blanke Unsinn findet immer mehr Einzug in die Lehrpläne, nach denen wir arbeiten müssen.
Die Bildungsforschung steckt wirklich in einem Dilemma. Die einen rennen dem Kompetenzgeschwurbel hinterher, ernten dafür zwar Lob und Anerkennung, bringen aber nichts wirklich Brauchbares heraus - der Artikel stellt ja gut dar, welchem Trugschluss alle Kompetenzschwurbler aufsitzen. Die anderen, die wirklich Lernprozesse und die Wirkung unterrichtlichen Handelns auf diese erforschen möchten, haben das immense Problem, dass sie das nur höchst unzureichend tun können. Was wird da gemacht?
1. Fallstudien:
Lehrer A hat mit seiner Klasse X an Schule Y dies und das gemacht. Dabei ist dies und das herausgekommen. Ergebnis: Man ist nicht schlauer als vorher, außer evtl. die Schüler, die dabei was gelernt haben. Vergleichbarkeit gleich Null.
2. Pseudo-Vergleichsstudien:
Lehrer B hat früher immer mit Methode C unterrichtet. Mit seiner neuen Klasse K unterrichtet er jetzt mit Methode M und hat bessere Ergebnisse als früher erzielt. Ergebnis: Auch hier ist man kaum schlauer als vorher, da vielfältige Faktoren einen Einfluss auf den Lernerfolg haben, nicht nur die Unterrichtsmethode. Die "Vergleichbarkeit" der Ergebnisse ist sehr schwach.
3. Mammut-Reviews a la Hattie:
Man macht keine eigene Studie, sondern wühlt sich durch die Fachliteratur und fasst die Ergebnisse von ein paar Hundert bis Tausend Studien von Typ 1 oder 2 zusammen. Im Mittel wird schon was Brauchbares raus kommen. Ergebnis: Eindrucksvolle Zahlen, die angeblich total valide sind, weil sie ja auf einer so großen Datenbasis beruhen. Das Problem ist nur, dass diese Zahlen mir nichts darüber sagen, was denn nun für meine Klasse am Besten wäre, denn Statistik sagt bekanntermaßen nichts über den Einzelfall aus. Außerdem sind solche Reviews naturgemäß immer retrospektiv, d.h. sie sagen nur etwas über die Vergangenheit aus, aber nichts über die Gegenwart oder gar Zukunft.
Was müsste man aber machen, um wirklich valide Aussagen machen zu können? Das, was die Forschung in allen anderen Bereichen auch tut: Prospektive, randomisierte und kontrollierte Doppelblindstudien. Das Problem ist nur, dass diese in der Bildungsforschung ausgeschlossen bzw. kaum durchführbar sind. Verblindet können sie schon einmal nicht sein, weil sowohl die durchführenden Lehrer als auch die Schüler sehr wohl mitbekommen, was im Unterricht abläuft. Kontrolliert können sie auch nur schwer werden, denn "Placebo"-Unterricht wäre wohl kaum zu rechtfertigen. Eine Randomisierung wäre ebenfalls nur schwer durchführbar und Eltern wie Lehrern kaum zu vermitteln. Lediglich prospektiv könnte man mal zwei Systeme miteinander vergleichen, also zB an vergleichbaren Schulen mit vergleichbaren Klassen (selbes Einzugsgebiet, selber Migrantenanteil, gleiche Verteilung Mädchen/Jungen, selbe Materialausstattung uvm...) in der einen Schule nach System A und in der anderen nach System B zu unterrichten. Am Ende kommt dann evtl. etwas heraus, das unter günstigen Umständen einen kleinen Einblick geben kann, was da gelaufen ist.
Insofern ist es für mich verständlich, dass immer mehr Bildungsforscher auf den Kompetenz-Zug aufspringen. Das ist momentan hip, es wird von der Politik gefordert und man kann Erfolge einfahren. Dazu kann man sich ein gutes Gewissen einreden, denn harte Zahlen lügen ja bekanntlich nicht. Dass die ganze Arbeit den Schülern nicht das Geringste bringt, kann man dabei gut ausblenden und sich auf die nächste Verfeinerung des Kompetenzrasters stürzen.