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Forum: "Guter Rechtschreibunterricht in der Grundschule"
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| Guter Rechtschreibunterricht in der Grundschule | | von: aloha82
erstellt: 16.07.2013 22:50:38 geändert: 16.07.2013 22:57:28 |
Dieser Beitrag ist umfangreicher geworden, als ich es
zuerst wollte, darum sage ich hier am Anfang schon
zusammengefasst, worum es mir geht:
1) Wie schafft man es, dass Kinder, die in Klasse 1+2
nach dem Prinzip Lesen durch Schreiben/Schreib wie du
sprichst mehr oder weniger unreflektiert an die
Rechtschreibung herangeführt wurden, in Klasse 3+4 in freien
Texten eine recht fehlerfreie Rechtschreibung (5-10% Fehler)
zeigen können?
2) Sind Kinder im Alter von 9-10 Jahren kognitiv
überhaupt in der Lage, eine auf Regelwissen und
Regelanwendung basierende Rechtschreibung so zu nutzen,
dass Ende der 4. Klasse nahezu fehlerlose (5% Fehler) freie
Texte selbstständig produziert werden können? (und damit
meine ich natürlich NICHT einzelne Kinder, die es
schließlich immer gibt sondern den Großteil einer Klasse
(75%))
3) Sind die Ausnahmeregeln in der deutschen
Rechtschreibung nicht viel zu viele, um sich alles über
Regelwissen anzueignen und dann Spezialfälle zu lernen?
Wäre es für Kinder nicht einfacher, wieder vom 1.
Schuljahr an zu lernen, wie Wörter richtig geschrieben
werden, einfach weil sie die Schreibweisen perfekt
verinnerlichen und so das Wort immer richtig schreiben?
Damit meine ich keinen "du darfst keinen Fehler machen-
und die freien Texte lassen wir mal besser die ersten
Jahre-Unterricht".
4) In welchem Umfang betreibt ihr
Rechtschreibunterricht explizit in der Woche? 1 Stunde,
2 Stunden? Mehr? Welche Materialien habt ihr dazu?
Regelheft? Diktatheft? Gar nichts explizites für die RS?
Ich habe nun zum ersten Mal eine 3. Klasse durchs
Schuljahr gebracht, vorher war ich fast ausschließlich
in Klasse 1 und 2 unterwegs. Nach diesem Jahr nun habe
ich das Gefühl, die Zeit in den 1. und 2. Klassen früher
falsch für die Rechtschreibung angewendet zu haben: So
wie ich es von meinen (älteren) Kollegen beigebracht
bekommen habe, habe ich die Kinder schreiben lassen, wie
sie sprechen und oft den Satz gehört "So muss das sein,
das entwickelt sich alles noch." Nun bin ich, wie
gesagt, am Ende der 3. Klasse angelangt und stelle diese
angebliche Entwicklung nicht fest! Und zwar vor allem
auch nicht bei Schülern, die in übrigen Fächern locker
zwischen sehr gut und gut stehen. Und das lässt mich
etwas aufhorchen.
Zu Beginn des 3. Schuljahres bekam ich das, was ich von
all den Schulen, an denen ich die letzten Jahre
gearbeitet habe, kannte: Kinder, die zum größten Teil
schreiben, wie sie sprechen. Einige ganz wenige Regeln
der Rechtschreibung waren bekannt (Großschreibung von
Satzanfängen, Nomen groß, Verben und Adjektive klein),
wurden in freien Texten aber konsequent nicht
angewendet.
Ich habe dann ein recht großes Programm zur Förderung
der Rechtschreibung aufgezogen. Die bekannten Regeln
natürlich wiederholt und dann übergegangen auf alles
weitere (ich Liste hier mal einige der Punkte explizit
auf, habe sie den Lehrplänen NRW entnommen, ich habe
daran wirklich konsequent mit den Kindern geübt, darum
ist es auch recht viel):
- Wörter auf die Grundform zurückführen und in
abgeleiteten oder verwandten Formen die Schreibung des
Wortstamms beibehalten
- Wörter aus der Grundform oder aus verwandten
Formen so ableiten, dass die Umlautung und b, d, g und s
bei Auslautverhärtung richtig notiert werden (z. B. sagt
– sagen, die Hand – die Hände)
- Wörter mit Doppelkonsonanten-Buchstaben und ck
und tz schreiben
- Wörter mit langem i-Laut (ie) schreiben (z. B.
Brief)
- Wörter mit häufig vorkommenden Vor- und
Nachsilben schreiben
- Namen und Nomen mit großen Anfangsbuchstaben
schreiben (soweit das ohne Bezug zum Satz möglich ist)
- den Satzanfang groß schreiben
- Punkt, Fragezeichen und Ausrufezeichen sowie die
Zeichen bei wörtlicher Rede setzen
In meiner Klasse zeigt sich nun folgendes Phänomen:
1) Gespräche über RS: Regelverständnis ist vorhanden.
