Als Vater zweier schulpflichtiger Kinder habe ich mich in den letzten Tagen etwas mit Schülercommunities beschäftig und - soviel vorweg - ich bin beunruhigt!
Zunächst ein paar Fakten: Ausgehend vom Erfolg der amerikanischen Site facebook hat sich StudiVZ vorgenommen, den deutschen Markt zu erobern. Mit dem Verkauf an Holtzbrinck Anfang 2007 zu wohl 85 Millionen Euro steckt auch ordentlich Kapital dahinter. Und der Erfolg der durchaus rücksichtslos vorgehenden Gründer blieb trotz einiger Skandale (http://www.welt.de/webwelt/article699407/Wie_Deutschlands_heissestes_Start-Up_vor_die_Wand_faehrt.html?print=yes) nicht aus - über drei Millionen Nutzer seien in StudiVZ (bei weniger als zwei Millionen Studiende in D s. http://www.heise.de/newsticker/meldung/94599/from/rss09). Die Strategie von Holtzbrink bringt Herr Urben, Chef von Holtzbrinck Networks, ganz unverblümt zum Ausdruck: "Bei Community-Seiten im Internet kann es immer nur einen großen Anbieter geben. (...) So lange man keine entscheidenden Fehler macht, gibt es für den einzelnen User keinen Grund für einen Wechsel. Denn dann müsste er auch alle seine Freunde zu einem Wechsel bewegen. Wir befinden uns in einem The-Winner-takes-it-all-Markt" (http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,458797,00.html).
Nun kann mir als Vater und ehemaligem Lehrer StudiVZ und das Gruscheln (http://www.youtube.com/watch?v=NSXRF0nOo9M) in demselben relativ wurscht sein - wenn da nicht von denselben Leuten schuelervz ins Leben gerufen worden wäre. Die Leute setzen auf Guerilla-Marketing, schrecken auch nicht vor unerlaubten Methoden (http://www.basicthinking.de/blog/2007/04/24/kocks-hatte-recht/) zurück und haben offensichtlich mit über eine Million Mitgliedern Erfolg. Die GWP media-marketing GmbH (Aufsichtsratsvorsitzender: Stefan von Holtzbrinck) sorgt nun für Werbeeinnahmen und liefert für Interessierte gleich die passenden Zahlen mit (http://www.gwp.de/data/download/A4/schuelerVZ_Basispraesentation.pdf):
Neben klassischen Bannerformaten (Tagesfestpreis für den Skyscraper auf der persönlichen Startseite 6125,00€) gibt es spezielle community-Werbeformen wie den Newsteaser in Schriftfarbe pink mit 75 Zeichen (5500,00€ für zwei Tage) und das Telegramm (9500,00€ für zwei Tage). Das Besondere dabei: "Die Community-Werbeformen sind gestalterisch in die redaktionellen Inhalte der Plattform integriert. Daher erscheinen den Nutzern die Werbebotschaften sehr vertraut." (ebd.) Man kann auch sagen: da wird das Vertrauen der Schüler in die community missbraucht für die geschickte Platzierung der Werbung, die als solche dann auch gar nicht mehr kenntlich gemacht wird (Bsp. für 'Newsteaser' und 'Telegramm': http://www.heinecke-networks.de//files/img/vz.jpeg).
SchülerVZ sagt auch, wofür die Werbung gut sein soll: "Das Geld, das wir damit einnehmen, hilft uns, unsere Betriebskosten zu decken und euch noch mehr zu bieten als bisher. So können wir weiterhin massenweise pinke Päckchen an euch verschicken, großartige neue Funktionen für schülerVZ entwickeln und ausgefallene Aktionen für euch organisieren. Natürlich achten wir bei der Werbung darauf, dass sie für euch interessant ist und euch was bringt." Na da haben wir doch Verständnis. Wo sich allerdings die Kreditzinsen für die 85 Millionen bei über 200 Millionen operativen Gewinn der Verlagsgruppe in 2006 in Grenzen halten dürften. Mehr dazu unter: http://heinecke-networks.de/blog/2007/09/16/schuelervz-werbung/
Und die Einnahmen werden sprudeln, denn die Schüler liefern ja freiwillig viele Angaben (brauchts ja auch zum Gruscheln), auf deren Basis Benutzerprofile erstellt werden - sodass die Werbung entsprechend passgenau platziert werden kann (Zitat aus der Basispräsentation: "individuelle Kommunikationskonzepte, die mit der Agentur bzw. dem Kunden zusammen erarbeitet werden"). Nun ist davon auszugehen, dass Schüler (und viele Kollegen wohl auch) nur unzureichend darüber Bescheid wissen, was mit Benutzerprofilen alles angestellt werden kann und ich sehe hier eine unkontrollierte und - da wir Eltern ohne Kennungen unserer Kinder ja gar nicht reinschauen können - unkontrollierbare Verführung unserer Kinder am Werk! Von einer Geschäftsführung, die schon in der Vergangenheit zuweilen alles andere als seriös gehandelt hat. Und dieser rein auf Profit ausgerichteten Führung soll ich dann noch glauben, dass die Nutzerprofile nicht weitergegeben/verkauft werden? Wo doch schon beim StudiVZ der Datenschutz nicht allzu genau genommen wurde (http://www.karsten-wenzlaff.de/?p=222)?
Nun haben wir einen Jugendtreff am Ort und ich kann meinen Großen da problemlos hingehen lassen, da ich weiß, dass verantwortungsvoll handelnde Ältere da sind und ab und an eine sozialpädagogisch geschulte Fachkraft vorbeischaut. Verglichen damit herrscht bei und im schuelerVZ ein rechtsfreier Raum (s. u.a.: http://www.n24.de/wissen_technik/multimedia/article.php?articleId=137951). Und wenn ich dann noch erfahre, dass es Lehrer gibt, die - wenn sie schon mal im Computerraum sind - ohne mit den Schülern über deren Medienkonsum zu reden die Schüler in einer verbleibenden Zeit einfach sich in schuelervz tummeln lassen - ja, dann ist mir gar nicht wohl dabei. Ich will es schlicht nicht, dass mein Kind auch noch in der Schule mit gezielter und unzureichend bis gar nicht gekennzeichneter Werbung konfrontiert werden wird.
Auf keinen Fall will ich hier einer Bewahrpädagogik Vorschub leisten. schülerVZ oder auch spickmich.de bedienen Bedürfnisse unserer Kinder, die Ernst zu nehmen sind, die man nicht einfach abstellen kann und die ich auch sehr gut nachvollziehen kann. Nur wenn ich mit meinem Sohn schon einig werden musste, dass man seine email-Adresse nicht einfach überall angeben kann und wir einstweilen noch gemeinsam entscheiden (Auseinandersetzungen gab es schon), bei welchen Seiten er seine Spuren hinterlässt, dann weiß ich auch, dass ich immer am Ball bleiben muss und muss selbst gestehen, dass mir die aktuelle Dramatik rund um Schülercommunities auch nicht sofort bewusst war.
Was mich also interessiert: Wie werden Sie im Unterricht mit Schülercommunities konfrontiert? Fragen Schüler Sie? Greifen Sie das Thema selbst auf? Haben Sie hilfreiche Tipps - auch für Eltern? Wie könnten sich Eltern und Lehrer unterstützen?
Vielleicht müssen wir auch noch Erfahrungen sammeln, denn ich vermute, dass Antworten auch in Anbetracht der rasanten Entwicklung nicht ganz einfach sein werden.
Seid gegruschelt!