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Forum: "Zwei Klassen mit jeweils mehreren verhaltensauffälligen Schülern"
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| Buchtipp: | | von: joqui
erstellt: 20.11.2008 15:59:16 |
Warum Kinder zu Tyrannen werden - da werden dir ein paar Lichtlein aufgehen...
Bei uns an der Schule sind auch so ein paar "Kandidaten". Die Extremfälle bekommen genau eine Verwarnung und dann muss das Kind abgeholt werden. In besonders schweren Fällen darf es dann am Folgetag auch nicht in die Schule.
Was sagt denn dein SL dazu?
Viel Kraft und viele Grüße
joqui
hier noch der Link zum Buch:
http://www.4teachers.de/url/3080 |
| Hm... | | von: ninniach
erstellt: 20.11.2008 16:19:55 |
Das Tyrannenbuch ist schön und gut, aber ich glaube nicht, dass es hier wirklich weiterhilft. Es spielt vielleicht ein wenig mit rein, dass die Eltern keine Grenzen setzen, aber ich glaube, dass das in den Fällen, in denen AD(H)S wirklich richtig diagnostiziert wurde, nicht nur daran liegt und das die Eltern alleine nicht durch "bessere Erziehung" hätten hinbiegen können.
Da ist vielmehr professionelle Hilfe gefragt. Meine Klasse ist insgesamt sehr aufgeweckt, mit vielen unruhigen, konzentrationsschwachen Kindern und ein Kind ist ähnlich, wie das beschriebene. (Ja, die Vermutung liegt nahe, dass sich das Kind zu Hause, wenn es seinen Willen nicht bekommt, auf den Boden wirft/um sich schlägt/schreit und dann am Ende doch das bekommt, was es wollte, aber da gibt es auch noch ganz massive Probleme mit der Wahrnehmung, die ich eher als Auslöser sehe.) Außerdem hilft die Buchlektüre niemandem weiter. Da gibt es schon so viele festgefahrene Strukturen in der Familie, die ganz schwer aufzubrechen sind (und in meinem Fall auch so viele Unzulänglichkeiten der Eltern, die durch das Buch nicht einfach verschwinden).
Vielmehr frage ich mich, was bei euch (welches Bundesland? B-W?) der Weg ist in solchen Fällen. Bei uns nimmt man Kontakt zum Jugendamt auf und reicht eine Meldung zur Überprüfung auf Förderbedarf Erziehungshilfe ein. Dann wird weiter entschieden, in welchem Rahmen das Kind beschult werden kann. Bei mir hat auch mal die Schulleitung hospitiert und wir haben dann mit den Eltern gemeinsam entschieden, dass das Kind (Erstklässlerin) erstmal nur zwei Stunden zur Schule kommt und wir das so steigern, wie es klappt. Inzwischen sind wir bei drei Stunden und es geht ein wenig besser. Ich glaube allerdings, dass das damit zusammenhängt, dass ich das Kind besser kenne und daher auch eher weiß, wie ich mit ihr umgehen muss und wann es vielleicht auch zu viel wird. |
| Zustimmung | | von: mglotz
erstellt: 20.11.2008 17:47:13 |
Das genannte Buch hilft sicher nicht weiter. Der Hinweis auf das Jugendamt bzw. Überprüfung auf Förderschulbedürftigkeit schon eher. Allerdings wollen die meistens Fakten sehen, d.h. auch in schulrechtlicher Hinsicht, z.B. "drei Mitteilungen an die Ezb. wg Unterrichtsstörung, ein Verweis, Unterrichtsausschluss, usw" Man dokumentiert damit, etwas getan zu haben. Dies wäre auch wichtig beim Einschalten eines Schulpsychologen bzw. eines Beratungslehrers. Die schulische Schiene ist dann meist ausgereizt und das unmögliche Verhalten bleibt.
Außerschulisch müsste bei ADHS ein KJP oder Kinderarzt nach einer Differentialdiagnose eine Therapie beginnen, meist am Anfang mit MPH und ergänzend z.B. Ergotherapie, Verhaltenstherapie, Lerntherapie, Familientherapie. Nun kommt hinzu, dass die Familie "absolut an den Grenzen ist", d.h. es kommt das Jugendamt wieder ins Spiel, indem es z.B. einen Erziehungsbeistand bestimmt oder eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik für Kinder oder in ein SPZ veranlasst - je nach dem, was es kostet bzw. was die Betroffenen abnötigen können!
Als betroffener Lehrer würde ich mittelfristig die Unterrichtung für dieses Kind ohne therapeutische Maßnahmen ablehnen und zwar aus zwei Gründen: die anderen werden permanent gestört und um ihren Lernerfolg gebracht; das eigene psychosoziale Wohlbefinden als Lehrkraft leidet stark unter diesen Schülern, sodass schlicht mit einem frühzeitigem Verschleiß gerechnet werden muss - man verträgt solche Schüler auf Dauer nicht!
