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Forum: "Dieses Gefühl bei gewissen Schülern..."
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| Dieses Gefühl bei gewissen Schülern... | | von: judeldu
erstellt: 29.06.2016 20:45:30 |
Hallo zusammen, ich unterrichte leidenschaftlich gerne Naturwissenschaften. V.a. alles, was mit Experimenten zu tun hat, macht mir einen Höllenspaß - so weit so gut ;) An unserer Schule ist die Schülerschaft sehr gemischt (Gesamtschule) und ab der 9. Klasse gibt es eine äußere Differenzierung. Die schwachen SuS sind dann in den NaWis in anderen Kursen als die starken. Wenn ich diese schwachen SuS habe, sind da auch immer eine ganze Menge darunter, denen der Unterricht Spaß macht, obwohl mittlerweile für sie fest steht, dass sie die Inhalte ganz bestimmt nicht mehr brauchen werden. Z.B. was genau ein Ion ist. Ok, mit denen kann man gut arbeiten! Allerdings gibt es eben auch die allseits bekannten Nullbockschüler, die die Inhalte später nicht mehr brauchen werden und gleichzeitig ganz unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass sie das alles langweilt. Uff... Da frage ich mich immer "wozu das alles?" Für diese Schüler wäre es besser, sie ab der 9. Klasse für jeweils 3 Monate in verschiedene Praktika zu stecken und sie rausfinden zu lassen, was sie sich beruflich vorstellen können. Die haben davon nämlich "kp" (keinen Plan) und werden nur mit Müh und Not von Erwachsenen in irgendeinen Ausbidlungsberuf gedrängt (den sie oft genug abbrechen). Frage an euch: Kennt ihr dieses Gefühl des "was mache ich hier eigentlich?" und was kann man dagegen tun? Gebt mir einen Grund, diesen Schülern beizubringen, wo der Unterschied zwischen Atom, Molekül und Ion liegt! Danke :) Judeldu |
| es klingt vielleicht etwas seltsam | | von: fruusch
erstellt: 29.06.2016 22:59:35 |
aber das, was du da machst, ist vielleicht eine der letzten Chancen, die diese Schüler haben, um etwas zu bekommen, das sich "Bildung" nennt. Eine Schule ist nunmal nicht nur eine Fabrik, die arbeitsmarkttaugliche Lohnarbeiter produzieren soll, sondern von ihrem Grundanspruch her ist sie mehr als das. Kein Kassierer im Supermarkt muss je das Volumen eines Dreiecksprismas berechnen, kein Automechaniker muss je eine Oxidation chemisch erklären, kein Mathelehrer muss je Tacitus übersetzen, kein Bäcker muss jemals die Hauptstadt von Albanien kennen, kein Professor für Sinologie muss je ein lineares Gleichungssystem lösen. Klingt idealistisch, ist es höchstwahrscheinlich auch sehr, aber wir haben einen Bildungsauftrag, nicht mehr und nicht weniger. Die Frage nach dem "wofür brauche ich das später überhaupt" ist insofern die falsche Frage. |
| @hbeilmann | | von: missmarpel93
erstellt: 30.06.2016 05:55:17 |
Die SuS, von denen hier die Rede ist (9. Jhg. GeS) , sind durch. Am Ende der 9 entscheidet sich für die eines, nämlich ob sie - anders als in den Jahren zuvor - in die nächste Klasse (10. Jhg.) versetzt werden. Die, die das schaffen, haben die Aussicht auf einen HSA. Die anderen haben die Möglichkeit, den 9, Jhg. zu wiederholen, oder die Schule zu verlassen, wenn sie zehn Vollzeitschuljahre absolviert haben. Bei dieser Klientel geht es also nicht mehr um idealistische Ziele bezgl. Bildungvermittlung, bei dieser Gruppe geht es nur noch darum, dass sie Anschluss bekommen an den Ersten Arbeits-/Ausbildungsmarkt. Früher hat es in NRW für diese Gruppe das Projekt "Beruf und Schule" gegeben; drei Tage Unterricht in der Schule und zwei Tage Langzeitpraktikum in einem Betrieb. Ein großer Teil der SuS war glücklich, etwas Sinnvolles tun zu können. Viele von diesen SuS haben es auf diesem Wege über das Langzeitpraktikum mit ihrem HA einen Ausbildungsplatz zu erhalten, da die Betriebe sie ja bereits kannten, also ihr Arbeitsverhalten und ihr Engagement beurteilen konnten. Häufig haben diese SuS zunächst eine zweijährige Ausbildung z.B. zum Kfz-Servicemechaniker oder zur Verkäuferin gemacht, um am Ende der ersten Ausbildung dann den Abschluss der dreijährigen Ausbildung (Verlängerung) als Kfz-Mechatroniker oder Einzelhandelskauffrau drauf zu satteln. Die Alternative ist die schulische Verwahrung bis zum Ende der 10 und dann die Weiterreichung an die Berufkollegs; die Schulpflicht endet eben erst am Ende des Schuljahres, in dem ein Schüler 18 geworden ist. |
