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Forum: "Chancengleichheit - ein Angebot, das auch wahrgenommen werden muss?"
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| Chancengleichheit - ein Angebot, das auch wahrgenommen werden muss? | | von: rhauda
erstellt: 16.06.2006 17:18:10 geändert: 16.06.2006 17:19:33 |
Hier ein Link zu einem Artikel
http://tinyurl.com/z7xau
Meine provokante These dazu lautet:
Früher war es auch mit sehr viel schwieriger, sich mit seiner Zugehörigkeit zur Arbeiterschicht oder Unterschicht abzufinden. Der Leidensdruck war einfach größer.
Da muss man nur einmal seine eigenen Eltern fragen, die sich in den 50er bis 70er Jahren eine Existenz geschaffen haben durch harte Arbeit, Motivation und Zähnezusammenbeißen. Ich bin davon überzeugt, dass viele 4Ts auch zu denen gehören, denen die Eltern aus einer ärmlichen Schicht heraus Ziele gesetzt haben, und Unterstützung geboten haben. Da wurde das wenige Geld eben für Bücher ausgegeben und nicht für Mobilfunkrechnungen.
Heute der sogenannten Unterschicht anzugehören, wird nur in den seltensten Fällen als so großer Leidensdruck erfahren, dass man richtig große Anstrengungen unternehmen würde, um dort rauszukommen.
Ein Beispiel erzählte mit ein befreundeter Schulleiter aus dem Harz: die Schüler wissen, dass dort kaum richtige Arbeitsplätze vorhanden sind, nur eben Billigzeug in der Touristensaison.
Ein überwiegender Teil der Schüler sagt allerdings, dass man mit Harz 4 doch recht gut leben könne. Sie sähen keinen Grund, sich richtig ins Zeug zu legen, sie wollten doch nicht aus ihrem Heimatort weg. Die Eltern unterstützen sie mehrheitlich in dieser Haltung.
Meiner Meinung nach gab es auch für Unterschichtangehörige nie so viele Möglichkeiten und Chancen, sich zu verbessern, wie heute.
Ich bin davon überzeugt, dass bei allen Hürden, die sie nehmen müssten, da auch eine gehörige Portion von falscher Prioritätensetzung herrscht.
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| antwort | | von: miro
erstellt: 16.06.2006 17:48:28 geändert: 16.06.2006 17:50:53 |
war ja eher eine frage und als solche auch erkennbar.
du behauptest, früher war es schwieriger, sich mit seiner zugehörigkeit zur unterschicht/arbeiterklasse abzufinden. das wort abfinden setzt etwas negatives voraus. ich glaube, ein arbeiter, der arbeit hat, in dieser arbeit etwas schaffen kann und dafür den ihm zustehenden lohn erhält, muss sich mit dieser situation nicht abfinden, denn er kann aus eigener kraft für sich und seine familie sorgen. heute müssen wir ja nun sicher auch eine unterscheidung vornehmen und differzierter herangehen. (arbeitslos!)
du behauptest weiter, dass heute mit handyrechnungen statt büchern falsche prioritäten gesetzt werden. richtig! diese prioritäten werden vermittelt, auch durch die gesellschaft. wer selbst kinder hat, weiß, wie schwer es ist, gegen die ausufernde handy-manie und andere entwicklungen anzugehen.
vielleicht ist es heute weniger ein leidensdruck, der empfunden wird, es ist aber sicher auch ein stück resigantion dabei, ob der oft und wiederholt vergeblichen arbeitssuche. arbeit soll nicht nur geld einbringen, sondern sie soll dem arbeitenden auch den sinn des gebraucht-werdens vermitteln (verhältnis ausbildung-arbeitsanforderungen).
welche vielen möglichkeiten und chancen, sich zu verbessern, siehst du denn ganz konkret?
miro
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| Klasse, rhauda! | | von: oblong
erstellt: 16.06.2006 23:29:54 |
Ich finde, dass das von dir angeschnittene Thema zwar sehr vielschichtig, aber auch sehr herausfordernd ist.
Sehr widersprüchlich sind meine Gedanken dazu, die ich auch gar nicht näher ordnen möchte; wer will, darf sich ruhig auf einen einzelnen Aspekt der folgenden Aussagen berufen:
- Wenn man bedenkt, dass die sogenannten Gebildeten kaum noch Kinder in die Welt setzen vor lauter Bedenken, Sorgen und Egoismen, dann müsstest du eigentlich im Recht sein mit deiner Annahme, dass Unterschichtkinder eigentlich gute Zukunftsschancen haben (ich hoffe, du verzeihst mir die Vereinfachung, um die Diskussion zu fördern).
- Wenn ich sehe, dass ich bereits mit dem Abitur die Zukunftserwartungen meines Vaters übertroffen habe, würde dies eine weitere Teilthese von dir bestätigen, so hoffe ich.
- Wenn ich sehe, wie die Erziehung in meinem engeren Familienkreis läuft, bekomme ich doch die Krise; wie in deinem Beispiel werden dort Zufriedenheit mit einem blinden Unterstützungssystem gefördert. Die Eltern geben ihren Kindern keinen Anreiz, über Harz IV hinaus zu gehen: der Hauptschulabschluss gefährdet beim Vater schon das Gefühl, den Söhnen überlegen zu sein.
- Viele meiner Schüler haben mit dem Lebensstandard als Sohn/Tochter ihrer Eltern vermutlich den Gipfelpunkt ihrer materiellen Versorgung in den nächsten 20 Jahren erreicht; ab jetzt können sie sich nur noch verschlechtern.
- Wo bleibt der Hunger auf ein besseres, sinnvolles, eigenverantwortetes Leben?
Die meisten meiner Abiturienten wollen einen Beamtenstatus mit dem Gehalt eines Freiberuflers und den Freizeitmöglichkeiten eines Erwerbslosen. (Ich übertreibe polemisch, doch ich denke, ihr wisst, was ich meine)
Vielleicht habt ihr Antworten?
Liebe Grüße,
oblong |
| Wo bleibt der Hunger ... | | von: brigitte62
erstellt: 17.06.2006 13:25:27 |
Wo sind gesellschaftliche Visionen? Wo diskutieren wir uns die Köpfe heiß über Zielvorstellungen in der Sozialpolitik oder Bildungspolitik oder ..., also über Dinge, die nicht unmittelbar materiell auszuwerten sind.
Ich denke diese Enwicklung in der Gesellschaft hat etwas damit zu tun, dass der nächsten Generation nichts anderes als die oben beschriebene Mentalität vermittelt wird.
Eine Gedankensplitter, der mich dann auch wieder auf die Schule zurückbringt: Früher in meiner Ausbildungszeit (in den 80er Jahren) wurde noch darüber diskutiert, dass Schule die Aufgabe hat so zu erziehen, dass die Schüler in den bestehenden gesellschaftlichen Strukturen zurecht kommen und sie über die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen hinaus zu deren Kritik und Veränderung befähigen sollen.
Ist uns letzteres über unseren eigenen Alltagstrott zunehmenden Schulstress abhanden gekommen. Ich will damit nicht sagen, Schule ist schuld, sondern wir stecken mitten drin in dieser Gesellschaft und ich empfinde vieles, anders als früher, zäh wie Kleister. Die Anstrengung da heraus zu kommen ist mit so viel Energieaufwand verbunden, dass man sich vielleicht auch eher als früher zufrieden gibt.
Dieses Gefühl "zäh wie Kleister" denke ich, zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten. Die Art damit umzugehen, ist unterschiedlich. |
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