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Forum: "Queer Teachers (Wieviel Outing in der Schule?)"
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| Danke für eure Reaktionen. Nochmal konkreter: | | von: queereinsteiger
erstellt: 05.03.2005 10:57:08 |
Ich habe einen Diplomabschluss und kam jetzt zufällig nach einer Beratung beim Arbeitsamt zum Quereinstieg ins Referendariat. Bevor ich auch nur ansatzweise daran dachte, Lehrer zu werden, hatte ich eine klare Meinung PRO Outing. Ein mit mir befreundeter Reli-Lehrer ist heterosexueller, polygam lebender Sadomasochist (wobei Sadomasochismus als einvernehmlich -safe,sane,consensual- und nicht gewalttätig zu verstehen ist!!!). Als er in seinem Unterricht Beziehungsformen thematisierte, lud er befreundete Schwule und Lesben in seinen Unterricht ein - mich hatte er auch gefragt. Allerdings wollte er auf keinen Fall einvernehmlichen SM oder einvernehmliche Polygamie zum Thema machen, und sich auf keinen Fall selber outen. Ich fand das damals sehr verlogen! Ich dachte: Der holt sich die "Vorzeige-Perversen" an die Schule, um zu zeigen, wie "normal" das doch alles ist, aber so normal, dass es sowas auch im Kollegium geben könnte, so normal soll es halt doch nicht sein. Und natürlich wird auch nur die homosexuelle Langzeit-Zweierbeziehung gezeigt. Aber auch andere Lebensformen haben Werte und eine Ethik. Es gibt ein tolles Buch dazu (ich glaube jedenfalls, dass es toll ist, ich habe es mir gerade erst bestellt und noch nicht weit drin gelesen), "The ethical slut". Das wird Schülern aber nie vermittelt. Ich selbst glaube, ein wirklich offenes Bild in der Wertevermittlung an unsere Schüler würde auch zu einer offeneren, besseren Gesellschaft führen! Ich hab mir das damals sehr gewünscht! Jemand von euch schrieb, heterosexuelle Monogamie würde ja auch nicht thematisiert - das ist richtig, aber sie wird als Norm vorausgesetzt. Wenn mich zum Beispiel ein Schüler fragt: "Haben Sie einen Freund?" oder "Sind Sie verheiratet?" dann setzt er das voraus, dass die Antwort ja oder nein sein muss. Wenn ich nur "nein" sage, ist das wahr, bestätigt aber diese Wahrnehmung. Will ich die bestätigen? In einer Lehrtätigkeit mit arbeitslosen Jugendlichen kurz vor Beginn des Referendariats kam diese Frage, und ich hab mich
neutral gehalten, weil ich keinen Stress mit der Leitung wollte, und gesagt, diese Frage gehört in den Fachunterricht nicht hinein und mein Privatleben wird hier nicht erörtert. Da fanden die Schüler mich verstockt. Als der Job fast zu Ende war, bin ich "zusammengebrochen" (weil ich mich wirklich so verlogen damit fühlte) und hab mich den (volljährigen!) Schülern komplett geoutet: dass ich offene Beziehungen will, SM
lebe, in echt ganz anders aussehe (privat trage ich einen Iro, als Dienstfrisur eine Perücke --- ursprünglich wollte ich mir für den seriösen Job die Haare seriös wachsen lassen, aber das bedeutete dann auch nur, dass ich mich sowohl im Job als auch im Privatleben verkleidet fühlte --- jetzt bin ich im Job verkleidet, aber wenigstens fühl ich mich privat wieder wohl), und da meinten die Schüler, ah, jetzt verstehen sie mich viel besser und finden mich viel netter. Aber das war halt eine Arbeitslosenmassnahme im Honorarvertrag, jetzt bin ich im Ref an einer staatlichen Schule. Kann