Prof. Battis: Schulgesetz verstößt gegen Verfassung
DGB und GEW fordern Neuberatung im Landtag
Rechtsgutachten sieht Mitbestimmungsrechte der Lehrkräfte an Schulen verletzt
In einem von DGB und GEW in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten stellt der namhafte Staats- und Verwaltungsrechtler Prof. Dr. Ulrich Battis, Humboldt-Universität zu Berlin, fest, dass die Regelungen im neuen Schulgesetz NRW zur Mitbestimmung der Lehrkräfte an Schulen nicht verfassungskonform sind. DGB und GEW fordern den Landtag NRW auf, das Schulgesetz neu zu beraten und die Mitbestimmung der Lehrerinnen und Lehrer in eigenverantwortlichen Schulen gesetzlich zu garantieren. Nur so könne die Rechtssicherheit an den Schulen wieder hergestellt und der Schulfrieden erhalten werden.
Mitbestimmung für Lehrer ausgehebelt
„Die Neuregelungen durch das Schulrechtsänderungsgesetz vom 27. Juni 2006 nähren den Verdacht, dass entgegen dem rechtsstaatlichen Gebot die Mitbestimmung der Lehrkräfte an den Schulen ausgehebelt werden soll“, erklärte Andreas Meyer-Lauber, Landesvorsitzender der GEW, anlässlich der Präsentation des Rechtsgutachtens vor der Presse heute in Düsseldorf. Wenn Schulen eigenverantwortlicher und selbstständiger handeln sollen, müsse qualifizierte Mitbestimmung in den Schulen durch demokratisch gewählte Personalräte gewährleistet werden. Das Schulgesetz NRW komme dem aber nicht nach. Meyer-Lauber forderte den Landtag auf, das Gesetz umgehend zu korrigieren: „Die Schulen des Landes brauchen Rechtssicherheit, gerade wenn sie sich selbstständig entwickeln sollen. Um den Schulfrieden zu erhalten, ist schnelles Handeln geboten.“
Schulgesetz verstößt gegen Verfassung
In dem Gutachten kommen Prof. Battis und PD Dr. Grigoleit zu dem Schluss, dass der Lehrerrat als schulisches Gremium schon mangels unmittelbarer Wahl durch die vertetenden Beschäftigten die Anforderungen an eine Personalvertretung nicht erfülle. Zudem dürfen Aufgaben, Kompetenzen und Verfahren der Mitbestimmung nicht der Regelung durch das Ministerium überlassen bleiben. „Damit“, so die Gutachter, „verstößt das neue Schulgesetz NRW gegen das Grundgesetz wie auch gegen die Landesverfassung NRW. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser Verfassungsverstoß im Schulgesetz zur Nichtigkeit des Gesetzes insgesamt führt.“ Die Rechtsexperten fordern eine zeitnahe Nachbesserung des Schulgesetzes.
DGB und GEW: Schulsystem modernisieren, demokratische Mitbestimmung garantieren
DGB-Landesbezirksvorsitzender Guntram Schneider verwies auf die politische Bedeutung der Sicherung demokratischer Mitbestimmung in NRW: „Mitbestimmung ist im Grundgesetz garantiert. Wie in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes nehmen Lehrkräfte ihr dort verbrieftes Recht auf Interessenvertretung und qualifizierte Mitbestimmung durch die von ihnen gewählten Personalräte wahr.“ Schneider verwies auf die Zusagen der Landesregierung und des Ministerpräsidenten, das Land gemeinsam mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu modernisieren. „Deshalb“, so Schneider, „fordern wir qualifizierte Mitbestimmung, auch in den Schulen des Landes.“
GEW-Landeschef Meyer-Lauber stellte das Thema Demokratie und Mitbestimmung des Lehrpersonals in den Kontext von Schulentwicklung und moderner Bildungsreform. Die konservativ-liberale Landesregierung in NRW habe sich vorgenommen, mit dem neuen Schulgesetz „eines der modernsten Schulsysteme Europas“ zu schaffen, aber, so Meyer-Lauber wörtlich: „In ihrem Reformeifer hat sie jedoch offenbar übersehen, dass moderne Schulsystem – die PISA-Gewinner zeigen es – auch und gerade auf die Mitwirkung der Lehrerinnen und Lehrer setzen.“
Kurzdarstellung des Rechtsgutachtens von Battis/Grigoleit, Humboldt-Universität zu Berlin
Das Rechtsgutachten beschäftigt sich mit der Schulgesetznovellierung durch das „2. Schulrechtsänderungsgesetz“ vom 27. Juni 2006. Überprüft wird insbesondere, ob die Novellierung mit den rechtlichen Vorgaben für die Organisation und die Befugnisse der Personalvertretung nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) vereinbar ist und den Normen des Grundgesetzes und der Landesverfassung entspricht..
