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Forum: "Das absurde Dasein im Schatten der Quereinsteiger"
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| Puh | | von: palim
erstellt: 27.10.2018 17:41:00 |
Ganz schön erschreckend, wobei es weniger um die Fähigkeiten der Quereinsteiger oder Anwärter geht. Kritikwürdig finde ich schon das Vorgehen im Referndariat, dass eher eine 18-monatigen Prüfung entspricht als einer Ausbildung. Quereinsteiger werden zudem ohne vorherige pädagogische Qualifizierung in die Klassen gestellt, Vertretungskräfte noch viel eher. Sie sollen aber, wie andere auch, den Unterricht in extrem heterogenen Klassen bewerkstelligen und müssten nach ihrem Abschluss als Lehrkraft auch alle weiteren Aufgaben mit übernehmen, Fachleitungen und Ausbildung ebenso wie FöS-Verfahren. Ohnedem wird es aber in den nächsten Jahren nicht gehen, auch wenn die Kultusminister schon wieder äußern, der Lehrermangel sei nur vorrübergehend und nicht so schlimm. Noch ein Signal: Warum überhaupt Lehramt studieren, mit dessen Abschluss man unflexibel ist. Da kann man sich doch auch auf die Fachwissenschaft stürzen und mit dem Uni-Abschluss dann immernoch entscheiden, ob man in die Schule gehen möchte. |
| Mich hat auch erschrocken, | | von: halb27
erstellt: 27.10.2018 18:49:21 |
dass die Lehrerausbildung immer noch primär fachwissenschaftlich orientiert ist und wenig didaktisch. Wenn ich insbesondere an die Grundschule denke: da sollten doch die Fachinhalte aufgrund der schulischen Ausbildung beherrscht werden, bzw. einzelne Defizite sollten durch persönliche nichtorganisierte Weiterbildung behebbar sein. Was hingegen Not tut, ist eine gute didaktische bzw. praxisorientierte pädagogische Ausbildung, gerade in der Grundschule. Wenn aber sogar viele Ausbildende aufgrund ihres Werdegangs wenig in der Lage sind, die Lehramtsanwärter weiterzubringen, ist das Chaos perfekt. So gesehen sind Quereinsteiger - so sie denn überhaupt 'Lehrertypen' sind - gar nicht massiv in einer schlechteren Ausgangsposition als Referendare. Insbesondere, wenn Referendare selbst im Referendariat wenig Ausbildung erfahren und wie die Quereinsteiger sich vieles selbst beibringen müssen. Selbstredend muss das Ganze für Referendare frustrierend sein. Denn wozu ist dann der ganze Ausbildungsaufwand gut? |
| Das | | von: elisabethalice
erstellt: 27.10.2018 20:10:24 |
ist wirklich erschreckend und frustrierend. Mir tun auch die Kinder leid. |
| die absurde Situation | | von: palim
erstellt: 27.10.2018 22:56:32 |
Es ist ein Trugschluss, dass Lehrkräfte an der Grundschule kein fachwissenschaftliches Studium bräuchten. Dabei geht es nicht darum, dass man im Studium die zu lehrenden Inhalte lernt, sondern dass man sich mit den Fachwissenschaften beschäftigt, um Hintergründe und erheblich vertiefendes Wissen zu erlangen. Dies braucht man unbedingt, wenn man in der Grundschule eine gute didaktische Reduktion leisten will, wenn man Inhalte fachwissenschaftlich erschließt und anschließend abwägt, welche davon im Unterricht aufgegriffen werden und wie man dies erreicht, ohne Inhalte zu verzerren, aber den Kindern verständlich erläutern kann. Zudem braucht es auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Themenbereichen, um sich genau darin zu schulen: Lehrkräfte müssen in kürzester Zeit in der Lage sein, Inhalte samt Hintergründen zu erschließen und für den Unterricht verfügbar zu haben - auch in der Grundschule. Wie man darauf kommt, dass das Studium des Lehramtes vor allem fachwissenschaftlich ausgerichtet sei, verstehe ich nicht. Ja. Fachwissenschaft ist auch dabei, aber eben auch Pädagogik, Psychologie, Schulpraktika mit vor- und nachbereitenden Seminaren, in der Regel weitere geisteswissenschaftliche Fächer, deren Inhalte durchaus schulisch relevante Aspekte beleuchten. (Wobei ich ja sagen würde, dass Pädagogik und Psychologie die "Fachwissenschaften" des Lehramtes sind, schließlich wird man ja Lehrkraft und nicht Germanist, Mathematiker, Physiker oder Historiker.) Ich habe es nicht nachgezählt, aber bei mir hielten sich der Umfang der studierten Fächer mit denen für Päd+Psy+GW geschätzt in etwa die Waage. Diskutabel finde ich die Verzahnung zwischen Studium, Ausbildungsseminar und auch späterer Fort- oder Weiterbildung, sowie die Ausrichtung des Vorbereitungsdienstes als Ausbildung. Hier geben aber die längeren Praxissemester, die inzwischen im Studium sind, vermutlich neue Impulse. Indiskutabel finde ich, dass Lehrkräfte im Quereinstieg komplett ohne den Hintergrund von Pädagogik und Psychologie in die Schulen gestellt werden und zum Teil einen verminderten Vorbereitungsdienst absolvieren. Gerade an der Grundschule ist mir nicht klar, wie diese Lehrkräfte den Erstunterricht, die inklusive Beschulung, Elternberatung, den Umgang mit Lernschwierigkeiten, Differenzierung uvm. im Nachhinein oder sogar "nebenbei" bewältigen sollen. |
