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Forum: ""Auswüchse" zum Thema "Prognoseunterricht" in NRW"
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| "Auswüchse" zum Thema "Prognoseunterricht" in NRW | | von: clausine
erstellt: 23.03.2007 14:52:14 geändert: 23.03.2007 15:14:32 |
Ich habe mehrere Schüler in der Klasse 4, die von ihren Eltern an "höheren" Schulen angemeldet wurden als ihre Empfehlung ihnen "erlaubte" (wie ich dieses Thema hasse ).
Bei einem dieser Schüler (türkischer Herkunft)scheint die Situation zu eskalieren:
- Nach den Beratungsgesprächen VOR dem Halbjahreszeugnis liefen die Eltern und der große Bruder mindestens einmal am Tag bei mir auf, um meine Entscheidung zu beeinflussen.
- Ich bekam Pralinen geschenkt (die ich dann meinem Kollegium spendierte )
- NACH dem Halbjahreszeugnis mit Realschulempfehlung wurde ich permanent weiter besucht und auch angerufen. Dabei wurde mir erzählt, ich könne das Zeugnis laut Aussage der Gymnasialdirektorin noch ändern "zugunsten" des Schülers.
- Daraufhin führte ich ein längeres Gespräch mit erwähnter Direktorin, die das natürlich nicht behauptet hatte.
- Beim Klärungsgepräch mit den Eltern wurde ich massiv beschimpft, unter anderem als "rassistisch" bezeichnet.
- Ich bekam einen "Entschuldigungskuchen", ein Geburtstagsgeschenk und man war wieder freundlich zu mir. Die Bereitschaft, den Prognoseunterricht abzuwarten, wurde bekräftigt.
- Die anderen Kinder der Klasse bekamen letzte Woche ihre Bestätigung von den weiterführenden Schulen: alle sind angenommen.
- Gestern beim Elternsprechtag: wieder Versuch der Diskussion von den Eltern. Ich frage, was sie jetzt noch wollen. Abwarten, Prognoseunterricht machen.
- Heute: ein Brief des Schülers, eindeutig von Eltern oder großem Bruder formuliert, strotzend vor RS- und Grammatikfehlern. Inhalt: der Junge fühlt sich ausgegrenzt, er hat keinen "Spaß", bei der Klassenfahrt mitzufahren! Die anderen Kinder der Klasse, die eine eingeschränkte Realschulempfehlung bekommen hätten, wären leistungsmäßig genauso gut wie er, aber er "müsste" zur Realschule....
Der Junge war, als ich die Klasse im 3. übernahm, auf sehr niedrigem Leistungsstand. Er hat sich seitdem sehr gesteigert, hat viel geübt und war überhaupt sehr fleißig. Ich konnte den Eltern in keinster Weise klar machen, dass zur Gymnasialempfehlung weit mehr gehört als Fleiß und Rückhalt aus der Familie. Das Kind kann etwas schwierigere Texte noch nicht sinnentnehmend lesen
und hat auch Probleme mit Rechtschreibung und Grammatik. Auch in Mathematik fehlt ihm der "Überblick" und der letzte Schliff beim logischen Denken. Die Eltern meinen, mit Fleiß und Familienharmonie (beides ist sicher auch wichtig...) und Nachhilfestunden das Gymnasium zu "packen".
Ich hoffe jetzt nur auf den Prognoseunterricht und ehrlich gesagt auch darauf, dass der Junge, der wirklich lieb und nett ist und völlig verunsichert wirkt, nicht verzweifelt. Ich merke von Tag zu Tag, wie das (mühsam gewonnene) Vertrauen in mich schwindet.
Habt Ihr auch solche Erfahrungen mit diesem "neuen" Verfahren????? fragt Clausine |
| . | | von: palim
erstellt: 24.03.2007 21:04:45 |
Ich glaube, es gibt hier schon mehrere Foren und auch viele Lehrerinnen und Lehrer, denen es in BY und BW seit Jahren nicht anders geht.
Dort werden Klassenarbeiten ab Klasse 3 per Rechtsanwalt angefochten, damit die Kinder am Ende möglichst den notwendigen Notendurchschnitt bekommen.
Aus dem GS-Chat weiß ich auch, dass Lehrer der GS unter erheblichem Druck stehen, damit die Kinder, die die Empfehlung der RS bekommen, möglichst superfit sind, damit sie in jedem Fall den Probeunterricht/die Aufnahmeprüfung für das GYM trotzdem schaffen.
