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Forum: "Individuelle Förderung in großen HS-Klassen"
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| Individuelle Förderung in großen HS-Klassen | | von: ishaa
erstellt: 06.11.2009 23:28:05 |
Ein anderer möglicher Forentitel wäre: "Eigenverantwortliches Arbeiten und ADHS", daher in diesem Bereich.
Ich sehe mich in einem ziemlichen Dilemma: 5. Klasse HS, 30 SchülerInnen, viele davon mit Teilleistungsstörungen(LRS, Dyskalkulie, ADHS, Wahrnehmungsstörung). Aufgrund von Lehrermangel gibt es für die Klasse keine einzige Förderstunde, was rechtlich gesehen schon mal ein Unding ist.
Unsere oberste Chefin (NRW) würde jetzt sagen, alles kein Problem, fördern wir halt individuell, EVA (eigenverantwortliches Arbeiten), die Stärkeren helfen den Schwächeren, differenzieren bis zum geht nicht mehr und gut ist.
Die Grundregeln für den Umgang mit ADHS-Kindern sagen: Klare Strukturen und Regeln, Rituale, konsequentes Verhalten.
Für mich passen diese Dinge so gar nicht zusammen. Eine wirkliche Individualisierung wie die Klasse sie bräuchte, würde einen total offenen Unterricht erfordern und der überfordert die meisten Kinder. Schon das Malen mit Wasserfarben ist trotz strengster Ritualisierung ( Tischgruppe 1 geht Material und Wasser holen, dann Tischgruppe 2 etc.) meist ein Fiasko. Alleine die Möglichkeit, sich (leise!) zu unterhalten und den Platz für einen Gang zum Regal und zum Waschbecken verlassen zu können, stellt für einige eine komplette Reizüberflutung dar.
Wenn 30 SchülerInnen selbständig arbeiten kann dies nicht immer schriftlich erfolgen, in einem Klassenraum führt es aber zu einem unerträglichen Lärmpegel. Meist steht ein gegenüberliegender Klassenraum zu Verfügung, viele Kinder können aber gar nicht damit umgehen, einige Minuten ohne Aufsicht zu sein.
Das Hauptproblem ist natürlich, dass ein Großteil der Klasse auch einfache Arbeitsanweisungen nicht umsetzen kann und wirklich ganz individuelle Hilfestellungen bräuchte.
What to do? Eigentlich müsste ich für ein Drittel der Klasse einen Antrag auf Überweisung an die Förderschule stellen, da sie bei mir nicht angemessen gefördert werden können. Mit weniger Kindern oder Förderstunden in Kleingruppen wäre es für mich kein Problem, alle diese Kinder angemessen zu fördern.
Für ein Vorgehen nach dem Motto "Des Kaisers neue Kleider" eigne ich mich so gar nicht, bin eher immer die erste die schreit , dass er ja splitterfasernackt ist. Es wäre auch ein Verbrechen an den Kindern, die ja wirklich einen Anspruch darauf haben, individuelle Förderung zu erhalten.
Die Eltern rebellisch machen, dass sie diese Förderung einklagen? Viele Eltern sind dazu nicht in der Lage, außerdem setzte ich mich damit (ausnahmsweise wieder mal ) in alle verfügbaren Nesseln (die eigene Schule schlecht machen etc.).
Und dies noch: Mit dem letzten Rest an Selbsterhaltungstrieb, den ich auftreiben konnte, habe ich mich gebremst und den Förderunterricht nicht noch freiwillig und "kostenneutral" nachmittags selbst gemacht. Wären es nur zwei oder drei Kinder, die das bräuchten, würde ich das wahrscheinlich auch noch tun.