| Kannst Du ein Thema benennen | | von: halb27
erstellt: 27.10.2018 23:37:11 |
und das benötigte Hintergrund-Fachwissen, das über die eigene schulische Bildung hinausgeht und wichtig ist für die Vermittlung in der Grundschule? Richtig ist sicher, dass man nicht immer jedes Thema ad hoc qualitativ hochwertig fachlich bewältigen kann. Bei mir kenne ich das bezüglich der Rechtschreibthemen. Aber Lücken sollten doch in Zeiten des Internet leicht zu schließen sein. Ich geniese das regelrecht. Das wäre nicht der Fall, wenn es häufig vorkäme. Aber gelegentliches Auffrischen bzw. neues Lernen empfinde ich als positiv. Man lernt eben immer noch dazu. Wobei ich auch nicht glaube, dass das im Studium erworbene Hintergrundwissen derartige Vorgänge überflüssig macht. Ich kenne die Wertschätzung des Fachstudiums von einigen Lehrern, insbesondere, wenn es um das Fach Mathematik geht. Dabei kommt mir immer der Verdacht, dass das hauptsächlich der Herausstellung der eigenen Qualifikation dient - die niemand in Frage gestellt hat. Ich bin selbst Diplom-Mathematiker, und es käme mir nie in den Sinn, dies als Qualifikationskriterium für meine Mathematikförderung zu betrachten. Ob ich für diese Förderung qualifiziert bin, hängt rein davon ab, wie ich mit den Kindern umgehe und wie ich die förderrelevanten Themen finde und ob ich diese den Kindern erfolgreich vermitteln kann. Mein mathematisches Fachwissen ist dabei weder förderlich noch hinderlich. Es spielt in der Grundschule schlichtweg keine Rolle. |
| die absurde Situation | | von: palim
erstellt: 28.10.2018 12:10:27 |
Ich bin es einfach leid, dass jeder meint, Grundschule könne jeder, das sei ganz einfach und ein Studium wäre obsolet. Würde man das bei einem Juristen, Zahnarzt, Ingenieur auch wünschen, der sich gut im Internet informiert? Wofür braucht es überhaupt ein Studium, wenn doch alle mit Hochschulzugangsberechtigung befähigt sind, selbst zu lesen? Dass es lebenslanges Lernen braucht, steht außer Frage, Grundsätzliches gehört aber in ein Studium, auf dessen Grundlage man dann weitere Informationen bewerten und einordnen kann. Beispiel Sprachwissenschaft: eine Menge Phonetik und Phonologie, Morphologie, kontrastive Sprachanalyse, kodifizierte und nicht-kodifizierte Grammatik, Varietäten und Soziolekte, Performanz, Phonotaktik - was mir letztlich vermutlich den Blick für die Silbe geschärft hat und beeinflusst hat, frühzeitig lehrgangsunabhängig mit Silben zu arbeiten. Mit dem Wissen bin ich befähigt, Rechtschreibfehler zu kategorisieren, Sprachfehler einzuschätzen, Schulbücher zu beurteilen und eigene Materialien zu erstellen, für Grundschüler, für DaZ-Kinder ... die Erweiterung auf Kinder mit Förderbedarf unterschiedlicher Schwerpunkte habe ich mir in den letzten Jahren erschlossen, die Grundlage war aber bekannt. Das ist nur ein einzelner Bereich, in anderen ist es aber ähnlich. Hinzu kommen die Inhalte aus Pädagogik und Psychologie Und ja, auch ich konnte damals und kann heute an Studieninhalten Kritik üben, mir geht es aber so, dass manches nicht gut genug mit Schule verzahnt war oder inhaltlich nicht genug verknüpft wurde. Seminare zu Lernschwierigkeiten, waren wichtig, Diagnostik wurde immer wieder angesprochen und ohne diagnostische Fähigkeiten kann man in der Grundschule schnell einpacken. Inhalte zur daraus resultierenden Förderplanung und angemessenen Förderung hätte ich mir schon damals ausführlicher gewünscht, heute noch mehr, wobei ich Möglichkeiten brauche, die binnendifferenziert im Klassenverband umsetzbar sind. Daran sind womöglich auch damals schon die Dozenten gescheitert. Um so dringlicher wäre es schon lange gewesen, Förderung auch personell auszustatten, statt immer mehr Stunden zu streichen. |
| Also zunächst mal: | | von: halb27
erstellt: 28.10.2018 12:47:20 geändert: 28.10.2018 12:48:39 |
