Was für ein Sammelsurium... ich versuche mir gerade lebhaft vorzustellen, von welchen Dinosauriern aus der (römischen?) Kaiserzeit du unterrichtet wurdest, dass du derartige Vorschläge als große Neuerung anbringst...
Ich will mal im Einzelnen drauf eingehen, um dir zu zeigen, wie das zum einen schon längst gelebte Unterrichtspraxis ist, bzw. einige Dinge schlicht und einfach in der Schule fehl am Platz wären.
1. Social Media benutzen
Social Media sind das meiner Meinung nach am meisten überschätzte Kommunikationsmedium der Welt. Ich muss für meine Schüler nicht rund um die Uhr erreichbar sein, um guten Unterricht zu machen. Ich will es gar nicht, immerhin werde ich nur für eine gewisse Zeit pro Woche bezahlt, der Rest ist Freizeit und gehört mir und meiner Familie. Da haben meine Schüler - so gern ich sie auch mag - nichts drin verloren. Abgesehen davon gibt es bei uns einen Landeserlass, der es uns verbietet, Social Media zur Kommunikation mit Schülern zu nutzen. Vorrangige Begründung ist der Datenschutz.
2. Duzen statt Siezen
Geht nicht, gibts nicht. Deine gewünscht Kumpelatmosphäre verhindert geradezu guten Unterricht, da sie den notwendigen professionellen Abstand zwischen Schüler und Lehrer verringert. Einem Kumpel kann ich keine Bewertung (Noten) geben, einem Kumpel kann ich keinen Arbeitsauftrag geben, mit einem Kumpel gehe ich ein Bier trinken, aber bringe ihm nicht die binomischen Formeln bei. Ich brauche natürlich eine persönliche Beziehung zu meinen Schülern, aber definitiv keine Kumpelei. Auch auf dem Gymnasium (wie oben erwähnt) geht das gar nicht. Wenn ich mich mit Schülern richtig gut verstanden habe, biete ich ihnen auf dem Abiball das "Du" an, aber keine Minute früher.
3. Sitzordnung anpassen
Jede Klasse braucht ihre eigene Sitzordnung. Das können die klassischen Sitzreihen sein, dass kann die U-Form sein oder Gruppentische - vielleicht aber auch Einzeltische. Schüler wählen natürlich am liebsten die kommunikativeren Formen, wenn das aber zu Bahnhofslautstärke in Stillarbeitsphasen führt, muss man als Lehrer etwas dran ändern.
4. Harte Stühle vermeiden
Es geht nicht um die Härte von Stühlen, es geht um ergonomisch sinnvolle Sitzgelegenheiten. Dass der Lehrerstuhl oft gepolstert ist, heißt leider nicht, dass er auch bequemer ist (abgesehen davon, dass ich ihn sowieso zu 99% nur dazu nutze, meine Tasche darauf abzustellen). Ergonomische Stühle kosten leider so viel, dass so gut wie kein Schulträger sich das leisten kann, überteuerte Privatschulen vielleicht mal ausgenommen. Willst du bessere Stühle, mache deiner Schule eine Millionenspende - so einfach geht das.
5. Klassenraum gestalten
Gibt es ernsthaft Schulen, an denen das nicht schon längst gängige Praxis ist?
6. Essen & Trinken im Unterricht erlauben
Geht gar nicht. Niemals. Njet. No. La. In welcher Sprache auch immer. Und Kaugummikauen? Willst du vor einer Herde gelangweilt wiederkäuender Kühe stehen und denen Mathe beibringen? Ich nicht. Trinkflaschen, Kaffeetassen & Co. haben die unangenehme Eigenschaft, umzufallen und eine riesige Sauerei zu verursachen. Apfelschorle klebt alles zu, mit dem es in Verbindung kommt - also geht locker mal eine Viertelstunde dabei drauf, die Sauerei wieder wegzumachen. Nein. Ein Hustenbonbon mag gehen, aber alles Andere ist zu viel. Fürs Essen und Trinken gibt es genug Pausen. An extrem heißen Tagen muss es natürlich Ausnahmen beim Trinken geben...
7. Auf Toilette - ohne Fragen - gehen erlauben
Das heißeste Thema, seit es Schule gibt, hier scheiden sich auch in der Lehrerschaft die Geister. Ich selbst erlaube es in Ausnahmefällen. Gibt man es komplett frei, herrscht besonders in den unteren Klassen ein ständiges Kommen und Gehen im Klassenraum, das eine derartige Unruhe hineinbringt, dass normaler Unterricht nicht mehr möglich ist. Auch hier gibt es natürlich medizinisch bedingte Ausnahmen.