ich es mir da überhaupt leisten, meine Fassade abzulegen? Bin ich mit meinen Veranlagungen/Ansichten wirklich falsch an der Schule, muss man die Erziehung der jüngeren Generation konservativeren Leuten überlassen oder gerade nicht? Ich habe Werte und Ideale. Soll ich die meinen Schülern vermitteln (klar, ich geh nicht so als Begrüßung in die Klasse, wenn wirklich nur mein Fach gerade Thema ist -- aber auf einen einschlägigen Witz kann man halt so oder so reagieren --- "du darfst nicht 'ficken' sagen" versus "warum glaubst du, dass jede Nutte schlecht ist? wie gehen die Freier denn mit den Dienstleisterinnen um, wie bewertet die Gesellschaft Prostitution, ist das angemessen?") oder meine Ansicht peinlich verbergen? Bei unserer Schule fliegt gerade ein Schüler, der in einen Dreier verwickelt war - ich kenne die Begleitumstände nicht, aber die Schule scheint davon auszugehen, dass das beteiligte Mädchen "natürlich" nicht freiwillig mitgemacht haben kann - steh ich daneben und halte den Mund, oder frag ich nach und finde heraus, ob da wirklich (Psycho)Gewalt im Spiel war, oder ob es eben doch noch mehr zu klären gibt an Werten etc.?
Wenn mir im Ref nicht dauernd erzählt würde, dass ich NICHT NUR meine Fächer lehren, sondern AUCH ERZIEHEN soll, nicht technokratisch auftreten, sondern Mensch bleiben etc. - dann wäre die Sache einfach. Dann geht mich die Moralmeinung meiner Kollegen und Schüler nichts an. Dann will ich die Moral auch nicht in Hinblick auf eine tolerantere Denkweise - für eine bessere Gesellschaft - beeinflussen. Aber sowas steht in meinen Richtlinien mit drin. Dass ich mich eben nicht zurückziehen soll, sondern durch meine Persönlichkeit auch Vorbild bleiben.
Ich hab in Ethik an der Hauptschule hospitiert. Der Ethiklehrer erschien mir dabei sehr blauäugig, als eine Schülerin ihre realen Erfahrungen aus der Verwandtschaft (da ging es um Drogen und Knast) thematisieren wollte, dann aber schnell merkte, dass sie hier besser nicht weiterspricht (ich selbst habe tatsächlich keine eigene Drogenerfahrung, aber kenne einige Drogenkonsumenten privat und hätte von daher der Schülerin sofort recht geben müssen).
Auch über (selbstverständlich berechtigte, bzw. als Norm akzeptierte) Eifersucht in Beziehungen haben sich sowohl schon mein Seminarleiter als auch dieser Ethiklehrer in seinem Unterricht auf eine Weise geäußert, der ich in jedem anderen Umkreis sofort widersprechen würde - an der Schule trau ich mich nicht, denn meine Meinung zu sagen, bedeutet ja Outing.
Für mich geht es bei der Frage, ob ich mich in der Schule oute, nicht darum, ob ich den Schülern zu Beginn einer neuen Klassenübernahme mein ganzes Leben erzähle. Das ist klar, dass ich das nicht tue. Es geht aber darum, ob ich in der Schule aus meiner Sicht sachlich falsche Äußerungen (z.B. über SM oder Monogamie) in derselben Art kommentiere, wie ich es in allen anderen Kontexten auch täte (ich glaube nämlich wirklich, dass echte Aufklärung zu einer toleranteren und somit besseren Gesellschaft hilft), oder ob ich hier "das Maul halte" - was ich derzeit tue, aber total feige finde! Genauso feige, wie ich es damals bei dem Reli-Lehrer fand.
Andererseits: Was nutzt mir, den Schülern und unserer Gesellschaft mein "mutiges" Auftreten, wenn es mir sofort ein Disziplinarverfahren einbringt???