GrundschullehrerIn ist ein ausgesprochen anspruchsvoller Beruf. Ich bewundere die Lehrerinnen an 'meiner' Schule, wie sie das machen. Nur: Hintergrundwisseen spielt dabei eine untegeordnete Rolle. Dein Sprachwissenschaftsbeispiel zeigt das m.E. deutlich. Phonetik und Phonologie, Morphologie, kontrastive Sprachanalyse, kodifizierte und nicht-kodifizierte Grammatik, Varietäten und Soziolekte, Performanz, Phonotaktik mögen gelegentlich hilfreich sein. Im Wesentlichen ist es aber Overhead für die Unterrichtspraxis. Das Beschäftigen mit Silben ist auch für mich ganz wesentlich. Aber wenn man aufgeschlossen mit Kindern arbeitet, ist das selbstverständlich. Der sprachliche Hintergrund wird dafür nicht benötigt. Ich leiste das auch ohne sprachwissenschaftlichen Hintergrund. Wobei die wichtige Frage zu beantworten ist: was und wie vermittle ich den Kindern das Arbeiten mit den Silben? Und auch da hilft der Hintergrund gar nichts, sondern persönliches Engagement und Recherchen bezüglich entsprechender didaktischer Methoden sind hier wichtig. Und das sollte eigentlich im Studium vermittelt werden. Didaktik, nicht Hintergrundwissen! |
| der Anteil | | von: fruusch
erstellt: 28.10.2018 12:52:08 |
der didaktischen/pädagogischen Ausbildung ist wohl von Uni zu Uni sehr unterschiedlich geregelt. Ich kenne aus dem Gespräch mit Praktikanten auch Studiengänge, in denen gerade mal zwei Semesterwochenstunden Pädagogik und ebenso viele für Fachdidaktik auf dem Plan standen, dazu im Laufe des gesamten Studiums gerade mal 4-6 Wochen Praktikum. Die Fachwissenschaften kamen parallel dazu auf weit über 20 Wochenstunden. In meiner eigenen Studienzeit war es an meiner Uni noch schlimmer, da gab es nur ca. 2 Wochen Praktikum, wenn überhaupt, und die Pädagogikveranstaltungen waren teilweise noch nicht einmal verpflichtend. In einer Reportage (arte, zobel), die ich vor ein paar Wochen gesehen habe, wurde behauptet, dass Letzteres auch heute noch an einigen Unis der Fall wäre. Insofern bin ich als Seiteneinsteiger fast genauso gut für den Schulbetrieb ausgebildet worden wie meine damaligen Lehramtskommilitonen, ich hatte nur den kleinen Vorteil, dass ich vor dem Referendariat, in das ich ebenso wie sie ins kalte Wasser geschmissen wurde, noch knapp 10 Jahre an Lebenserfahrung erwerben konnte, die mir vor der Klasse gewaltig hilft. Auch wenn ich sonst von der "Finnland-Manie" nicht ganz so überzeugt bin, in der Lehrerausbildung machen sie einiges richtig. Dort gibt es offensichtlich an jeder Uni eine Schule, in der die Studenten das Unterrichten mit echten Schülern lernen - über das komplette Studium hinweg. Das hilft sicher 100mal mehr, als den Hilbert Meyer und seine teils absurden Theorien auswendig zu können... |
| wohin | | von: palim
erstellt: 28.10.2018 13:27:22 |
Hilbert-Meyer war bei uns verpönt. Praktika gab es viele, die ersten zwei Semester wurden sie eng begleitet und das notwendige Rüstzeug für die Unterrichtsplanung vermittelt. Dadurch hatten alle Studierenden die Grundlage für die weiteren Praktika, die ebenfalls seitens der Uni begleitet wurden. Dass ich zudem in allen Schulen offenbar besonders gute Mentorinnen hatte, ist mein Glück und ich bin wirklich dankbar dafür. Die Frage, wie viel Umfang Didaktik und Methodik im Studium erhalten sollten, kann diskutiert werden, ist aber eine andere, als die Frage, wie viel Fachwissenschaft man zum Ausüben des Berufs benötigt. Es reicht eben nicht, zu wissen, was eine Silbe ist, sondern die sprachwissenschaftlichen Hintergründe der Silbenkonstruktionen und die kontrastiven Analysen zu kennen, um Fehlerschwerpunkte vorab einschätzen und entschärfen zu können, um Übungsmaterial entsprechend vorzubereiten und Finten und Hürden zu umgehen oder gerade in den Fokus zu setzen. Mein anderes studiertes Fach ist Theologie: Da reicht es nicht, die Bibelgeschichten zu kennen, es braucht den theologischen Hintergrund, Literaturkritik, Exegese, wenn man die Bibelgeschichte nicht vorlesen will, sondern selbst kürzen und erzählen kann und dabei dennoch den theologischen Kern in den Blick setzt. Das Abarbeiten von Unterrichtshilfen sehe ich persönlich nicht als Profession der Lehrkräfte an, in unserem Bundesland werden dafür für 15€ pro Std. prekär ungelernte Kräfte eingestellt. |
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