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Forum: "Offener Brief an das Referendariat"
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| Offener Brief an das Referendariat | | von: stumpelrilzchen
erstellt: 09.04.2006 13:34:16 geändert: 18.04.2006 15:23:38 |
Liebes Referendariat. Nun begleitest du mich schon über ein Jahr und es gibt einige Fragen, die ich dir schon lange stellen wollte:
1) Warum fühle ich mich so klein und ausgeliefert, seit ich dich kenne? Warum grinse und schleime ich die ganze Zeit, warum sage ich so selten meine Meinung?
2) Warum ertrinke ich und die Kinder im Methodenwahn?
Muss ich alles toll und "supi" finden, was mir tagtäglich im Seminar verklippert und verhilbert wird?
Unterrichten diese Karikatursammler in ihren Elfenbeintürmen eigentlich selber, oder schreiben sie nur teure Bücher darüber.
3) Gibt es ernst zu nehmende Studien, dass offene Unterrichtsformen tatsächlich bessere Ergebnisse erzielen, als gut gemachter Frontalunterricht? Liebes Referendariat, ich meine allerdings nicht so Studien von 2 Pädagogen mit 25 Kindern der fröhlichen Tigerentengeneration an einer Vorortschule. Nein, ich meine mit 2000 Kindern landesweit.
4) Warum können sich Ausbilder nicht auf einen gemeinsamen Konsens einigen? Warum soll ich mich beim einen im Unterricht zurücknehmen, beim anderen aber als zentrale Figur im Unterrichtsgeschehen stehen? Darf ich mich nun auf den Tisch setzen oder nicht?
5) Müssen die Kinder immer ein Problem finden, an dem sie sich im Unterricht orientieren können, oder lassen sie sich nicht auch mal gerne mit Wissen berieseln?
6) Warum haben weibliche Mitbewerber durchschnittlich bessere Noten, als männliche? Ich weiss, diese Frage mag dich ärgern, aber bitte frag doch mal herum. Schon während des ersten Staatsexamens ist das mir und anderen Studenten aufgefallen.
7) Was können Referendare/innen, die nach dem Abi gleich studieren und dann zurück gehen an die Schule, eigentlich den Kindern vom Leben erzählen.
8) Warum musste ich dir, liebes Referendariat, gerade in einer Zeit des Umbruchs begegnen, in der jeder mit aller Macht etwas ändern will, aber keiner weiss wie?
9) Wie lange dauert es noch, bis ich im Unterricht eine Kuh ausnehmen muss, damit die Kinder überhaupt noch aufpassen? Rennen die Lehrer nicht mit dem Methoden und Medienwahn nicht der schnelllebigen Fernsehwelt hinterher? Fördern nicht methodische Vulkanausbrüche die Überfütterung der Kinder mit Eindrücken?
10) Was denken sich eigentliche die Pädagogen, die so hervorragend komplizierte Schemata ihrer einfachen Theorien verfassen. Was wollen sie damit erreichen?
11) Warum ist mein Opa nicht dumm, obwohl er im Unterricht keine Methoden und Freiarbeit gelernt hat?
12) Wenn ich in zehn Jahren ein Kind auf der Strasse frage, wo der Bahnhof ist, muss es dann erst 5 andere Kinder suchen, darunter einen Gruppensprecher, einen Zeitmanager etc. wählen, um mir den Weg dann mit einem Standbild oder Plakat darzulegen?
13) Warum macht mir der Lehreralltag so Spass, aber ich habe keine Lust diesen Beruf auszuüben?
14) Züchten wir mit unserer modernen Methodik nicht nur Individuen heran, die möglichst gut in unsere Leistungsgesellschaft hineinpassen?
Liebes Referendariat, einige Fragen mögen dir sehr überzeichnet vorkommen, aber denke darüber nach und antworte mir.
Gruß,
Stumpelrilzchen |
| Liebes stumpelrilzchen | | von: ines
erstellt: 09.04.2006 15:35:28 |
Ich bin zwar nicht dein Referandariat und ich weiß auch nicht ob du tatsächlich eine Antwort auf deine vielen Fragen wünscht, aber mich haben deine Fragen nachdenklich gemacht.
Hier meine Überlegungen:
1.) Warte nicht zu lange, fang an deine Meinung zu sagen. Grinsen ist gut, aber nur wenn du dich dabei wohl fühlst.
2.) Nein, muss es nicht. Wie oft schon fand ich was "toll" und die Kinder "öde" und auch umgekehrt. 30 Personen in einem Raum bedeuten 30 Varianten von Empfindungen. PS: Im Elfenbeinturm wird nicht unterrichtet, dort weiß man alles aus intuitiver Eingebung .