8. Nicht pingelig sein
Pünktlichkeit gehört zum Schul- und Berufsalltag dazu. Natürlich schreibe ich auch 2 Minuten Verspätung auf. Wer im späteren Berufsleben 2 Minuten zu spät zur Schicht kommt, bekommt eine Ermahnung, beim zweiten Mal eine schriftliche Abmahnung in die Personalakte, beim dritten Mal die Kündigung. In der Schule sollte man lernen, sich an vereinbarte Zeiten zu halten, so ist das nunmal in Deutschland. In Kenia mag das anders sein, aber da leben wir nunmal nicht.
9. Hausaufgaben freiwillig machen
Der einzige Punkt, bei dem ich dir wirklich zustimme. Hausaufgaben sind überflüssig, sie helfen höchstens 10% der betroffenen Schüler, wenn überhaupt. Die Guten brauchen sie nicht, die Schwachen können sie sowieso nicht alleine machen. Im Zweifelsfall werden sie ohnehin nur abgeschrieben.
10. Mehr Zeit für Klausuren gewähren
Leistung = Arbeit pro ZeitGebe ich zu viel Zeit, werde ich den Stärksten in der Klasse gegenüber ungerecht, weil ich ihre Zusatzleistung (30min vor dem Rest fertig zu sein) nicht honorieren kann. In der Arbeitswelt später gibt es auch Abgabetermine, die eingehalten werden müssen. Besser, man gewöhnt sich rechtzeitig daran. Wenn der Notarzt zu spät kommt sagt man auch nicht "Wenigstens ist er da, auch wenn der Patient vor 2 Minuten gestorben ist", oder? Meine Klausuren stelle ich so, dass sie von einem mittelstarken Schüler auf jeden Fall in der abgemachten Zeit vollständig gelöst werden können.
11. Sinn des Themas betonen
Unterricht ohne Alltagsbezug macht - vor allem in den MINT Fächern - tatsächlich wenig Sinn. Aber gibt es wirklich noch Schulen, an denen das nicht schon längst so gehandhabt wird?
12. Öfter und einfacher kommunizieren
13. Keine langen Texte auf der Tafel
14. Arbeitsblätter kreativ gestalten
15. Beispiele & Vergleiche benutzen
16. Mehr Sinne einbeziehen
Bei all diesen Themen frage ich mich wieder, was für alte Katheterdozenten du in der Schule hattest. Hast du die Schule aus der "Feuerzangenbowle" besucht?
17. Noten umgestalten
Tut mir leid, wenn ich jetzt sehr direkt werde, aber das ist vollkommener Quark. Eine "6" wirkt nicht weniger deprimierend, wenn ich sie "1 eV" nenne. Ganz im Gegenteil, es soll durchaus Schüler geben, die echt viel Energie investieren und trotzdem eine 6 bekommen, weil sie es einfach nicht hinbekommen oder Prüfungspanik hatten oder, oder... Wenn ich schlechte Noten verteile, versuche ich lieber, meinen Schülern Mut zu machen, sie auf Dinge hinzuweisen, die sie trotzdem ganz gut hinbekommen haben, sie ganz konkret auf Lücken aufmerksam zu machen, die sie schließen müssen, um besser zu werden - das hilft 1000mal mehr als noch so kreative Namensvorschläge, hinter denen dann doch nur die alten Noten stecken.
18. Mottotage veranstalten
Glaube mir, nach dem 10. Mottotag fangen die ersten Schüler an zu gähnen. Nach dem 20. will keiner mehr was davon wissen. Sowas kann man gelegentlich - so einmal im Halbjahr - einstreuen, alles andere wirkt peinlicher als der Kölner Karneval.
19. Eltern als Zuschauer einbeziehen
Wir sind sogar vom Gesetz her verpflichtet, Eltern als Zuschauer zuzulassen. Es kommt nur keiner, jedenfalls ist mir das noch nie passiert. Könnte daran liegen, dass die meisten Eltern während der Schulzeit arbeiten müssen. Oder daran, dass sie schlicht und einfach kein Interesse daran haben, unseren Unterricht mitzuerleben.
20. Vorbilder auswählen lassen
Schüler sollten lieber ihre eigene Persönlichkeit entwickeln und ausbilden, als irgendwelchen Vorbildern hinterherzulaufen.
21. Unterrrichtsmethode optimieren
Auch das ist in modernem Unterricht längst üblich. Wer, wenn nicht meine Schüler, kann mir sagen, was an meinem Unterricht gut ist und was nicht? Man sollte das aber auch nicht übertreiben und sie seitenlange Fragebögen ausfüllen lassen. Zum einen dauert das Stunden, bis man die ausgewertet hat, zum anderen kann man dieser gigantischen Datenflut gar nicht Herr werden, geschweige denn sie sinnvoll in den Unterricht einbringen. Da hat man lieber eine gute Arbeitsatmosphäre im Unterricht, die es zur Selbstverständlichkeit werden lässt, dass Schüler dem Lehrer Feedback geben, positiv wie negativ.
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