Stellungnahmen höchst willkommen
ishaa |
| Ich bin wirklich ein Freund des individualisierten Unterrichts, aaaber. | | von: lupenrein
erstellt: 10.11.2009 21:26:41 geändert: 10.11.2009 21:31:54 |
meine Gespräche mit Kollegen, die ich befragt habe und eigene Erfahrungen haben eines ganz klar ergeben:
Bevor an Individualisierung, Gruppentische, Gruppenarbeit etc. auf Dauer gedacht wird, muss zuallererst sehr lange die Einübung verbindlicher gemeinsamer Regeln und Rituale regelrecht automatisiert werden.
die Kids kommen ja meist aus unterschiedlichen Grundschulen mit anderen Regeln, haben neue Klassenkameraden, haben Defizite etc.
Zuerst müssen sie neben einer freundlichen Atmosphäre erst einmal Sicherheit durch ein Netz für alle verbindlicher Regeln erfahren.
Das und "stumpf ist Trumpf": Auswendiglernen des kleinen Einmaleins, der Quadratzahlen bis 15x15 gibt ihnen weitere Sicherheit.
Bis dahin statt Gruppentische besser alle in eine Richtung blicken lassen können/müssen - zum Lehrer -
Dies und die neu gewonnenen Freundschaften wiederum ermöglicht es ihnen erst, sinnvoll weitere schwere Dinge wie Partnerarbeit, Gruppenarbeit (ich wende Norm Green an.)überhaupt zu bewältigen. Meine 5 (Gesamtschule NRW) unterscheidet sich nicht von einer Hauptschule. Ich habe die persönlichen Vergleiche. Der Unterschied ist meist die Klassengröße von 30 Kindern gegenüber 20 in der Hauptschule.
Hör nicht auf die, die dir erzählen wollen, du kämst mit dem Stoff nicht durch.
Meine Erfahrung: Erst wenn die Regeln und Rituale "sitzen" und du für eine angstfreie lernfördernde Atmosphäre gesorgt hast, kann fachlicher Unterricht erst wirklich funktionieren.
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| Nun ja, | | von: ishaa
erstellt: 10.11.2009 22:21:37 |
an der Gesamtschule sind vermutlich auch ein paar Kinder mit Realschulempfehlung, bei mir in der Klasse sind das zwei, und wie gesagt, 30 habe ich auch.
Natürlich hast du Recht mit allem, was du schreibst, lupenrein. Da ich den Job schon länger mache, ist mir der Stoff in Klasse 5 inzwischen wirklich ziemlich "egal". Es kann mir aber nicht egal sein, wenn Kinder sich nur im Zahlenraum bis 20 halbwegs sicher bewegen können, nicht sinnentnehmend lesen können, nicht so schreiben können, dass man es entziffern kann, keine Pause ohne Handgreiflichkeiten hinter sich bringen können, keinen Schulvormittag ohne "mir ist so schlecht"/"ich kriege keine Luft" ertragen können, nicht neben jemandem sitzen können, ohne den zu piesacken etc. pp.
Individuelle Zuwendung zum einzelnen und seinen Problemen wäre gefordert und dazu ist weder Zeit noch Raum. Dennoch müsste ich eigentlich für jedes Kind einen Förderplan erstellen. Das könnte ich auch. Aber warum sollte ich das tun? Ich opfere meinen Nachtschlaf dafür und die eigentlich nötige Förderung findet nicht statt.
Auch nach einem von dir beschriebenen Beginn bleibt die Reizüberflutung offener Unterrichtsformen für ADHSler bestehen.
Ich betone noch einmal: Die Klasse kann sehr ruhig arbeiten, wenn alle das gleiche tun. Da einige Kinder erhebliche Schwächen haben, kommen sie irgendwann gar nicht mehr mit. Sie werden auch nicht in der Lage sein, unsere Abschlussprüfungen zu bestehen.Es sei denn, die Eltern setzen sich mit ihnen hin. Das können nicht alle Eltern. Außerdem wäre es eigentlich meine Aufgabe.
Noch einmal die Frage: Schicke ich die alle an die Förderschule?? |
Beitrag (nur Mitglieder) |
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