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Forum: "Wird die Bildung gekidnappt?"
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| Wird die Bildung gekidnappt? | | von: rhauda
erstellt: 28.12.2007 12:28:59 geändert: 28.12.2007 12:33:31 |
In einem anderen Form schreibt cyrano:
Industrie und Handwerk sind die treibende Lobby hinter dieser reaktionären Schulpolitik, das sollte man nicht übersehen. Entsprechende Verlautbarungen von dieser Seite weisen das eindeutig aus.
Ich habe das Gefühl, dass viel von dem, was uns in der Schule im Moment abverlangt wird, mit meinem Bildungsideal zunehmend weniger zu tun hat. Es wird geklippert was das Zeug hält, "Kompetenzen" ist das Schlagwort der Stunde, intensives Auseinandersetzen und Eintauchen in einen Sachverhalt wird immer weniger verlangt. Wer sich mit den Kerncurricula auseinandersetzt, findet immer mehr die schwammigen Begriffe wie "Teamfähigkeit" oder "Fertigkeiten".
Die Bildungsinhalte werden zunehmend "verPISAt" und es wird immer weniger wichtig, dass man etwas weiß, solange man weiß, "wo es steht".
Einen korrekten englischen Satz zu bilden ist kaum noch wichtig (man muss sich da nur mal die Korrekturhinweise in den zentralen Abschlussüberprüfungen anschauen), wenn man dann in Gruppenarbeit ein nettes Plakat zu Australien erstellen kann.
Die sogenannte "Goethesche Herzensbildung" hat da keinen Platz mehr und findet nur noch Eingang in das Niedersächsische Schulgesetz, aber bekommt kaum noch Raum in der Schule. Das soll man dann so nebenbei betreiben.
Geradezu bezeichnend ist da eine Aussage eines IHK-Vorsitzenden während einer Podiumsdiskussion an unserer Schule. Das Gespräch kam auf das Behandeln von Gedichten im Unterricht. Sein Beitrag: "Naja, ob die nun so wichtig sind, weiß ich nicht. Immerhin kann das Auswendiglernen das Gedächtnis trainieren".
Alles wird darauf abgeklopft, ob es für den zukünftigen Arbeitgeber einen Nutzen hat.
Diese Art von Bildung wird gerade bei uns an einem großen Automobilstandort favorisiert, das ist, was die Wirtschaft möchte.
Natürlich sollen wir unsere Schüler dazu befähigen, selbstständig ihren Lebensunterhalt zu verdienen und deshalb müssen wir uns in gewissem Maße den Erfordernissen der Wirtschaft anpassen. Im Moment geht mir dieser Utilitarismus zu weit.
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| utilitarismus | | von: vobiscum
erstellt: 28.12.2007 14:38:05 geändert: 30.12.2007 14:07:33 |
nützlichkeitsdenken ist das richtige wort als hintergrund für vorgänge im alltag, die sich vielfältig niederschlagen. schüler spielen für unternehmer eine wichtige rolle, weil sie ungeheures taschengeldvolumen mitbringen. beispiele: handy / klingeltöne / musik- und elektronikindustrie usw.. natürlich sind derartige bereiche für die volkswirtschaftliche gesamtrechnung bedeutsam. für mich fängt das problem aber an, wenn derartige kauftrends süchte erzeugen, denen einzelne leicht verfallen und später dann verschuldungen entstehen lassen. ich meine also: schule müsste jede gelegengheit nutzen, um schüler zum kritischen konsumenten von gütern und informationsangeboten zu erziehen. sie dürfen den vielfältigen manipulationen "der wirtschaft" nicht ohnmächtig ausgesetzt bleiben. es sind eigenverantwortung, unabhängigkeit, selbstständigkeit und kritisches denken mit allen mitteln "klassischer orientierungen" zu schulen. schüler sollen im austausch zwischen schule und umwelt lernen, begründet zu wissen und zu empfinden, was ihr eigener weg sein soll und wohin sie mit ihren ressourcen eigentlich gehen wollen ( können ). also: bildung und erziehung muss auf die probleme, bedürfnisse sowie fähigkeiten des einzelnen schülers ausgelegt und humanistisch orientiert sein ! |
| @rhauda | | von: bernstein
erstellt: 28.12.2007 14:50:49 |
du beschreibst in deinen Worten exakt den Zeitgeist, der seit vielen Jahren in der Bildungspolitik herrscht.
Danke dafür.
Dass sehr kurz und rational und rationell greifende Nützlichkeitskriterien dieGrundzüge der Bildungspolitik seit PISA bestimmen, sieht man unter anderem auch an der Tatsache, dass die einst von Regierungsseite in Auftrag gegebene so-genannte Bastian-Studie mitsamt all ihren ins Gesicht der Bildungspolitiker schlagenden Ergebnisen in der Versenkung verschwand, denn wollte man wirklich echte und sinnvolle Konseqenzen daraus ziehen, müsste man Schule, Schulbetrieb, Fächerkanon etc. von Grund auf umkrempln.
Man könnte das Vogel-Strauß-Verhalten der Bildungspolitiker diesbezüglich charakterisieren mit den Worten
"Don't bother me with facts. My mind is made up anyway."
Mehr zur Bastian-Studie hier:
http://www.bebis.de/zielgruppen/lehramtsanwaerterinnen/musik/forum/bastian-studie
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| In | | von: n8wandler
erstellt: 28.12.2007 17:27:46 |
der Diskussion scheint es, als würde das Eine dem anderen im Weg stehen. Mündige Menschen entgegen Wissen und Fähigkeiten. Spannend was man hier von der Hirnforscung der letzten 10 jahre erfahren kann: Das Gehirn ist darauf angelegt, aus einer Vielzahl von Beispielen die Regelhaftigkeit selber zu extrahieren. So lernt man nicht Grammatik, indem man ihre Regeln lernt, sondern indem ein Kind mit Sprache umgeht und Sprache anwendet. So können Kinder beispielsweise ab einem gewissen Alter künstliche Wörter deklinieren. Für Lernen sind Erfahrungen notwendig, die ähnlich Landkarten in Bereichen des Kortex abgebildet werden (Für Tasterfahrungen kennt man den Humunculus) Und genauso passiert es mit Werten. Vielmehr als die Beschäftigung mit dem Thema, lernen wir durch soziale Kontakte, durch Modelle, durch "Vorbilder". Manfred Spitzer beschreibt, belegt durch Studien, wie Lernen funktioniert, durch eine emotionale Beteiligung. Daher denke ich, nicht die Unterrichtsmethode, vielmehr die Zuwendung, das Vorbild, in und vor allem auch außerhalb der Schule sind entscheidende Bildungsfaktoren. Es ist ein spannendes Feld. |
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