| @missmarpel | | von: wabami
erstellt: 30.06.2016 06:57:25 |
Warum bist du Lehrerin geworden? Was sind deine Leitmotive, an denen du dein Handeln orientierst? Jeder versteht was du hier anmerkst nur zu gut, aber genau diese Haltung begünstigt die Probleme, die Eingangs beschrieben werden. Für alle deshalb einmal ganz deutlich: Die allgemeinbildende Schule hat nicht die Aufgabe geeignete Kandidaten für den Arbeitsmarkt zu "produzieren", sondern ein Grundmaß (und darüber hinaus) an AllgemeinBILDUNG zu vermitteln und zwar in der Weise, dass damit die von der Arbeitswelt gestellten Anforderung (weitgehend) erfüllt werden. |
| @wabami | | von: ivy81
erstellt: 30.06.2016 10:44:41 geändert: 30.06.2016 10:45:37 |
Damit hast du zweifellos Recht, aber missmarpel trifft den Punkt meiner Meinung nach trotzdem. Es gibt SuS, die verweigern eben diese "Allgemeinbildung", die man ihnen vermitteln sollte. Diese Schüler sehen nicht ein, wozu sie das brauchen und sind noch nicht weit genug in ihrer Entwicklung, um über den Tellerrand hinaus zu denken. Deren Mentalität von "das brauch ich nicht, das will ich nicht, das kann ich nicht", kann einen durchaus zur Verzweiflung treiben. Außerdem macht es leider keinen Sinn, diesen Schülern die Anwesenheit im Unterricht aufzuzwingen, da die Inhalte schlicht und einfach links rein und rechts wieder raus gehen, ohne den Umweg übers Hirn zu nehmen. Ganz im Gegenteil, die SuS sind oft wütend, weil sie in der Schule sein müssen, obwohl sie das nicht wollen und stören dadurch auch noch massiv. Solche SuS sind m.E. in Praxisklassen, schulbegleitenden Praktika und ähnlichen Maßnahmen viel besser aufgehoben, weil sie zufriedener und damit lernwilliger sind. Sie dürfen was für sie "sinnvolles" tun, dafür benehmen sie sich oft im Unterricht dann etwas besser (merken evtl auch, dass sie das ein oder andere aus der Schule wieder im Praktikum brauchen) und vielleicht bleibt beim einen oder anderen eben doch noch etwas Allgemeinbildung hängen. Leider kann ich die Eingangsfrage auch nicht beantworten, ich habe bisher auch noch nicht genügend Erfahrung gesammelt, um einen Weg zu kennen, diesen SuS die Inhalte quasi zwangseinzutrichtern oder sie im noch besseren Fall davon zu überzeugen, dass es Spaß macht, diese Sachen zu lernen. |
| @wabami | | von: missmarpel93
erstellt: 30.06.2016 17:19:38 |
Befähigung zur Teilhabe am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben. Ersteres als Konsumenten - Marktteilnehmer: als solche konsumieren sie Waren und Dienstleistungen und bieten ihre Arbeitskraft an. Zweiteres als Bürger, die wahlberechtigt sind. Der HA ist ein berufsqualifizierender Abschluss, warum also dieses Klientel, das nicht möchte, noch durch die 10 "schleifen", wenn sie zehn Vollzeitschuljahre haben. Im Übrigen können sie mit einem Ausbildungsabschluss mit mindestens der Note "befriedigend" hier in NRW den MSA erwerben. |
| @wabami | | von: missmarpel93
erstellt: 30.06.2016 18:01:37 |
Befähigung zur Teilhabe am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben. Ersteres als Konsumenten - Marktteilnehmer: als solche konsumieren sie Waren und Dienstleistungen und bieten ihre Arbeitskraft an. Zweiteres als Bürger, die wahlberechtigt sind. Der HA ist ein berufsqualifizierender Abschluss, warum also dieses Klientel, das nicht möchte, noch durch die 10 "schleifen", wenn sie zehn Vollzeitschuljahre haben. Im Übrigen können sie mit einem Ausbildungsabschluss mit mindestens der Note "befriedigend" hier in NRW den MSA erwerben. |
| @wabami: | | von: lupenrein
erstellt: 30.06.2016 18:06:31 geändert: 30.06.2016 18:24:58 |
Nicht zum erstenmal fällt mir auf, daß Kollegen wie z. B. missmarpel oder ich ein etwas anderes Schülerbild zu sehen scheinen als z. B. du. Mag sein, daß es in deiner schulischen Umgebung das Klientel nicht gibt, das z. b. missmarpel und ich täglich vor uns sehen - ich momentan sogar in verschärfter Form in einer Hauptschule in einem sozialen Brennpunkt mit ca. 80% + Migrantenanteil. Ich jedenfalls habe mich heute riesig gefreut, daß von meiner 9-köpfigen AG überhaupt sieben anwesend waren, um drei extra wegen ihnen angereisten Firmenchefs zuzuhören, die ihnen förmlich aufdrängten, sich doch bitte bei ihnen zu bewerben. (sie bekommen fast keinen Nachwuchs, obwohl