Genug der Worte:Alles unternehmen, dass dieses Kind mit einer richtigen Therapie in der richtigen Schule Lernzuwächse verzeichnen kann!
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| Unabhängig | | von: ninniach
erstellt: 20.11.2008 19:44:38 |
von der Schulleitung muss es doch einen Weg geben, wie in deinem Bundesland mit Kindern umgegangen wird, die aus dem Rahmen fallen. Wenn das bei den Kindern aus deinen Klassen nur annähernd so ist, wie bei dem Kind aus meiner Klasse, dann ist dieses Kind so ohne weiteres eigentlich gar nicht beschulbar. Wir arbeiten auf eine Integrationsmaßnahme hin, damit Unterstützung in die Klasse kommt, denn von der Leistung her ist das Mädchen eher bei den besseren dabei. Es kann ja nicht sein, dass es da gar nichts gibt, was man bei euch mit solchen Kindern normalerweise unternimmt.
Ich habe auch von Anfang an alles dokumentiert. Das mit dem Stuhl werfen. Das Schlagen und Treten. Das Erpressen anderer Schüler auf dem Schulhof. Das länger auf dem Schulhof bleiben. Jedes Elterngespräch. Das Elterngespräch, in dem die Eltern mir sagten, dass vom Kinderarzt und dem SPZ Medikamente empfohlen wurden, die sie aber ablehnen. Die Kollegin vom Beratungs- und Förderzentrum war frühzeitig eingeschaltet und hat ihren Bericht geschrieben.
Wenn es wirklich SO ist, dann zieh dir selbst auch bloß nicht den Schuh an, dass das an dir liegt. Zwischenzeitlich hatte ich auch mal so eine Zeit, in der ich dachte, dass ich irgendwas falsch macht, aber da haben mich andere aufgefangen, die dabei waren.
Und ja, bei den ganzen Dingen, die ich ins Rollen gebracht habe, ist mein Hauptanliegen auch der Rest der Klasse, der ein Recht auf geregelten Unterricht ohne permanente Störungen hat.
Ich glaube auch, dass an dieser Stelle ein Buch, das zwar einen (Bruch-?)Teil erklärt, aber auch keine Hilfe bereithält, erstmal nutzlos. Das kann man vielleicht lesen, wenn sich die Situation wieder beruhigt hat, um es eventuell dann auch Eltern weiterempfehlen zu können, falls man das für angemessen hält. Wichtiger ist doch, dass an der Situation was geändert wird. Ich kenne nur die Vorgehensweise für Hessen, aber es muss doch in jedem Bundesland Möglichkeiten abgeben. Ich weiß, dass ich sehr viel Unterstützung hatte an meiner Schule, aber selbst wenn das nicht so ist, gibt es doch sicher Möglichkeiten.
Und nochmal zu AD(H)S
Man könnte sich jetzt fragen, weshalb mehr Kinder mit ADHS diagnostiziert werden. Ich bin sicher, es gibt da die Fälle, bei denen es den Beteiligten nur darum geht, eine Entschuldigung zu haben für ein Fehlverhalten und das wars. Aber es gibt WIRKLICH Kinder, die ganz massive Probleme haben, die sich absolut außerhalb allem akzeptablen benehmen, aber nicht, weil sie nicht anders wollen, sondern weil es ihnen in der jeweiligen Situation gar nicht anders möglich ist. "Mein Fall" wirft nie lachend mit Stühlen. Wenn sie ausrastet, dann hat sie in einer Situation, in der es für uns nicht nachvollziehbar ist, Angst um ihr Leben und reagiert auf etwas, was wir so nicht wahrnehmen auf dem einzigen Weg, der ihr möglich ist. Diese andere Wahrnehmung hätten auch Eltern, die ihr klare Linien vorgeben, nicht verändern können. Vielleicht würde sie etwas anders reagieren, aber das Grundproblem wäre noch da.
Ich dachte vorher auch, dass ADS mehr ein Modebegriff ist, aber seit ich dieses Kind kenne und auch je länger ich es kenne, desto mehr verstehe ich, wie sehr solche Kinder und auch ihre Eltern eigentlich unter der Krankheit leiden. Da sollte man, auch als Lehrer, nicht einfach nur abwinken und es als lahme Entschuldigung werten, sondern, wenn das jemand sagt, etwas genauer hinschauen und vielleicht auch hinterfragen und in Erfahrung bringen, was eventuell schon an Therapien gelaufen ist, die das Kind da hin gebracht haben, wo es inzwischen ist. (Ich merke nämlich auch, dass man mit den Kindern arbeiten kann und dass es auch so was wie eine Entwicklung gibt. Aber man muss bereit sein, sich darauf wirklich einzulassen.) |
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