Die Kinder können mir auf explizite Nachfrage ERKLÄREN
warum ein Wort geschrieben wird, wie es geschrieben
wird, wenn ich einen typischen Fall dafür nenne
(Beispiel: Warum schreibt man "Motto" mit zwei t?
Antwort: o wird kurz gesprochen; Wie schreibt man Biene?
Antwort: Mit -ie, langes i usw.) Manche Regeln sind
natürlich etwas schwieriger für manche Kinder, das ist
klar, ich habe grade aber Schüler mit einer soliden 2 im
Kopf, die mir auch Herleitungen (sagt mit g, weil es von
sagen kommt) nennen können.
2) Freie Texte: Die Geschichte/Inhalt steht absolut
im Vordergrund. RS wird kaum beachtet, selbst so
einfache Regeln wie "Am Satzanfang Großschreibung" wird
nicht beachtet, Nomen werden klein geschrieben,
Adjektive groß, es werden keine oder nur sehr wenige
Punkte gesetzt, Wortgrenzen werden nicht eingehalten, -
ie findet gar nicht mehr statt, jedes g am Wortende wird
zum k, jedes d ein t, Doppelkonsonanten nur minimal
eingesetzt. Diese freien Texte sind meist an
erarbeiteten Schreibkriterien gut orientiert, selbst
schwächere Schüler blühen dort etwas auf und schaffen
inhaltlich gute Leistungen. Die RS wird dabei NICHT zur
Gesamtnote herangezogen! Die Kinder haben übrigens auch
eine Korrekturphase beim Schreiben, hier schauen sie
allerdings fast ausschließlich auf die INHALTLICHEN
Fehler und korrigieren diese.
3) Diktate: Hier schreiben mir Kinder mit
durchschnittlicher RS-Leistung in freien Texten fast
fehlerfreie Diktate (70 Wörter 0-3 Fehler). Kinder mit
schlechter bis sehr schlechter RS Leistung in freien
Texten schreiben im Diktat von 70 Wörtern um die 10
Fehler.
Die Diktatleistungen haben mich sehr überrascht, habe
auch erst spät im Schuljahr (letztes Viertel, nach
Ostern) mit Diktaten begonnen, weil mir die Schreibung
echt zu bunt wurde.
Was fange ich denn mit diesen Ergebnissen jetzt an? Eine
Gruppe von Kindern, die Regeln der RS kennt und sogar
erklären kann, diese Regeln aber fast auschließlich NUR
in diktierten Texten anwendet.
Meine Meinung ist die folgende: Wie so oft heutzutage
haben diese Schüler in der 1. und 2. Klasse kaum bis gar
keine Verbesserung ihrer RS erfahren. In der 3.Klasse
existiert diese Rechtschreibung zwar, wird aber aufgrund
der starken inhaltlichen Gewichtung wieder nur hinten
angestellt. Es herrscht kaum die NOTWENDIGKEIT richtig
zu schreiben. An dieser Stelle kamen mir halt die
Diktate in den Sinn. Wie gesagt, war ich dann sehr
überrascht über das doch recht positive Ergebnis im
Vergleich zu den freien Texten.
5)WIE ABER UM HIMMELS WILLEN BEKOMME ICH DIE KINDER
DAZU, DIESES KÖNNEN AUCH IN FREIEN TEXTEN ZU NUTZEN?
Es scheint ja auch ein kognitiver Zusammenhang zu
bestehen. Der Arbeitsspeicher ist mit dem Inhalt des
Textes beschäftigt (Bildergeschichten, Nacherzählung,
diese Dinge eben). Überarbeitungsphasen sind sinnvoll,
klar, die Vielzahl der Fehler können aber nicht mit
Hilfe von Wörterbüchern oder Herleitungen beseitigt
werden.
Ich will ja Schreiber, die Wörter schon in der ersten
Schreibphase zu einem hohen Prozentsatz richtig
schreiben (90-95%) und höchstens einzelne Wörter
nachschlagen müssen (z.B. Aquarium, Universum etc.)
Zumindest zum Ende des 4. Schuljahres sollte dies da
sein, dies sagen mir ja auch die Lehrpläne:
"Die Schülerinnen und Schüler schreiben Sachverhalte,
Erfahrungen, Gedanken und Gefühle für sich und andere
auf. Sie lernen, ihre jeweiligen Schreibabsichten mit
Hilfe entsprechender Sprachmittel und Textmuster bewusst
zu gestalten. Sie orientieren sich dabei zunehmend an
regelkonformen Schreibweisen und benutzen dazu
entsprechende Strategien und geeignete Hilfsmittel."