sie große Abstriche bei ihren Anforderungen machen) und z. B. wie missparpel ausführte, eine zweijährige Ausbildung mit der Möglichkeit einer anschließenden weiter qualifizierenden Ausbildungsverlängerung anbieten. Ein nicht geringer Teil der SuS ist offen desinteressiert an einer Ausbildung. Das mag auch an den Vorbildern im Elternhaus liegen - sofern es ein einigermaßen geordnetes solches gibt - Was nehmen Kids mit, die morgens mit Geld zum Kauf von irgendwas zu essen aus dem Haus geschickt werden, weil die nicht berufstätige Mama "mit dem Arsch nicht aus dem Bett kommt", um ihrem Nachwuchs etwas Ordentliches zum Essen mitzugeben Ich meine daher, die Frage, warum missmarpel überhaupt Lehrer geworden ist, trifft es nicht ganz. Wenn du mal eine Zeitlang in einer solchen Umgebung gearbeitet hast, in der viele Eltern nicht einmal wissen, wer Klassenlehrer ihrer Kinder ist (woher auch, sie sind ja nur gezwungenermaßen in der Schule zur x-ten Teilkonferenz ihrer Kinder, wenn diese mal wieder so oft im Trainingsraum waren, daß die nächste Eskalationsstufe fällig ist) , könnte es sein, daß auch du sehr realistisch feststellen wirst: "Ich kann eben nicht alle retten!" Alles andere gefährdet deine psychische Gesundheit - und die brauchst du, um deine spätere Pension auch zu erleben - Ich finde, missmarpel hat realistisch beschrieben, was Sache ist, mehr nicht. |
| Na ja | | von: caldeirao
erstellt: 30.06.2016 19:16:32 geändert: 30.06.2016 19:23:44 |
ganz so dramatisch sehe ich die Sache nicht, obwohl ich auch fast 20 Jahre mit äußerst schwierigen SuS gearbeitet habe. Ich sehe es schon so, dass die Schule die SuS auf das Leben vorbereiten sollte und dazu wäre es ganz praktisch, wenn sie in der Lage sind, sich mit ihrer Arbeitskraft Geld zu verdienen. Wie auch immer. Des Weiteren ist der größte Motor für das Lernen die eigene Motivation- sprich "ICH WILL". Förderliche Faktoren für die Motivation sind z.B. der Lernerfolg, Sicherung der Grundbedürfe eines Menschens, eine gute L-S-Beziehung, Identifikation mit dem Lernstoff usw. Vieles ist bei den hier beschriebenen Jugendlichen nicht gegeben und damit wird jedes Lernangebot abgelehnt. Oft fehlen diesen Jugendlichen auch die allgemeinen notwendigen Lernvoraussetzungen wie Ausdauer, Belastbarkeit, Frustrationstoleranz, Konzentrationsvermögen usw. Hinzu kommen häufig noch mangelnde kognitive Voraussetzungen wie Denken und Sprache und das verbunden mit riesigen Wissenslücken. Wie sollen die sich für deine Kuller an der Tafel interessieren, die Du Ion nennst. Und da sehe ich die Frage berechtigt, ob es nicht für diese Jugendlichen vorteilhafter wäre wenn sie an den Lernvoraussetzungen arbeiten wie Ausdauer, Belastbarkeit, Frustrationstoleranz, Konzentrationsvermögen usw. und ob das nicht in einem Praktikum effektiver wäre. Das brauchen sie nämlich auch im Berufsleben und beim Führen einer Familie. Sicher gibt es auch Möglichkeiten und Wege einen Teil dieser SuS in den Unterricht zurückzuholen, indem man beispielsweise an der Unterrichtsgestaltung, an den Anforderungen (ich weiß, das ist sehr problematisch), am eigenen Auftreten usw. etwas ändert. Aber wir werden nie alle SuS retten, da wir an manchen Stellschrauben nichts ändern können. |
| die Freiheit des Lehrers...+ | | von: bilchin
erstellt: 30.06.2016 21:02:43 |
Schönen Guten Abend, ich hab dieses Schuljahr Physik in einer gemischten Klasse mit Haupt- und Realschülern gehabt und mich am Anfang auch gefragt, was genau ich den Hauptschülern mitgeben will. Was ich dann gemacht hab, war: alle möglichen Themen aus dem Alltag physikalisch aufgegriffen. Jede Stunde Experimente. Dabei waren unter anderem: Wie funktioniert eine E-Gitarre, was passiert beim Röntgen, MRT, CT, was ist Bestrahlung und warum funktioniert das, wie funktionieren Solarmodule (mit 2 Doppelstunden Löten von lustigen Dingen), Wie funktioniert ein Radio, dann haben wir Werbeanzeigen nachgerechnet ("Dieser Wasserkocher kann 1 Liter Wasser in unter einer Minute erhitzen! ...") und so weiter. Würd ich wieder machen, weils erstens motiviert und sie wirklich was mitnehmen können. Und den Stoff, den ich bei den Realschülern nicht geschafft hab, machen wir nächstes Jahr, dafür hab ich schon paar Themen aus der 10 vorgezogen. |
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