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Forum: "Probleme bei der Interpretation"
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| Brecht 2004 | | von: ankajo
erstellt: 19.10.2004 22:09:10 geändert: 19.10.2004 22:11:01 |
Ich unterrichte jetzt seit über 20 Jahren immer wieder (gerne) Brecht und die von dir geschilderten Reaktionen finde ich ganz normal. Das erste Mal war ich allerdings über derartige Reaktionen auch enttäuscht und dachte, mein Unterricht sei schlecht. Es ist doch aber interessant, wenn nicht alle einer Meinung sind, das heißt ja noch lange nicht, dass die SchülerInnen nichts mit Brecht anfangen können. Nach dieser gelungenen Präsentation, die ja sicherlich weitergehende Informationen über Brecht und seine Vorstellungen beinhaltete, wäre es doch möglich zu diskutieren/erörtern/eine Rede in Gruppen erarbeiten zu lassen/ eine talkshow zu gestalten/ ein fiktives Gespräch mit Brecht zu führen etc. unter der Thematik, warum es heute schwer fällt Brecht so zu verstehen, wie er das wollte. Wenn Brecht auch zu Wort kommt, müssen sie sich ja in ihn hineindenken.Ich finde, man muss ihn aus seiner Zeit sehen, für den heutigen Schüler ist er nicht modern oder revolutionär. Meine erwachsenen SchülerInnen haben einen Ausschnitt (1. Bild) sehr kontrovers diskutiert, vor allem die Inszenierung, die sie "völlig veraltet" fanden. Aber es hat dazu geführt, dass jetzt einige von Ihnen das Stück über die Herbstferein lesen. Auf keinen Fall würde ich die SchülerInnen mit Texten versuchen zu "bekehren", denn dann verlieren sie den Spaß an der Sache und werden Brecht nicht verstehen, was sehr schade wäre, denn er ist wichtig für unsere Literatur. Aber ich finde, sie können ihn (und damit das epische Theater) verstehen, ohne mit ihm einer Meinung zu sein. Bei anderen Dichtern und Schriftstellern ist das doch auch so. Ich bin gespannt, wie es bei dir und bei mir weiterläuft. |
| bin selber sehr gespannt... | | von: stella73
erstellt: 20.10.2004 11:15:42 |
ich bastle grad an der morgigen stunden und versuche, so übersichtlich wie möglich, das ganze heraus zu arbeiten. das mit der talkshow wäre ja eine gute idee, das problem ist nur, die schüler sind fast einstimmig der ansicht, galilei wäre ein "held", d.h. wer übernimmt dann den part von brecht, ich habe das gefühl, dass hier keine einfühlung in den autor möglich ist (welch ironie...) und es dann an mir hängen bleibt, seinen standpunkt zu vertreten. und das ist genau das, was ich am wenigsten will.. |
| sehr intensiv | | von: stella73
erstellt: 20.10.2004 18:42:49 |
beschäftigt habe ich mich jetzt mit dem werk - mir sogar ein hörspiel der dänischen fassung gekauft, was mich in meiner eigenen erkenntnis ungleich weiter gebracht hat - und es mir so vermutlich leichter macht, mit den schülerInnen über das werk zu sprechen. weißt du, mich hat es deshalb so aus der bahn geworfen, weil ich nichts erwidern konnte. sie waren so fest von ihrem standpunkt überzeugt, dass galilei ein großer held ist, dass sie mich geradezu angefeindet haben, weil ich ihnen da etwas anderes weis machen wollte. ich war nicht vorbereitet darauf und deshalb lag mir die stunde auch so im magen. jetzt habe ich das ganze noch einmal neu erarbeitet und mir quasi selber erklärt, vielleicht hilft das.
es ist eine 7. klasse AHS oberstufe, also in deutschland wäre das wohl die 10. klasse, wenn ich mich nicht irre.
ich habe mir jetzt für mich das ganze so zusammen geschrieben, dass es vielleicht auch den schülerInnen klarer ist. z.B. wussten sie ja noch nicht, dass brecht die dänische fassung deshalb umgeschrieben hat, weil er ob des atombombenabwurfs die verantwortung der wissenschaft gegenüber der gesellschaft aufzeigen wollte. dass galilei sich dieser verantwortung entzogen hat, nicht als mensch sondern als wissenschaftler - das ist ja das ding. es geht hier nicht um den menschlichen zugang zu seiner rolle, den die schülerInnen ja gewählt haben. seine opferbereitschaft wäre gefordert gewesen.... das peinliche ist ja auch, dass ich selber vieles noch gar nicht durchschaut hatte... wieso erwarte ich das dann eigentlich von den kids..
danke für deine tolle unterstützung!!! so albern es klingt, für mich ist das echt ein harter brocken.... |
| geschafft!!!! | | von: stella73
erstellt: 21.10.2004 14:53:15 |
also die heutige stunden ist wirklich super gelaufen!!! ich habe gleich zu beginn gesagt, dass ich in der letzten stunde etwas aus dem konzept war und deshalb gern die diskussion neu entfachen würde, vorher allerdings gerne noch einiges zur entstehungsgeschichte und brechts situation sagen wolle. dann habe ich eben von der ersten dänischen fassung erzählt, von brechts versuchen, den kampf zwischen kirche und wissenschaft als synonym für die situation im ns-deutschland zu verwenden, seine reaktion auf die uraufführung, die gründe für die änderungen in der amerikanischen und später ja auch deutschen fassung - seine enttäuschung der wissenschaft gegenüber ob dem bombenabwurf in japan,... danach habe ich mit ihnen gemeinsam noch einmal schlüsselszenen gelesen und besprochen - auf einmal vielen worte wie "naiv", "rücksichtslos", "kurzsichtig" im zusammenhang mit galilei. nach wie vor fällt es ihnen schwer, seinen widerruf zu verurteilen - da ist zu viel einfühlung mit dem menschen galilei vorhanden, aber sie haben den ansatz verstanden. als abschluss haben wir uns noch das gespräch zwischen papst und inquisitor auf cd angehört. das war total bewegend. die monotone stimme des inquisitors, der immer unsicherer werdende papst...
mir fällt so ein stein vom herzen, denn ich hatte echt angst, dass ich völlig unfähig bin, "große" literatur zu vermitteln... ich war ja immer mehr so der brecht/schiller/lessing/kafka vermeider.... faible für mittelhochdeutsche literatur, großer goethe fan und dann eigentlich nur mehr zeitgenössisches a la dürrenmatt. deshalb ist die vorbereitung für mich oft sogar eine ersterarbeitung!!!
ich danke euch auf jeden fall, dass ich das mit wem teilen konnte - im freundeskreis dominieren nämlich eher andere themen... und mein herzblatt kanns wohl auch nimma hören!!! |
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