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Forum: "Deeskalation - wie geht das genau?"
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| Deeskalation - wie geht das genau? | | von: kranich2
erstellt: 15.02.2013 21:49:15 |
Hallo alle zusammen,
ich arbeite seit kurzem an einer Hauptschule zur Erziehungshilfe. Habe dort nur Jungs und alle in der Regel mind. einen Kopf größer als ich.
Aggressionen und Auseinandersetzungen sind bei uns bis zu einem gewissen Maß an der Tagesordnung und in aller Regel komme ich damit einigermaßen zurecht.
Vor kurzem war ich aber zweimal in einer Woche in Ausraster von Jungs verwickelt. Einmal als Ziel eines Angriffs (mit einem Stock, der mich zum Glück nicht getroffen hat, den flinken Füßen sei Dank), einmal als Hindernis zwischen zwei Jungs, die einander verprügeln wollten. Und nur, damit keine Missverständnisse entstehen: die wollten einander richtig eins reinhauen.
Ich bin unbeschadet da raus gekommen und auch weiterhin nicht besonders ängstlich. Mich beschäftigt jetzt aber immer mehr die Frage: Wie sieht Deeskalation durch einen Lehrer genau aus? Was muss ich tun? Wie mich verhalten? Welche Körpersprache? usw. usw. Soll ich anfangen, Selbstverteidigung zu lernen, damit ich die SS möglichst schonend bremsen kann? Ich weiß, dass es von Vorteil ist, wenn man seeeeehr ruhig bleibt. Jetzt bin ich aber einfach schon an sich nicht so der ruhige Typ.
Frage ich meine altgedienten Kollegen, können die mir meistens auch nicht genau erklären, wie sie es machen, nur dass es meistens funktioniert. Am liebsten würde ich ihnen ja dabei zuschauen, wenn da mal wieder ein Vorfall ist, aber naja, Zuschauer sind in diesen Situationen meistens das, was man am wenigsten gebrauchen kann.
Vielleicht hat ja hier jemand ein paar richtig gute Tips. Auch gerne Literaturvorschläge oder ähnliches.
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| Vielleicht | | von: klexel
erstellt: 15.02.2013 23:28:58 geändert: 16.02.2013 17:48:26 |
findet sich hier etwas beim Stöbern?
http://www.4teachers.de/url/5470
Gibt es an deiner Schule ein Streitschlichter-Programm?
http://www.streitschlichtungskongress.de/seiten/material_zur_streitschlichtung.html
zB. das Jugendrotkreuz bietet Streitschlichter-Ausbildungen vor Ort an.
http://www.jugendrotkreuz.de/jrk-in-der-schule/streitschlichter/
Ich finde es ja sehr lobenswert, dass du "gewappnet" sein möchtest für zukünftige Konflikte, aber irgendwie wird dabei das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt.
Es sind doch die Schüler, die an sich arbeiten müssen, und nicht du.
Wie sieht es da bei euch aus?
Hättest du da Unterstützung durchs Kollegium und die SL?
Wichtig wäre auch, dass ihr im Kollegium alle an einem Strang zieht, dass in Konferenzen eine ganz gerade Linie abgesprochen wird, wie welches Verhalten geahndet wird. Und diese Sanktionen müssen auch den Schülern bekannt sein (aushängen!)Sonst werdet ihr Lehrer gegeneinander ausgespielt und die SuS nehmen dich / euch nicht ernst. Konsequenz aller ist da das einzige Mittel.
Wichtig ist auch, dass ihr für eine Weile mehr Präsenz zeigt. die SuS müssen sich immer unter Kontrolle fühlen, vor allem im Haus, auf dem Schulhof etc. Das kann dann auch bedeuten, dass ihr für ein paar Monate mal statt 2 eben 6 Aufsichten einteilen müsst.
Nichts gegen einen feinen Selbstverteidigungskurs, aber das ist nicht der richtige Weg. Die Schüler müssen arbeiten - an sich!!
Habt ihr einen Sozialpädagogen in der Schule? Die sind in solchen Situationen meistens sehr hilfreich, weil sie auch einen ganz anderen Zugang zu Schülern haben als die Lehrer. Sie verteilen ja schließlich keine Noten. |
| Schule für Erziehungshilfe | | von: caldeirao
erstellt: 16.02.2013 17:36:21 |
hat den großen Nachteil, dass es dann keinen Ort mehr gibt, an den ich die "bösen" SuS noch abschieben kann. Ich bin nämlich der Ort welcher.
Normale Deeskalationsmaßnahmen scheitern oft, weil die Gewalt viel ausgeprägter ist.
Ich denke ein Selbstverteidigungskurs dient der Eskalation weniger, weil er ja auf Gewalt reagiert. Aber er kann helfen aus schwierigen Situationen gut herauszukommen.
Wichtig ist aus meiner Sicht, dass Du klare Regeln hast und die Konsequent durchsetzt. Mach richtig einen Katalog auf. Natürlich ist es hilfreich, wenn ihr da als Kollegium einheitlich handelt und vielleicht jeden Tag 2 freiwillig die Maßnahmen durchsetzen, dann muss nicht der Einzelne jeden Tag die Zeit ans Bein binden.
Ein Angriff auf die Lehrkraft muss absolut tabu sein und mit harten Sanktionen geahndet werden- einschließlich einer Anzeige bei der Polizei.