Probleme, sich als ausländerfeindlich etc. beschimpfen lassen zu müssen, hatte ich im übrigen auch schon mehrfach. Es gibt schon Familien, die jegliches Bitten, jegliches Angebot der Unterstützung oder nur des Gesprächs ignorieren, wenn aber dann der Brief wegen einer Versetzung oder wegen der Sonderschul-Überprüfung kommt, stürmen sie das Zimmer der Schulleiterin und werden ausfallend. Es ist nämlich keine Schande, wenn man rein gar nichts zur Unterstützung des Kindes in der Schule unternimmt, wohl aber, wenn das Kind als Konsequenz eines guten Tages die Klasse wiederholt oder eben die Sonderschul-Überprüfung droht.
Das Schulsystem lässt leider viele wirklich pädagogische Arbeitsweisen nicht zu.
Wir glauben Herren aus der Dominikanischen Republik, die unser Schulsystem schlecht finden, wir haben Hintergedanken, wenn wir hören, dass Deutschland nicht an der OECD-Studie teilnimmt und wir hoffen, dass unsere Schüler beim nächsten Pisa-Test noch schlechter abschneiden... vielleicht merkt der eine oder andere Politiker, dass sich sehr vieles zu noch größeren Ungunsten verändert hat.
Palim |
| Das Verrückte in meinem speziellen Fall ist, | | von: clausine
erstellt: 25.03.2007 11:02:24 geändert: 25.03.2007 11:09:00 |
das die Eltern sich wahnsinnig kümmern! Die Eltern achten auf die Hausaufgaben, sie kommen zu jedem Elternsprechtag, zu jedem Elternabend, helfen bei Feiern, beim Basteln, backen und kochen bei Festen usw. (Ich habe immer die ganze 5köpfige Familie beim Elternsprechtag bei mir sitzen!) Das Problem ist, dass die Eltern meinen, das Gymnasium sei die beste Schule AN SICH, und DESHALB (nur das Beste für den Sohn) soll das Kind dorthin, auf Biegen und Brechen. Er bringt aber überhaupt nicht die Leistungen / Voraussetzungen dazu mit, für ihn wäre eben die Realschule die BESTE Schule. Die Eltern empfinden, dass ICH das Beste verhindern will, wenn ich die Empfehlung zum Gymnasium verweigere. Es ist zum K...., sie verstehen mich nicht. Und sie werden kämpfen bis zum höchsten Gericht (und ich sehe das Kind abstürzen, die Mathearbeit, die ich gestern korrigiert habe, war bei dem Jungen eine glatte 6, daran sieht man, unter welchem Druck er steht, dass er aber auch wirklich Defizite hat...)
Es ist einfach nur traurig.
Und da sehe ich eben auch den Zusammenhang zu unserem Schulsystem: solange es vermeintlich BESTE Schule gibt, werden Eltern immer diesen Trugschluss ziehen können, dass eben nur die BESTE Schule, die es gibt, für ihr Kind die besten Chancen beinhaltet. Es geht gar nicht mehr darum, die PASSENDE Schule für ein Kind zu finden, dem Kind gerecht zu werden. |
| Interessanterweise | | von: ysnp
erstellt: 25.03.2007 12:14:04 |
stelle ich auch dieses Jahr bei meiner Klasse fest, dass vor allem bei ausländischen Kindern und deren Eltern eine große Diskrepanz zwischen Wunschdenken und Realität, was weiterführende Schulen betrifft, besteht.
Ich habe mir auch schon Gedanken gemacht, woran das liegen könnte. Vielleicht ist der Wunsch stärker, endlich hier das erreichen zu können und natürlich für seine Kinder, da man ja in dieser Hoffnung auch gekommen ist?
Überzeugungsarbeit geht bei manchen schwer zu leisten, sie wollen es einfach nicht wahrhaben. Extremster Fall: Ein Kind, das auf Förderschule getestet wurde und empfohlen wurde, dorthin zu gehen, soll jetzt auf Wunsch der Eltern auf die Realschule.
Manchmal denke ich: Wenn sie es mir nicht glauben, dann müssen die Kinder halt den Weg der Aufnahmeprüfung gehen. Die Eltern sind über mögliche Konsequenzen aufgeklärt (Frusterlebnis) - es liegt in ihrer Hand.
@clausine: Ich hatte übrigens vor Jahren einen ähnlich gelagerten Fall. Zuerst versuchte man es mit "Einschmeicheln", als es bei dem sehr verhaltensauffälligen Kind um das Eingemachte ging, warfen mir die Eltern vor, ich solle das Kind (Aussiedlerkind) endlich wie ein deutsches behandeln. |
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