6)Obwohl es durch das Wort "zunehmend" ja auch recht
vage wird. Was soll das heißen? Vor allem in freien
Texten? (80% richtig? 90%?)
Ich habe für mich momentan (Ende der 3. Klasse) die
Idee, ab der 4. Klasse mit den Diktaten mehr zu machen
und die RS in den freien Texten zu benoten und MIT in
die Gesamtnote einfließen zu lassen. Allerdings mache
ich dann auch genau das, was von vielen Leuten
kritisiert wird, nämlich dass die Kinder zunächst einen
recht laschen Umgang mit der RS haben (Schreib wie du
sprichst) und plötzlich kommt dann der Hammer und die
Aussage "Ach, jetzt plötzlich sollen sie es können!?"
Insgesamt ist dies sicherlich auch ein Fehler des
Systems (Die Abgabe von Klassen nach dem 2. Schuljahr)
und der fehlerhaften Umsetzung von Reichens Lesen durch
Schreiben, wenn man Kinder zu lange zu unreflektiert
machen lässt. Aber ich kriege diese Kinder ja dennoch in
die 3. Klasse und muss dann damit arbeiten, was sie
können.
Wie seht ihr diese Diskrepanz zwischen Diktat und freiem
Text? Ist das in dem Umfang normal?
Wie werden die Kinder zu Schreibern, die in ihrer ersten
Schreibphase bereits nur noch wenige (5-10%) Fehler in
freien Texten machen?
Ist es kognitiv überhaupt bei Kindern möglich, freie
Texte bis Ende der Grundschulzeit fast fehlerfrei (5-10%
Fehler) zu schreiben, wenn sie mit dem System Lesen
durch Schreiben 2 Jahre lang recht unreflektiert an die
RS herangeführt wurden (was meiner Meinung nach der
Großteil der Lehrer so praktiziert)?
7)Wie praktiziert ihr die RS-Korrektur in freien
Texten die insgesamt umfangreich geworden sind (sagen
wir mal 2-3 DIN A4 Seiten)?
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| ... | | von: ninniach
erstellt: 17.07.2013 16:09:18 |
Das macht mich gerade ein wenig sprachlos. Ist es in NRW tatsächlich so vorgesehen, dass man in den ersten beiden Jahren Schüler nur schreiben lässt, wie sie hören?
Für mich ist Lesen durch Schreiben nämlich genau das, was der Name sagt: Die Schüler lernen mit Hilfe der Anlauttabelle das Lesen, in dem sie schreiben und sich dadurch die Laut-Buchstabenzuordnung so weit es geht selbst erarbeiten. Der Vorteil ist, dass es für viele vergleichsweise schnell geht, sie individuell arbeiten können und es leicht ist, durch offene Aufgabenformen zu differenzieren. Gerade habe ich wieder erlebt, wie motivierend es für alle Erstklässler war, diese Entwicklung zu durchleben und auch das Gefühl zu haben, man hat es "alleine" geschafft.
Wer das Ziel der Methode erreicht hat und lesen kann, darf weiter gehen. Den konfrontiere ich sehr gerne erst damit, dass es für Wörter eine festgelegte Schreibweise gibt, an die man sich halten sollte. Das bremst manche erst ein wenig, weil sie bei Schreibanlässen auch den Kopf einschalten und nachfragen, wie man etwas schreibt. Man könnte es jetzt negativ sehen, man könnte sich auch sagen, dass diese Kinder ein Lernziel erreicht haben. Sie haben nämlich gelernt, dass es Normen gibt und zeigen die Bereitschaft, sich daran zu halten. Bei solchen Nachfragen merkt man auch recht gut, wo es gerade hängt. Ob da jemand alles absichern will oder ob da jemand schon gezielte Fragen stellt.
Ich führe dann auch "Wörter der Woche", also Arbeit mit Lernwörtern ein. Ohne großes Bewertungsspektakel, einfach um deutlich zu machen, dass es auch Wörter gibt, von denen ich erwarte, dass sie richtig geschrieben werden. Wenn solche Wörter dann in einem freien Kontext richtig geschrieben werden, verstärke ich das noch mal besonders. Meine Erfahrung ist nämlich auch, dass gezielt geübte Wörter/Phänomene in gezielten, isolierten Situationen häufig abgerufen werden können. Das in einem davon getrennten Zusammenhang zu schaffen, scheint noch mal eine ganze Ecke schwieriger.