Nach dem neuen Schulgesetz (SchulG NRW) kann in Fragen der Mitbestimmung an die Stelle des Personalrats der sogenannte Lehrerrat treten. Rechtsstellung, weitere Aufgaben und Befugnisse des Lehrerrates soll nach dem Schulgesetz das Ministerium in einer Rechtsverordnung klären ( § 69 Abs. 4 SchulG NRW).
Nach dem Grundsatz der „orts- und problemnahen Konfliktvermittlung“ hat der Landesgesetzgeber Mitbestimmung „vor Ort“ zu gewährleisten. Der Lehrerrat erfüllt aber die formellen Anforderungen des bisherigen Rahmenrechts nicht. Denn er ist ein schulisches Mitwirkungsgremium und keine Personalvertretung. Der Lehrerrat wird nicht unmittelbar nach den Grundsätzen der Verhältniswahl, sondern von einem anderen Schulorgan, nämlich der Lehrerkonferenz, und damit „mittelbar“ gewählt. Damit verstößt das neue Schulgesetz NRW gegen die rahmenrechtliche Pflicht zur flächendeckenden Bildung von Personalvertretungen.
Die im Schulgesetz in § 69 Abs. 4 enthaltene Ermächtigung des Ministeriums zu einer Rechtsverordnung verstößt gegen den personalvertretungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt, der sich aus Art. 75 Abs. 3 Grundgesetz zwingend ergibt. Der Landesgesetzgeber selber muss alle Regelungen erlassen, die zur Ausfüllung des bundesgesetzlichen Rahmen erforderlich sind und darf sie nicht an die Exekutive delegieren. Das im Schulgesetz vorgesehene Einvernehmen mit dem zuständigen Landtagsausschuss reicht als „parlamentarische Beteiligung“ nicht aus.
Die Regelungen über die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst gestalten grundrechtlich geschützte Lebensbereiche. Das Recht auf Mitbestimmung ist nicht nur Ausdruck des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG), sondern auch Instrument zum Schutz und zur Verwirklichung der Grundrechte der Beschäftigten im Arbeitsleben. Mitbestimmung im öffentlichen Dienst ist ihrer Natur nach institutionalisierte Interessenvertretung durch gewählte Beschäftigte. Sie dient der Kompensation des mit der Eingliederung in den Arbeitsprozess zwangsläufig verbundenen Verlusts von Selbstbestimmung des einzelnen Bediensteten und setzt an deren Stelle die kollektive Interessenwahrnehmung durch das Vertretungsorgan.
Der kompensatorische Charakter der Mitbestimmung weist das Personalvertretungsrecht als Regelung eines grundrechtlich geschützten Lebensbereiches aus. Dabei mag hier offen bleiben, ob Schutzpflichten des Staates für die Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) oder für die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) oder die hergebrachten Grundsätze aus Art. 33 Abs. 5 GG der Beschäftigten die Mitbestimmung insgesamt oder einzelne Regelungen verfassungsrechtlich geboten erscheinen lassen.
Es ist nicht auszuschließen, dass die festgestellten Verfassungsverstöße zur Nichtigkeit des Schulrechtsänderungsgesetzes insgesamt führen könnten. Zumindest verlangt die Nichtigkeit des § 69 Abs. 4 eine zeitnahe Nachbesserung des Gesetzes. Die Gutachter empfehlen, bis dahin die mitbestimmungsrechtlichen Kompetenzen der Schulleitungen auszusetzen.
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