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| @ queereinsteiger | | von: silberfleck
erstellt: 05.03.2005 17:09:43 |
Ich versuche im Berufs und Privatleben echt / authentisch zu leben. Aber das hat auch seine Grenzen. Erstens bin ich der Meinung, dass es bestimmte Bereiche gibt, die nur mich persönlich angehen, zweitens gibt es Dinge, die ich nicht veröffentliche, weil ich meinen Mann und unsere Kinder nicht auf dem Präsentierteller herumreiche.
Da ich Biologie unterrichte und mein Mann bei der kath. Kirche arbeitet, erhalte ich relativ viele ethisch / moralische Anfragen.
Bei den Antworten achte ich darauf, dass ich keine Schülerin / keinen Schüler bloßstelle wegen seiner persönlichen oder religiösen Überzeugungen und die geltenden Gesetze beachte.
Und meine Freiheit hört da auf, wo die Freiheit des anderen beginnt! (Das erwarte ich aber auch von meinem Gegenüber!)
Wenn du sagst, der Ethiklehrer habe in Bezug auf eine Aussage über Drogen unrecht, ist mir dies viel zu ungenau, um dazu eine Meinung zu haben.
Und zur Eifersucht fällt mir nur der unsinnige? Spruch ein: Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.
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| "verkleidung" | | von: katrinschmitz
erstellt: 06.03.2005 10:48:04 |
Zur Verkleidung fällt mir nur ein, dass ich auch nicht alle Sachen aus meinem Schrank in der Schule anziehe und all die Männer in Schlips und Anzug das sicher auch nicht privat tragen, oder die Krankenschwestern oder oder oder - deshalb finde ich eine Dienstkleidung eher "normal".
Ob du jetzt den Iro verstecken musst, hängst wahrscheinlich von der Schule ab - ich hab eine Kollegin mit Rastazöpfen und einen Kollegen mit Zopf und das juckt keinen.
Zu dem Rest denke ich immer noch, dass es dein SEXUALleben ist, und das packt keiner vor seinen Schülern aus. Da wäre ich auch peinlich berührt, weil ich sowas von meinem Lehrer gar nicht wissen will. Ich erzähl doch auch nicht, was in meinem Bett abgeht.
Naja, im Ganzen musst du dir bewusste sein, dass du einen Job im öffentlichen Dienst hast und das ist nunmal ganz schön spießig und "normgetreu" - also würd ich mich eher zurück halten, denn je nach Chef und Elternschaft tust du dir sonst keinen Gefallen. Ich hoffe, du findest einen Weg, dich trotzdem nicht verstellen zu müssen - vielleicht indem du Schüler zwar wenig über das Sexuelle sagst, aber eben anderes "normaleres" erzählst - welchem Fußballverein drückst du die Daumen, oder magst du lieber Formel eins, oder solche Sachen - meiner kurzen Erfahrung nach finden Schüler das viel spannender und machen daran deine Sympathiepunkte fest - und wie du deinen Unterricht gestaltet, ob du fair bist, oder "gemein", ob du mal mitlachen kannst - und dann und dann tritt das andere automatisch in den Hintergrund, weils doch eigentlich nicht das sein sollte, was einen Menschen ausmacht - wann er auf welche Weise mit wem Sex hat. Mich hat das jedenfalls noch nie an einem interessiert.