Deeskalierend ist auch, wenn Du bei den leichtesten Anzeichen sofort einschreitest. Weiterhin permanente Aufsicht, das passende Lernangebot, bei dem weder Über- noch Unterforderung auftritt. Und auch wenn Du es nicht hören willst: ruhig bleiben, Überlegenheit ausstrahlen. Ich hatte auch mal einen Schüler, der war mindestens einen Kopf größer und wollte mich zur Seite schieben. Ich schaute ihn an und fragte ihn ganz ruhig "Du willst mich doch nicht etwa anfassen" Ich hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, da sprang er zurück und dampfte wie ein begossener Pudel ab.
Viel Erfolg und lass Dich nicht unter kriegen. |
| Deeskalation ist ein langer Weg | | von: sarayda
erstellt: 16.02.2013 20:23:33 |
Hi,
mein Kollege und ich haben bei der Polizei (Kommissariat Vorbeugung) einige Fortbildungen gemacht, die wir dann über die Jahre mit Material aus der Gewaltakademie Villingen und dem ASB in Münster noch ausgabaut und aufgestockt haben.
Ich bin mir bewusst, dass wir an unserer Realschule noch sehr "nette" Verhältnisse haben. Da hast du es sicherlich schwerer.
Wichtig ist, dass die SuS dich als Respekts- und Vertrauensperson sehen. Das kannst du m.E. nur erreichen, wenn du die Kids ernst nimmst, auch wenn du gerade wenig Verständnis für ihr Verhalten hast.
Ganz wichtig in eurem Fall wäre die Pausenaufsicht im Team durchzuführen, damit sich jeweils ein Lehrer auch um einen Streitenden kummern kann.
Du musst erreichen, dass die SuS dich als fair und korrekt kennenlernen.
Dass du tatsächlich flächendeckend viel erreichst - die Hoffnung muss ich dir leider nehmen. Aber du kannst daran arbeiten, in bestimmten Situationen auch für dich besser zu reagieren.
Deeskalation ist ein Feld, dass seine Fühler in sehr vielen weiteren Feldern wie Körpersprache, Lautsprache, den alten Vier Ohren einer Nachricht, Ich und Du-Botschaften, Stressbewältigung und auch im Bereich Mobbing hat.
Fang eingach irgendwo an.
Liebe Grüße,
Heike |
| vielleicht hilft´s? | | von: ikealiebhaberin
erstellt: 17.02.2013 18:43:05 |
sarayda hat es schön geschrieben: Fang einfach irgendwo an.
Sei es, dass du dich selbst stärkst, indem du vermehrt an der Körperhaltung übst, sei es, dass du Stimmstraining mitmachst oder ein Deeskalationstraining über die Polizei (habe ich auch gemacht, man lernt Kniffe, Streitende auseinander zu bekommen, ohne selbst Opfer zu werden) und vor allem, indem du für dich einen ausgleichenden Ruhepol findest.
Wahrscheinlich ist das unterrichtliche Ziel häufig aufgrund der Unterrichtsstörungen zu vernachlässigen - umso wichtiger, dass am besten jeder einzelne anhand eines individuellen Arbeitsplans genau weiß, was er zu tun hat und allein weiter arbeiten kann, während man sich mit einem Schüler auseinander setzt.
Gut, um sich strukturell zurecht zu finden ist das Buch "Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen" von Thomas Böhm.
Fortbildungen wie Lions Quest vermitteln gezielt, wie man als Lehrer das Klassengefüge und den Einzelnen stärken kann.
Was mir noch geholfen hat, waren Rituale und gute Ordnung (nicht nur für die Schüler, auch für mich selbst) - jeden Tag eine Verhaltensrückmeldung anhand einer persönlichen Regel, der immer gleiche Tag in den Start (falls möglich)etc.
Was mir grad noch einfällt bei deiner Bemerkung zu den flinken Füßen: Falls du sportlich sein solltest und ausgerechnet deine Schüler in den Pausen immer über die Stränge schlagen sollten: Biete Laufpausen an! Geht einfach eine Runde joggen!
Viel Glück weiterhin!
Kristina |
| Detailliertere Infos: | | von: kranich2
erstellt: 21.02.2013 08:15:15 |
Meine Schüler sind Hauptschulstufe, d.h. 6.-9. Klasse (wobei viele in der 6. Klasse schon 7-8 Schulbesuchsjahre haben, also zwischen 13 und 14 sind).
Aggressiv sind unsere Schüler gegen alles und jeden, am meisten untereinander (wir haben viele Schüler mit sog. Impulskontrollstörungen). Uns Lehreren gegenüber hat das Ganze mehr die Qualität von ständigem Aufbegehren und jeden Tag neu muss klar gemacht werden, was wo wie erlaubt ist, was erwartet wird usw. Richtige Auseinandersetzungen mit Schülern mit Schreien und Beschimpfungen hatte ich in den vergangenen Monaten 4-5. Und unsere Schule fährt da auch einen sehr klaren Kurs: Bedrohungen von Lehrern werden nicht geduldet, Verweise, befristete Schulausschlüsse sind die Folge. Auch haben wir innerhalb der Schule die Möglichkeit, Schüler für einen längeren Zeitraum komplett aus dem Klassenverband zu nehmen und getrennt zu unterrichten. Interessanterweise ist das ein sehr gutes Mittel, weil sie sich dann doch nach der Klassengemeinschaft sehnen und sich oft sehr zusammenreißen, nur um wieder unter Leute zu dürfen.
So weit erstmal.
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