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Forum: "Schwierige Pflegefamilien"
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| Schwierige Pflegefamilien | | von: bger
erstellt: 09.01.2013 17:58:54 |
Mich macht ein Anruf stutzig, den ich heute von einer
ehemaligen Schülerin bekommen habe. Mit 18 ist sie im
Streit von der Familie weggezogen, hat seitdem keinen
Kontakt mehr. Mir machte die Familie immer einen
ausgesprochen guten und engagierten Eindruck, das
Verhältnis schien liebevoll. Nun deutete das Mädchen an,
das Klima sei schon lange nicht gut gewesen. Mehr weiß
ich nicht.
Was mich daran stutzig macht ist, dass ich schon in der
Vergangenheit mehrere Fälle von Pflegekindern hatte, bei
denen mir alles in Ordnung schien, aber kurz nach der
Schulentlassung zog das Pflegekind weg und ließ kein
gutes Haar mehr an der Familie.
Natürlich bin ich nicht so naiv zu glauben, man braucht
nur das Kind in eine Pflegefamilie stecken und es
herrscht Friede, Freude, Eierkuchen. Aber für mich
stellt sich jetzt die Frage, sind vermutlich einfach die
Pflegekinder schwierig oder schaut das Jugendamt bei der
Auswahl und Betreuung der Familien nicht genau genug
hin? Was habt ihr da für Erfahrungen gemacht? |
| Pflegemutter | | von: kapriole
erstellt: 09.01.2013 18:25:41 |
Das interessiert mich auch!
Zum einen als Lehrerin, zum anderen aber auch als Pflegemutter. Wie sich unser 13jähriger Pflegesohn mal entscheiden wird, weiß ich jetzt noch nicht. Aber ich kenne viele Pflegekinder, die auch als junge Erwachsene weiterhin einen engen Kontakt zu ihren Pflegeeltern haben, die sie oft als ihre "wirklichen" Eltern, nämlich die, die da waren und sich gekümmert haben, ansehen. Gerade in Zeiten des "Umbruchs" wie Schulende, Pubertät, Heirat ... reagieren Pflegekinder allerdings oft etwas stärker als leibliche Kinder - und nicht nur da
Der Kontakt und die Kontrolle durch das Jugendamt ist zumindest bei uns ziemlich groß, wobei man Ämter sicher auch leicht täuschen kann, wenn man will. Dies hängt natürlich auch von den jeweiligen Sachbearbeitern ab, von ihrer Zeit und ihrem Interesse. |
| die andere Seite | | von: ginger_lucy
erstellt: 10.01.2013 15:34:20 |
Pflegeeltern machen die leidvollen Erfahrungen tatsächlich recht häufig, dass ihre Pflegekinder sich gegen sie wenden, sobald diese in die Selbständigkeit entlassen werden. Sie wollen genau so unabhängig und frei sein, wie andere junge Menschen in ihrem Alter. Nur dass diese in der Regel keine Beziehungsabbrüche erfahren haben und von Anfang an behütet in ihrer Familie aufwachsen durften. Pflegekindern fehlte diese Sicherheit. Sie hatten vorher keine Verlässlichkeit und Beständigkeit erfahren dürfen. Sie merken nun, dass sie mit dem erneuten Abbruch der Beziehungen überfordert sind. Viele von ihnen leiden weiterhin unter Posttraumatischen Belastungsstörungen und Bindungsstörungen. Wieder erleben sie die gleiche Wut und Verlassenheitsängste, wie zu der Zeit, als sie von ihrer Herkunftsfamilie getrennt wurden. Oft scheint es, als würde ein Schalter umgelegt werden, sobald sie auf eigenen Beinen stehen (sollen). Sie diffamieren die Pflege- oder Adoptiveltern in der Öffentlichkeit. Gegen wen sollen sie ihren Groll auch richten? Wie oft bei traumatisierten Menschen üblich, werden phantastische Geschichten erfunden, denen keiner auf den Grund geht. Warum auch? Tragödien, die die jungen Menschen vielleicht im Fernsehen gesehen haben, machen sie sich zu Eigen. Sie haben durch ihr Schicksal oft eine gestörte Wahrnehmung und können zwischen Realität und Fiktion selten unterscheiden. Die angeblich schrecklichen Erfahrungen in ihren Pflege- oder Adoptivfamilien machen sie interessant. Sie fühlen sich als Opfer und erwarten unbewusst wieder die Fürsorge, wie sie sie bei ihren neuen Familien gefunden hatten. Als Quereinsteiger in ein Familienleben im Schulalter oder noch später fehlen ihnen die Grundfesten für ein späteres stabiles Erwachsenenleben. Für ein eigenständiges Leben sind sie lange nicht reif genug.