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| Das Problem sehe ich darin, | | von: queereinsteiger
erstellt: 07.03.2005 05:05:50 |
nicht Position zu beziehen und Irrtümer/Vorurteile aufzuklären, obwohl ich das könnte -- wenn ich nur Fachunterricht geben soll, okay, dann seh ich das ein (nein, nicht Religion, sondern Naturwissenschaften). Aber wenn man mir gleichzeitig sagt, ich soll auch erziehen - z.B. Position beziehen und nicht schweigen, wenn ich bei Schülern rechtsradikale Tendenzen sehe, "wir Lehrer haben ja auch eine Erziehungspflicht". Schweigen bedeutet einer scheinbaren Selbstverständlichkeit scheinbar zustimmen. Von meinem eigenen Wertesystem bin ich dagegen, habe das auch bisher so nie gehandhabt, war im Freundes-, Studien-, Berufsumfeld (Wissenschaft, bevor ich Lehrerin wurde) auch immer offen. Da stellt sich dann z.B. ja auch die Frage, ob ich Kollegen zu meinen Geburtstagsfeiern einlade, wo eben auch Freunde aus der Szene sind und wir auch drüber reden - wer zu mir privat nach Hause kommt, wird zwangsläufig mit meinem Lebensstil konfrontiert. So, wie ich eben bei einem verheiraten Lehrer mit Kindern auch dessen Gatten und Kinder oder zumindest Hinweise auf sie antreffen werde. Es geht darum, ob ich eine Norm unterstütze und mittrage, die ich so nicht fühle. Im Schulalltag hab ich in der Regel übrigens kein Problem (meine Fächer deuten da echt nicht drauf hin) - aber manchmal gibt es eben doch Aussagen (bisher noch nie von Schüler- , sondern nur von Kollegiumsseite), wo ich mir doch sehr auf die Zunge beissen und meine Reaktion hinunterschlucken muss, und darin eben nicht authentisch bin, denn überall sonst würde ich es als selbstverständlich (und eigentlich sogar als gesellschaftspolitische Pflicht im Hinblick auf gewünschte Verbesserungen) ansehen, meinen Widerspruch zu äussern. Die meisten Leute, also auch Erwachsene und daher auch Lehrer, haben einfach keinen direkten Informationszugang, sondern Halbwissen aus schlechten Fernsehreportagen. Als ich auf der Didacta ein Schulaufklärungsbuch durchgeblättert hab, wurde mir schlecht und ich dachte: Kein Wunder, dass die Leute so denken, wenn das die Informationen sind, die sie erhalten - wenn's wirklich so wäre (z.B. SM wirklich zwanghafte Befriedigung durch physische und psychische Verachtung eines Partners), dann wär ich allerdings auch voll CONTRA! Aber die Leute gebrauchen das so, ich hab nicht nur Schwulenwitze an der Schule gehört, sondern auch Witze / Bemerkungen über Sado/Maso.
Dazu halte ich den Mund - und krieg gleichzeitig erzählt, dass ich bei rassistischen Äußerungen und Witzen unbedingt einschreiten müsse und nicht weghören darf, weil ich sonst indirekt dem Schüler meine Zustimmung gäbe...
Ein Problem hab ich also immer nur dann, wenn meine eigenen Wertvorstellungen mir sagen, dass ich etwas nicht unkommentiert stehen lassen darf und meine eigenen Ideale verleugne, wenn ich es trotzdem tue. Wenn in der Schule niemand entsprechende Themen (ironisch, verächtlich, oder umgekehrt die Norm als Selbstverständlichkeit voraussetzend) anspräche - bitte, ich hätte kein Bedürfnis auf Stellungnahme. |
| Privatsphäre | | von: ankajo
erstellt: 07.03.2005 11:45:45 |
Aber Einschreiten und Stellungnahme heißt doch noch lange nicht, dass man sein eigenes Sexual- oder Privatleben vor den SChülern offen legen muss. Man kann doch seine Meinung vertreten, ohne dass man genau sagt, wie man lebt. Ich beziehe auch ganz klar Stellung, aber meine Beziehung zu meinem Partner oder meinen Kindern erörtere ich nicht vor Schülern oder Kollegen, es sei denn, es sind meine Freunde im Kollegium. Es tut mir für dich Leid, dass du dich so unwohl fühlst. Vielleicht solltest du alles auch einmal unter dem Aspekt des Schutzes der Privatsphäre sehen. ich möchte auch noch einen Bereich in meinem leben haben, der mir gehört. Es gibt ja auch bestimmt Kollegen, mit denen du über auch sehr Privates sprechen kannst. Das würde ich mir aber immer gut überlegen, ganz gleich, wie ich lebe. |
Beitrag (nur Mitglieder) |
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