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Forum: "kompetenzorientierter Unterricht"
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| alter Wein in neuen Schläuchen | | von: bernstein
erstellt: 29.09.2013 09:58:48 geändert: 29.09.2013 10:12:35 |
In Niedersachsen werden seit einigen Jahren für alle Schulformen und Fächer nach und nach kompetenzorientierte Curricula formuliert, die in den jeweiligen Schulen und Fächern mit Blick auf das jeweils eingeführte Lehrbuch "heruntergekocht" werden müssen.
Meine Sichtweise als "alte Häsin": Der Begriff "Kompetenz" ist im Grunde genommen ein anderer Terminus für den zuvor gebrauchten Begriff "Lernziel".
Die Auswirkung auf die Gestaltung meines Unterrichts ist gegen Null gehend.
Ich wünsche Dir, dass sich in diesem Forum auch Referendare zu Wort melden, die wegen ihrer Ausbildung und dem Zwang, zu ihren Lehrproben Unterrichtsentwürfe zu kreieren, ganz nach am aktuellen Geschehen dran sind.
Als Beispiel hierfür
1. ein Link des niedersächsischen Bildungsservers mit dem Kerncurriculum des Faches Englisch:
http://db2.nibis.de/1db/cuvo/datei/kc_englisch_go_i_2009.pdf
2. ein Link zu einem "heruntergekochten" Curriculum einer niedersächsischen Schule:
http://www.ernestinum-celle.de/images/stories/Fachgruppen/schulinterneCurricula/schulinternes%20englisch%205-6.pdf |
| abwinkend | | von: palim
erstellt: 29.09.2013 17:11:29 |
Ganz ehrlich:
Das legt jeder anders aus.
Es gibt eine Menge Kollegien, die z.B. in meinem Bundesland in der Grundschule angesichts der sofortigen Umstellung aller Fächer gleichzeitig zeitlich gar nicht wussten, was sie zuerst sollten.
Bei vielen ist daraus entstanden, dass die bisherige Unterrichtspraxis in die neuen curricularen Vorgaben hineingebastelt wurden.
Andere haben etliches umgestellt und bissen dann auf Granit, wenn von den weiterführenden Schulen die bisherigen Ziele bzw. Wünsche erwartet und eingefordert wurden.
Auch die Schulbuchverlage hatten zwar zunächst etliches in ihren neuen Lehrwerken umgesetzt, haben aber in den neueren Ausgaben (dank Erlass gibt es alle 3 Jahre neue Ausgaben) kräftig zurück gerudert.
Dass man die Schüler besser im Blick hat und genau überlegt, was sie am Ende können sollen, hat vorher auch niemand abgestritten.
Mehr Messinstrumente und weniger Förderunterricht bei größeren sozialen u.a. Problemen erleichtern dieses Unterfangen aber nicht.
Natürlich könnte man jedes Thema in ein Kompetenzraster umarbeiten (Nachtarbeit) und jeden Schüler dort einschätzen und ihn individuelle Fördern (noch mehr Nachtarbeit).
Aber wie das in einem 24-Stunden-Tag zu realisieren ist, konnte mir noch kein Forscher und kein Praktiker erläutern.
Was bleibt?
Schulen, die sich auf den Weg gemacht haben, neue Aspekte in den Unterricht bringen
... und Altbewährtes nicht verlieren wollen, weil es zielführend war und ist... ob mit oder ohne Kompetenzen.
Palim
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| mit den Kompetenzen kann mans auch übertreiben | | von: fruusch
erstellt: 30.09.2013 20:12:57 |
Ich kann da nur den bekannten Bildungsforscher Prof. Klein aus Frankfurt zitieren, der davon spricht, dass heutzutage hauptsächlich die "Inkompetenzkompensierungskompetenz" gelehrt werden soll.
Kompetenz ist ein ganz toller Begriff. Er ist so herrlich schwammig, dass man ihn nahezu beliebig auslegen kann. Nimm dir 100 Aufsätze darüber und du wirst 100 verschiedene Definitionen dazu finden. In jedem verschiedenen Lehrplan jedes Bundeslandes wird der Begriff ein bisschen anders verwendet.
Die Universitäten klagen jedes Jahr stärker, dass unsere Abiturienten zwar offiziell die Erlaubnis zum Studium haben, aber noch lange nicht die Befähigung. Dazu braucht man nämlich nicht nur allerhand Kompetenzen, sondern auch ein gutes Maß an Fachwissen - und das kommt im ganzen Kompetenzwirrwar immer mehr zu kurz, obwohl Fachwissen selbst eine Kompetenz darstellt.
Natürlich will ich auch, dass meine Schüler, am Ende ihres Leistungskurses in Physik, auf gehobenem Niveau über ein physikalisches Thema diskutieren können. Dazu gehört aber nicht nur Kommunikationskompetenz, sondern auch viel Fachwissen, da ich sonst zwar ganz tolle Sätze formulieren kann, diese aber inhaltsleer bleiben. Das wäre dann der ideale Kandidat für Unternehmensberatungen, die brauchen solche substanzlosen Dampfplauderer.
Als Lehrer müssen wir daher sorgsam darauf achten, dass wir über der ganzen Kompetenzerei die Vermittlung des Fachwissens nicht vergessen.
Noch eine bemerkenswerte Anekdote am Rande: Der VERA-Test soll ja eigentlich die bis zur 8. (bzw. 3.) Klasse erreichten Kompetenzen abfragen, und zwar unabhängig von den Inhalten des bisher erteilten Fachunterrichts. Vor zwei Jahren "durften" unsere 8er in Mathe mitmachen. Was kam, war ein Test, der nur auf die Inhalte des Matheunterrichts der 8. Klasse abgestimmt war, was also noch nicht dran war konnten die SuS auch nicht lösen. Die hoch und heilig versprochene Kompetenzauswertung für die Schüler konnte (O-Ton) aus "auswertungstechnischen Gründen nicht durchgeführt werden". Da merkt man deutlichst, dass selbst die offiziellen Stellen mit dem Kompetenzbegriff herzlich wenig anfangen können.
Insofern: Take it easy, mach deinen Unterricht so gut wie möglich, behalte deine Lernziele für die Schüler im Blick (von mir aus nenn sie auch Kompetenzen), dann sollte eigentlich nichts schief gehen. |
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