Ich würde auch nie sagen, dass der Umgang mit dem Schreiben unreflektiert war. Anfangs stand die Laut-Buchstabenzuordnung im Mittelpunkt und sie wurde geübt und gelernt, gleichzeitig wurde die phonologische Bewusstheit trainiert und - als eine Art Nebenprodukt - lesen gelernt (die Motorik darf jetzt mal außen vor bleiben). Danach kam dann halt die Rechtschreibung ins Spiel. Ein Schritt nach dem anderen - keine Hast, keine Eile, kein Überspringen von Schritten oder Weitergehen, wenn man noch nicht bereit ist, aber doch auch kein Stillstand oder gar Rückschritte.
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| Fehlerbewusstsein schaffen | | von: palim
erstellt: 17.07.2013 22:59:58 |
Diesen Kindern fehlt ja dann - wie häufig in Klasse 2 auch - das Fehlerbewusstsein.
Ich weise auf Fehler hin, wenn Wörter oder Sätze abgeschrieben werden.
Zum Abschreiben gibt es ja verschiedene Schritt-Techniken, die man üben kann.
Auch üben wir ab der 2. Klasse den Umgang mit dem Wörterbuch.
Aus dem Grundschulchat, den es vor Jahren mal gab und zu dem es auch mehrere Sitzungen zur Rechtschreibung gab, habe ich den Tipp mitgenommen, in kleinen Portionen das Korrigieren zu üben.
Sätze werden abgeschrieben oder nach Ansage geschrieben, anschließend gibt es genau diese Sätze an der Tafel und die Kinder vergleichen und verbessern selbst ihren Satz.
Man kann dies auch noch mit einer Besprechung der Fehler und hilfreichen Strategien verknüpfen.
Am Ende zählen bei der Lehrerin nur noch die Fehler, die übersehen wurden.
Beim ersten Mal waren es sehr viele, aber schon nach wenigen Tagen gucken die Kinder erheblich genauer hin.
In Klasse 3 kann man das auch mit den Kindern gemeinsam thematisieren und könnte sicher auch einen lautschriftlichen und den gleichen als rechtschriftlichen Satz miteinander vergleichen und überlegen, warum es wichtig ist, dass es einheitliche Schreibungen gibt.
Palim |
| Nachschlag | | von: palim
erstellt: 18.07.2013 10:23:09 |
Weil du in deinem langen Post auch danach gefragt hast:
Die perfekte Methode, mit der alle Kinder bis Ende Klasse 4 Rechtschreiben gelernt haben, habe ich auch noch nicht gefunden.
Meinst du wirklich, dass es die gibt?
Es gibt Kinder, die schreiben schon in Klasse 1 oder 2 nahezu alles richtig. Andere mühen sich 2 Jahre, um die Laut-Buchstaben-Kombinationen zu kennen und müssen beim Schreiben noch sehr konzentriert sein ... von weiteren Kindern, die als I-Kinder mit in den Klassen sind, mal abgesehen.
Fehlerbewusstsein, Groß- und Kleinschreibung und richtiges Abschreiben übe ich in Klasse 2.
Von deiner langen Liste des 3. Schuljahres, unterrichte ich auch einen Teil im 3. Schuljahr.
Besonders schwierig sind m.E. Doppelkonsonanten.
Kinder, die ohnehin ein gutes Sprachgefühl haben, lernen es ... ich weiß nicht wie. Sie können es schon häufig in Klasse 2, spätestens in 3.
Ob man den anderen Kindern die Regel vermitteln kann und ob sie Betonungen und Vokallängen wirklich wahrnehmen können, ist umstritten.
Hier gibt es Kollegen, die es in Klasse 2 üben und im Diktat erwarten und andere, die es erst später erwarten. In den Plänen ist es nicht für Klasse 2 enthalten und ich denke, dass die schwachen Kinder gar nicht die Möglichkeit haben, es zu lernen. Wenn die LehrerIn kompetenzorientiert unterrichtet, müsste sie den Unterricht so gestalten, dass die SuS es durch ihren Unterricht lernen können. Tja.
Im übrigen denke ich, dass es generell schon immer sehr gute Rechtschreiber gab und schon immer sehr schlechte.
Die Kinder 2 Jahre einfach machen zu lassen ist für mich genauso falsch, als ihnen von Anfang an die falschen Wörter mit dem Rotstift zu korrigieren und ihre Schreibmotivation zu hemmen.
Es gibt Kinder, die es über das Freie Schreiben lernen, andere über das Lesen, über Abschreiben, über Regeln, über Training, über ... bestimmt gibt es noch Wege, die wir noch nicht entdeckt haben.
Palim
Noch ein Gedanke:
Wenn es wirklich noch Kraut und Rüben ist: zurück zur Silbe! Wörter Silbe für Silbe aufschlüsseln und dann Silbe für Silbe abhören, um immer nur eine kleine Einheit betrachten und schreiben zu müssen.
(Habe entdeckt, dass etliche meiner KollegInnen das leider nicht unterrichten.) |
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