Ich, frisch das 1. Staatsexamen abgeschlossen und komplett unerfahren als Vertretungslehrerin aktiv. Es ist mein achter Arbeitstag an dieser Schule und erst meine dritte Unterrichtseinheit, die ich in dieser 4. Klasse gebe.
Es sind liebe Kinder. Es sind aufgeweckte Kinder. Aber sie sind auch sehr unmotiviert. Das größte Problem dieser Klasse ist die Disziplin. Das haben mir alle Lehrer der Schule bestätigt. Dennoch wollte ich die Klassenlehrerin heute angemessen vertreten, denn am Donnerstag folgt eine Arbeit über Gewichte und am Freitag ein Diktat. Der Auftrag der Lehrerin lautet: Gewichte schriftlich addieren und subtrahieren und möglichst die Rechtschreibung üben.
Es geht los. Die Klasse ist verhältnismäßig ruhig. Kein Dazwischenreden, kein Zettelschreiben. Eine TÜ zum warm werden.
Erste Aufgabe: 1 kg in g - "Voll einfach!" murmelt es hier.
Zweite Aufgabe: 1 t in kg - "Hihihi" murmelt es da.
Dritte Aufgabe: 1/2 t in kg - "HÄ?" raunt es durch das Zimmer und ich ahne Böses.
Vierte Aufgabe: 17 * 10 - "Das hatten wir noch nicht." höre ich und mein Magen zieht sich zum frühen Morgen zusammen. Die TÜ wird fortgesetzt. Fazit: Es gibt Kinder, die das kleine Einmaleins nicht beherrschen und es gibt Kinder, die nicht wissen, wie viel Gramm in einem Kilogramm stecken.
Wir behandeln die schriftliche Addition. "Das können wir schon." und "Das ist voll leicht!" wird getuschelt. Ich freue mich, denn die Kinder sollen nur darauf achten, die Gewichte genau untereinander zu schreiben (also Komma unter Komma), um dann mühelos zu addieren. Gleiches geschieht bei der Subtraktion. Die "Das ist easy."-Aussagen gehen zurück und werden leiser. Aber das sollte es doch sein? Übungen folgen. Die Klasse, die so undiszipliniert und unmotiviert ist, arbeitet still und ruhig. Ab und an fragt ein Kind, "ob das so geht" und meistens geht es so. Aber bei vielen Kindern (also bei denen, die sich nicht melden) geht es so nicht. 6 + 5 wird 10, 9 - 6 ist 2 und Sachaufgaben werden gekonnt ignoriert.
Soll ich von der Deutschstunde berichten, in der ich die Rechtschreibung geübt habe? Lieber nicht.
Obwohl der Tag damit endet, dass alle Kinder etwas gelernt haben, sie die Schule glücklich verlassen und keine Mutti angerufen werden musste, leide ich jetzt unter Selbstzweifeln.
Habe ich zu viel verlangt? War der Stoff zu hart? Ich weiß, dass viele Kinder Sachaufgaben nicht gern rechnen. Ich weiß, dass viele Erwachsene beim kleinen Einmaleins auch kurz überlegen müssen. Ich weiß, dass Fehler wichtig sind, um aus ihnen zu lernen. Trotzdem... bin ich zu schnell nach vorn geprescht? Hätte ich mich an das Niveau der Klasse anpassen müssen und noch einmal das kleine Einspluseins wiederholen sollen? Ich möchte, dass die Kinder in ihren Arbeiten gut abschneiden und Erfolgserlebnisse haben. Aber gleichzeitig kann ich den Schülern doch auch nichts schenken. Was, wenn die Klassenlehrerin mich rügt, ihre Klasse überfordert zu haben? Habe ich die Klasse überfordert? Darf ich als Vertretungslehrer überhaupt irgendetwas fordern? Aber Lernzuwachs geschieht doch nur durch die Bearbeitung neuer Inhalte.
Mein Kopf tut weh und ich bin traurig. Ich lege mich jetzt ins Bett.