Mal ein Beispiel:
Ein Schüler tut sich schwer mit dem Erlernen in verschiedensten Fächern, seine Aufmerksam reicht nicht für den Schulvormittag, er zeigt wenig Interesse. Er kennt die Bedeutung des Wortes "Nein" nicht und meint häufig, er könne durch wiederholtes Nachfragen meine Entscheidung verändern. Durch seine Arbeitsvermeidungshaltung, die er schon ein erhebliches Maß vermindert hat, geht er dem Lernen und Entscheidungen aus dem Weg.
Er bekommt die Förderung, die trotz keinerlei Förderstunden möglich ist, wir haben Belohnungssysteme ausprobiert, viele Gespräche miteinander geführt.
Er bekommt viel Aufmerksamkeit von mir und ein erheblicher Teil meiner Kraft geht am Vormittag in die Erziehung dieses Schülers.
Aus vielen Elterngesprächen - teilweise täglichen Telefonaten - weiß ich, dass sich die Eltern in ihrer Erziehung nicht einig sind. Während die Mutter sehr wohl das Verhalten des Sohnes durchschaut und ihn erziehen möchte, lässt der Vater alles durchgehen. Das erklärt meines Erachtens, dass das Kind gelernt hat, die Eltern gegeneinander auszuspielen und ein Nein nie zu akzeptieren - er bekommt trotzdem immer seinen Willen.
Das Kind sitzt sehr viele Stunden am Tag und auch am Wochenende vor dem PC (einschließlich X-Box, PlayStation etc.) und lebt in dieser PC-Welt - wie seine Äußerungen und Bilder zeigen. Seine Aufmerksamkeit ist auf diese Welten gerichtet - da braucht man kein Mathe und auch kein Deutsch. Das Kind hat auch nie gelernt, sich selbst zu erproben, Erfahrungen zu machen. Es ist nie auf einen Baum geklettert, hat keine Wettrennen gemacht, traut sich kaum etwas zu.
Das Kind hatte vor der 1. Klasse keinen Kontakt zu gleichaltrigen Kindern, außer in dem 1 Jahr Kindergarten. Inzwischen besuchen andere Schüler dieses Kind, um am PC etc. zu spielen. Soziale Kontakte bestehen hauptsächlich aus PC-Spiel-Partnern.
Ein zweites Beispiel:
Ein Schüler lernt in der 1. Klasse gut, dann stagnieren seine Leistungen. Er wird auf dem Schulhof zunehmend verhaltensauffälliger.
Seine Eltern sind im laufenden Schuljahr 6 mal für mehr als 1 Woche verreist, der Schüler weiß nicht, wo sie sich genau aufhalten, wann sie zurück kommen. Er ist bei verschiedenen Familien untergebracht oder verschiedene Personen kommen zu ihm nach Hause, um ihn zu betreuen.
Obwohl seine Eltern zu Hause sind (wenn denn), steht dieses Kind jeden Morgen alleine auf.
Von seinen Eltern erfährt es mehr Strafen als Zuwendung, der Vater schlägt das Kind.
Es ist vorherzusehen, dass dieses Kind große Schwierigkeiten hat, sich aufs Lernen zu konzentrieren und angemessen mit anderen Schülern zu agieren.
Die Erziehung erfordert viel Fingerspitzengefühlt - und letztlich würde ich mir wünschen, dass jemand den Eltern die Augen öffnet.
Ein drittes Beispiel:
Ein Schüler wird abgeschoben (nach Kirchenasyl) und kommt nach 18 Monaten zurück, bekommt nach kurzer Zeit eine andere Wohnung zugewiesen und muss nach wenigen Wochen die Schule wechseln. Die Familie ist von einer weiteren Abschiebung bedroht. Sie leben auf engstem Raum. Die Eltern und Geschwister und auch der Schüler selbst sind sehr bemüht, dennoch fällt dem Schüler das Lernen schwer - was nicht weiter verwunderlich ist, wenn täglich die erneute Abschiebung droht.
Wenn ich bei solchen Schülern der Meinung bin, dass keinerlei Erziehung in der Schule geleistet werden kann, so liegt es wohl daran, dass die schulische Erziehung nur dann greifen kann, wenn auch die häuslichen Verhältnisse ein Lernen und angemessenes Verhalten unterstützen.
Es ist reichlich plakativ, Lehrern generell zu unterstellen, sie würden die Schüler nicht erziehen wollen.
Hinzu kommt, dass Lehrer mit dieser Aufgabe alleine stehen, es gibt hierzulande (zumindest in meiner Region) so gut wie keine Anlaufstellen, außer dem Kinderschutzbund und der Erziehungsberatungsstelle, die beide überlaufen sind.
Ähnliches ist mit Logopäden, Psychologen, Pädaudiologen etc., die ebenfalls überlaufen sind und/oder 100 km entfernt - für einige Eltern ein unüberwindbares Hindernis.
Schulpsychologen, Sozialpädagogen, Förderstunden wurden eingespart.
Ein sehr erhebliches Maß meiner Arbeit besteht darin, die Schüler zu kennen, ihre familiären Verhältnisse zu erkennen und zu beachten und (dennoch) einen großen Teil der Erziehung zu leisten.
Am Ende einer Woche mit vielen Regenpausen und kurz vor den Ferien weiß ich sehr wohl, was ich getan habe ... und träume von mehr Erziehung im Elternhaus - zumindest in vielen Elternhäusern.
Ich träume auch von mehr Unterstützung seitens der Umwelt - und verstehe die Anfeindungen nicht.
Mögen sich die Menschen, die sich fragen, was Lehrer den ganzen Tag tun, doch in die Schule begeben und eine Woche hospitieren!
Palim