutzen. Da ist es besonders traurig, dass das Ergänzen beim Matherad keine explizite Thematisierung aufweist. Wenn ich mich frage: 'Wie viel fehlt von 8 bis 14?' ist der Zwischenschritt 'zuerst zur 10' besonders hilfreich. Mir fehlen 2 (die verliebte Zahl zur 8) bis zur 10 und dann noch 4 bis zur 14. Die entsprechende Additionsaufgabe '8 + 6 = __' ist deutlich schwieriger, denn nach dem Zwischenschritt bis zur 10 muss ich mich in einer Nebenrechnung fragen, wie viel ich dann noch addieren muss. Diese Nebenrechnung entfällt beim Ergänzen, und diese Nebenrechnung ist insbesondere eine Ergänzungsaufgabe, die ja gar nicht explizit eingeübt wurde.
Generell weiß man aber z.B. über Studien. dass das Teilschrtittverfahren im 1. Schuljahr kaum genutzt wird.
Das Matherad bietet als Alternative für die Addition die 5er-Bündelung an: 8 + 6 = 5 + 3 +5 + 1 = 10 + 4. Allerdings wäre es gut, dieses Verfahren ausführlicher zu behandeln.
Für die Subtraktion wird der Spezialfall -9 als Nachbaraufgabe zu -10 behandelt. Hier wäre es schön, dies zu einem universellen Verfahren auszubauen: Wenn man eine Zahl abzieht, kann man stattdessen 10 abziehen und das zu viel-Abgezogene addieren. Das zu viel Abgezogene ist die verliebte Zahl zur abzuziehenden Zahl. 14 - 6 = 14 -10 + verliebte Zahl zur 6, also 4 + 4.
Vor einigen Jahren habe ich mir andere Lehrbücher zum Vergleich angesehen. Dabei habe ich festgestellt, dass die Themen, die mir im Matherad-Arbeitsbuch nicht gefallen, oft auch in anderen Lehrbüchern nach meiner Einschätzung verbesserungsfähig sind. So gesehen relativieren sich meine Feststellungen, Auch kann man als Lehrkraft Mängel eines Lehrbuchs auffangen, wenn es auch traurig ist, dass dies nötig ist. Das gilt besonders, wenn eine vollständige Rechenart wie das Ergänzen ohne Unterstützung des Lehrbuchs zu vermitteln und einzuüben ist. Im Fall des Matherads läuft es auch dem zugrundeliegendem Konzept zuwider, nach dem die Kinder ja möglichst selbständig in ihrem eigenen Tempo sich die Themen erarbeiten sollen. Aber vollständig ist das vermutlich ohnehin nicht möglich.