Tipps zu geben ist schrecklich schwer in so einer Situation. Ich kann Dir nur erzählen, wie ich das mehrfach in ähnlich tragischen Fällen erlebt habe.
Was ich immer als sehr wichtig empfunden habe ist, dass man absolut man selber ist, keinem aufgesetzten Verhaltensmuster folgt und sich von seinen Instinkten von innen heraus leiten lässt. Mitleid gegenüber Trauernden ja erzeugt oft Distanz bei den anderen, oft aufgrund von Befangenheit (wie verhalte ich mich bloß?) aber normales authentisches (mit)menschliches Verhalten ist eigentlich immer das beste.
Ein offenes unbefristetes Gesprächsangebot ist sicher selbstverständlich.
Insofern würde ich in jedem Fall einen Besuch zu Hause anbieten.
Dann meine ich, dass man den Trauernden oder in diesem Fall vielleicht die Familie einfach fragen kann: welches Verhalten würden Sie sich von mir als Klassenlehrerin jetzt wünschen, was brauchen Sie in dieser Situation. Das gibt ihnen die Möglichkeit zur Gestaltung, nimmt sie sozusagen ernster, macht sie weniger zum Trauer-Fall, und es entlastet Dich bestimmt. Du musst dann nicht mehr so viel über richtiges und falsches Verhalten spekulieren.
Es kann sein, dass sie Anteilnahme brauchen und jemanden, der sich kümmert, der zuhört und sich die ganze Sache und Situation erzählen lässt. Es kann aber auch sein, dass sie sich von Dir wünschen, dass Du dem Kind hilfst, einen ganz normalen, möglichst unbefangenen und fröhlichen Schulalltag zu erleben. Trauer und Ausnahmezustand hat sie zu Hause den Rest des Tages, vielleicht muss sie sich eine neue schulische Normalität schaffen.
Eine 17-jährige Schülerin, deren Bruder sich mit dem Motorrad zu Tode gefahren hatte, hat mir vor Jahren einmal genau dies Bedürfnis signalisiert: normal mit den Klassenkameraden umgehen können, über normale Dinge reden. Und ich habe dann ein Gespräch mit der Klasse moderiert, in dem sie dies zum Ausdruck bringen konnte und in dem die anderen auch ihre Hilflosigkeit ausdrücken konnten. (Dafür ist Dein Schüler natürlich zu klein)
Ich denke, alles, was Du unternimmst, um Deiner neuen Klasse zu helfen, rasch zu einer Klassengemeinschaft zusammenzufinden, wird insbesondere diesem Kind helfen, in der Schule ein neues Zuhause für den Vormittag zu finden. Fest, Spielnachmittag, Wandertag gleich in den ersten vierzehn Tagen, da fällt Dir sicher was ein.
Es ist nicht schlimm, sondern im Sinn des oben Gesagten eher wichtig, sich bei so einem Schicksalsschlag auch die eigene Hilflosigkeit einzugestehen. So etwas macht uns hilflos oder wütend, und man kann nichts dagegen machen - und genau das darf man den Menschen meines Erachtens auch so sagen. Man fühlt mit ihnen und bietet Nähe an - das kommt einem wenig vor, aber das ist schon viel. Alles andere erschiene mir vermessen. Setz Dich also bloß nicht unter Druck! Ich hab schon im Wohnzimmer von Familien mit schlimmen Verlusten gesessen und mit ihnen geheult, und sie waren hinterher so dankbar, dass ich mich geschämt habe, denn Anteilnahme und ein offenes Ohr für ihr Kind war das einzige, was ich ihnen geben konnte.
Oh je, dies klingt beim Durchlesen alles völlig banal. Aber ich mach einfach mal den Anfang als Antwort auf eine Frage, sicher fällt anderen noch mehr ein.
Jedenfalls wünsche ich Dir, dass Du dies Kind berühren kannst und es mit der Zeit in Dir jemanden sieht, zu dem es Vertrauen haben kann.