Such dir deine Methode raus. Welche passt zu mir und meinen Schülern. Lass dich durch die Fachwelt nicht verunsichern!
3.) Ja gibt es aus Schweden "Offener Lernkreis". Trotzdem ist ein gut gemachter "Frontalunterricht" (ich mag den Ausdruck nicht, aber er entspricht dem Bild "Lehrer steht vorne und erklärt, bespricht und diskutiert mit den Schülern, Frage und Antwort Spiel" am ehesten)für mich völlig in Ordnung. Trotzdem bin ich offen und versuche bei guten Bedingungen immer wieder mal was neues. Die erfolgreichen Sachen übernehme ich dann und so vermischen sich meine Unterrichtstile immer mehr.
4.) Ja ärgerlich, vorallem wenn man selbst noch auf der Suche ist. Aber da kann ich nur auf Punkt 2 verweisen. 30 Lehrer - 30 verschiedene Ansätze.
Sieh es als Findungsphase. Was liegt mir mehr? Zentrale Figur oder zurückhaltender Wegweiser? Damit habe ich auch lange gekämpft.
5.) Spannend gebracht sitzen sie auch gerne mit eingestütztem Kinn in ihren Bänken und lauschen.
Denk an dich zurück! Also ich habe meine Geschichtsprof. geliebt - und sie hat einfach die ganze Stunde frontal erzählt! Aber das wirklich spannend!
6.) Oh ja das war bei uns auch so! Graus! Was bewerten wir?
7.) Jeden Tag ein wenig mehr, denn sie hören ja nicht auf zu Leben! oder?
8.) Ja das kann einen frustrieren, gibt dir aber auch die Chance deine eigene Wahl zu treffen. Denk mal es wäre anders. Geh' mal 60 Jahre zurück.
Da gabs kein ausprobieren - wäre das besser gewesen?
9.) ?? Da pflichte ich dir bei, denn wir können das Rad nicht neu erfinden und medial dem 21. Jahrhundert entsprechend neu verpacken. Zumindest weiß ich nicht wie ich das tun sollte.
10.) ??
11.) Weil das auch funktioniert hat, allerdings mit viel Druck und nicht bei allen. Warum ist meine Oma aber "dumm" geblieben nach 9 Jahren Unterricht? Hätte man was ändern können? Wäre sie mit anderen Methoden weiter gekommen? Hätte man sie fördern können und auf ihre eigenen Stärken eingehen können? Welches Ergebnis hätte das gebracht? Natürlich ist es leicht den Erfolg zu messen und an erste Stelle zu reihen. Doch für mich geht es um die Mißerfolge und wie man sie vielleicht verhindern hätte können.
12.) Nein, denn du wirst nicht mehr fragen müssen. Du tippst deine Frage in dein Fußgänger- Navigationssystem in deinem Handy und wirst durch aufblinkende Leuchtpfeile im Asphalt dirket zum Bahnhof geleitet. Das Ticket bestellst du am Weg ebenfalls über deinen Communicator und zeigst es dem elektronische Schaffner-Display, das bei korrekter Kreditkartenabbuchung dir automatisch die Zugstüre öffnet.
13.) Wieso nicht? Was macht dir so Spass? Denn was dich frustriert das kann ich mir nach deinem offenen Brief ja nun denken!
14.) Nein und Ja. Sie müssen in unserer Gesellschaft überleben und so hart das klingt, wir können ihnen nur ein gutes Rüstzeug mitgeben und dann zusehen was sie daraus machen. Die ganz idealistischen unter uns stecken viel Kraft in ihre Schützlinge, in der Hoffnung durch sie die Gesellschaft verändern zu können.
verständnisvolle Grüße ines |
| Ich stimme dir voll und ganz zu | | von: frauschnabel
erstellt: 18.04.2006 16:32:46 geändert: 25.08.2006 11:08:05 |
Bin selber gerade in der Phase, bin im September so weit. Besonders NR 1,2,4,5,7 und 13 sind Fragen die mich oft beschäftigen. Drei Seminarleiter, jeder will es anders!!
Ich weiß genau, dass dies der richtige Beruf für mich ist und finde es toll, mit den S. zu arbeiten, aber manchmal zerbreche ich fast an den Fesseln die mir das Ref und der Schulaltag auferlegt. Oft muss ich aufpassen, dass es mir nicht das Rückgrat zerbricht!
Und die kleinen Mäuschen: von der Schule in die Hochschule wieder in die Schule... das sollte verboten werden!
Halte durch!!
mfg. |
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