ADHS zu stellen würde ich mir nie im Leben zutrauen. Ich bin kein auf diesem Gebiet spezialisierter Psychologe, sondern Lehrer - also sind sämtliche solche Diagnosen bestenfalls gut gemeinte Küchenpsychologie.
Dass ein Kind etwas aktiver ist als andere in der Klasse kann Dutzende Ursachen haben. Manche haben einfach einen starken Bewegungsdrang. Manche sind schlicht und einfach jünger als ihre Klassenkameraden und darum verspielter. Bei manchen kriselt es daheim. Manche wollen den Unterricht bewusst stören. Und bei ganz ganz wenigen stimmt tatsächlich die Diagnose ADHS - viel mehr bekommen sie noch zu Unrecht gestellt, weil man mit dieser Diagnose und einer entsprechenden Medikamentenkeule das Kind so schön ruhigstellen kann, damit es keinen (insbesondere die eigenen Eltern) mehr stört.
Ich hatte mal eine Schülerin, die von mir regelmäßig mündliche 5er bekam, bis ich gegen Ende des Schuljahres erzählt bekam, dass sie von ihren Eltern so mit Ritalin zugedröhnt wurde, dass sie mehr oder weniger sediert war. Die konnte gar nicht anders, als nur gaaaanz langsaaaam zu gucken.
Insofern solltest du ungeheuer vorsichtig sein mit solchen Laien-Diagnosen. AD(H)S ist eine ernsthafte Aufmerksamkeits-Störung. Da geht es eigentlich überhaupt nicht darum, dass ein Schüler herumzappelt (die schwereren Fälle sitzen ganz ruhig!), sondern dass ein Schüler seine Wahrnehmung nicht sortiert bekommt. Es gibt da auch viele verschiedene Ausprägungen. Ein Beispiel wäre, dass von einem Betroffenen sämtliche Signale mit gleicher Priorität verarbeitet werden. Das Surren des OHP ist dann genau so wichtig wie das Kratzen des Bleistifts vom Banknachbarn, das Sonnenlicht draußen oder die Stimme des Lehrers. Dass Unterrichtsinhalte dann in einem unentwirrbaren Knäuel an Sinneseindrücken untergehen, sollte klar sein.
Menschen mit ADHS sollten natürlich Hilfe bekommen, aber da muss man vorher ganz genau hinsehen und sollte eine solche Diagnose nur von ausgewiesenen Fachleuten auf diesem Gebiet stellen lassen - keinesfalls von Hausärzten, allgemeinen Psychologen oder gar Lehrern. Nur dann kann die Hilfe auch - wie im Beitrag vorher angesprochen - zielgerichtet und effizient ankommen. Alles andere wäre sinnlos und im schlimmsten Fall sogar eine medikamentöse Fehlbehandlung mit allen Nebenwirkungen.
Ich habe auch schon oft als Lehrer Fragebögen von Eltern bekommen, die eindeutig auf ADHS abzielten. Ich habe in diesen Bögen stets die meisten Fragen mit "kann ich nicht beurteilen" beantwortet. Denn genau so ist es.