Pflegefamilien leiden unter dieser negativen Entwicklung. Die Kinder gehören weiterhin zu ihren Familien, auch wenn die Jugendhilfe beendet ist. Sie können sich gegen die Vorwürfe hinter ihrem Rücken nicht wehren und was noch dazu kommt, sie lassen sich in der Öffentlichkeit nicht klarstellen. Ein Pflege- oder Adoptivkind groß zu ziehen, ist kein Zuckerschlecken. Den meisten Familien aber macht es viel Freude, einem aus dem Nest gefallenen Kind ein liebevolles Zuhause zu geben und es mit seinen Beeinträchtigungen anzunehmen und zu fördern. Es müssen schon sehr zerrüttete Verhältnisse und schwere Verhaltensstörungen vorliegen, wenn die Pflegeeltern die Maßnahme vorzeitig beenden. Dies geschieht aber nur zusammen mit dem Jugendamt und auch mit dem Wissen der Lehrkräfte.
Wir haben uns angewöhnt, uns behutsam mit jeweils anders formulierten Fragen die Vorwürfe erklären zu lassen, die gegen Eltern vorgebracht werden. Den jungen Menschen ist oft nicht bewusst, wie sie sich mitunter durch solche Verleumdungen selber schaden. Einigen Familien bleibt oft nichts anderes übrig, als sich von ihnen abzuwenden. Ein sehr schmerzhafter Prozess für alle Beteiligten, doch die meisten halten die Beziehung aufrecht.
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| @ ginger-Lucy | | von: caldeirao
erstellt: 10.01.2013 17:51:47 |
danke für Deinen interssanten Beitrag.
Man sollte auch bedenken, dass aus "normalen" Familien selten Pflegekinder entstehen, sondern es sind ja meist Familien mit Menschen, die ebenfalls erhebliche Defizite haben- ob im kognitiven Bereich oder emotionalen Bereich, oft spielen Alkohol oder Drogen eine Rolle usw. Das hat die Kinder meist schon in ihrer pränatalen Entwicklung beeinträchtigt. Weitergeführt als Säuglich und Kleinkind. Nach einer Odysee von traumatischen Erlebnissen kommen die Kinder raus und das in eine normale Mittelstandsfamilie mit all ihren Traditionen, Regeln, Ansprüchen, Vorstellungen usw. Auch das führt zu Konflikten. Was würdet ihr machen, wenn Euer Kind die Lehre abbricht? Würdet ihr nicht auch kämpfen, dass das Kind seinen Weg geht? Da entstehen Konflikte.
Übrigens habe ich davon eher weniger gehört, dass Kinder Ihre Beziehung zu den Eltern abbrechen, obwohl ich auch schon einige Pflegekinder unterrichtet habe. Aber ich kann es mir lebhaft vorstellen. |
| stigmatisierungsgefahr... | | von: unverzagte
erstellt: 10.01.2013 18:03:57 |
wittere ich in den vorhergehenden beiträgen:
es ist doch nicht so, dass ausschließlich pflegekinder beziehungsabbrüche erfahren. die heile mittelstandsfamilie mit all ihrer kuscheligen heimeligkeit ist doch längst keine regel mehr, die mag es auf dem verschneiten land geben - in den klassen, in denen ich unterrichte sind mindestens die hälfte der mütter und väter alleinerziehend. patchworkfamilien prägen den alltag vieler kinder. die haben verluste erfahren aus den verschiedensten gründen, haben allerdings meist das "glück" gehabt, nicht in pflegefamilien gelandet zu sein.
wenn ich mitkriege, dass die mutter eines erstklässlers sich umgebracht hat und der vater vollkommen überfordert seinem kleinen hasen damit droht, er müsse weihnachten vielleicht ohne ihn verbringen, dann wünsche ich mir fast, dass eine pflegefamilie rettet, was noch zu retten ist.
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