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Forum: "Wird die Bildung gekidnappt?"
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| @n8wandler | | von: bernstein
erstellt: 29.12.2007 12:11:33 geändert: 29.12.2007 13:10:29 |
Ich glaube, ich habe deinen Beitrag jetzt verstanden. (Manfred Spitzer habe ich selbst auch mal in einem Vortrag erlebt.) Was aber bedeuten deine obigen Ausführungen für den Schulalltag?
In den Siebziger Jahren wurden Lernziele formuliert, an denen sich die Gestaltung von Unterricht auszurichten hatte. Diese Lernziele waren vielfältiger als die heute geforderten Fertigkeiten, denn Fertigkeiten waren damals nur eine Untergruppe von ihnen neben fachinhaltlichen z. B. Darunter befanden sich auch stets emotionale Lernziele, wobei aber stets formuliert wurde, dass diese im Gegensatz zu den rein kognitiven nicht überprüfbar seien. Immerhin erkannte man aber ihre Notwendigkeit an.
Rhauda formuliert richtig, dass stattdessen ausgelöst durch PISA die Lernziele mehr und mehr allein durch Fähigkeiten und Fertigkeiten verdrängt werden, was die Zielsetzung des Unterrichts betrifft. Es geht nicht mehr oder nur noch sehr bedingt primär um Unterrichtsinhalte, sondern eher darum, wie man sich Wissen aneignen kann, wo man etwas nachschlagen kann. Das ist an sich ja was Gutes. Jedoch vermisst man in den neuen Zielsetzungen des Unterrichts GERADE das emotionale Element, von dem du auch in deinem Beitrag sprichst. Der Schüler soll nur noch funktionieren und das möglichst reibungslos.
Die Sparmaßnahmen der Schulpolitiker sind dazu angetan, eben alles das zu unterbinden, was eine positive Lernatmosphäre erst ermöglicht: wir sprachen in anderen Foren schon ausführlich darüber: ich nenne hier nur eine: immer vollere Klassen in nicht mitwachsenden Unterrichtsräumen bei Schülern mit immer mehr persönlichen und familiären Problemen.
Zeigt mir bitte, wo und in welchen Bildungsrichtlinien der einzelnen Länder steht, dass eine positive, emotional verstärkende Lernumgebung Grundvoraussetzung für erfolgreiches kognitives Lernen sei.
M. E. sind es allein die zahllosen Lehrerinnen und Lehrer, die allen widrigen Umständen und übergeordneten Forderungen ZUM TROTZ tagein tagaus und in vielen kleinen Schritten und Momenten mit vielen großen und kleinen Gesten und Maßnahmen versuchen, eben diese Atmosphäre immer wieder neu zu schaffen bzw. aufrecht zu erhalten. |
| @bernstein | | von: rhauda
erstellt: 29.12.2007 12:59:42 geändert: 29.12.2007 13:00:39 |
ausgelöst durch PISA die Lernziele mehr und mehr allein durch Fähigkeiten und Fertigkeiten verdrängt werden, was die Zielsetzung des Unterrichts betrifft. Es geht nicht mehr oder nur noch sehr bedingt primär um Unterrichtsinhalte, sondern eher darum, wie man sich Wissen aneignen kann, wo man etwas nachschlagen kann. Das ist an sich ja was Gutes. Jedoch vermisst man in den neuen Zielsetzungen des Unterrichts GERADE das emotionale Element, von dem du auch in deinem Beitrag sprichst. Der Schüler soll nur noch funktionieren und das möglichst reibungslos.
Mein Eingangspost bewegt sich auf zwei Ebenen:
Einen Menschen lebenstüchtig zu machen, ihn dazu zu befähigen, in den verschiedenen Lebenssituationen angemessene Entscheidungen zu treffen, geht weit über das hinaus, was PISA, IGLU und Co messen. Es wäre doch prächtig,könnte man sich als Lehrer allein auf den Wissenszuwachs seiner Schüler konzentrieren!
Werteerziehung findet zunehmend in der Schule statt. Aber wie misst man den Lernerfolg?
Eine zweite Ebene ist die Verflachung des Wissens, die schwindende Notwendigkeit, sich in Sachverhalte auch wirklich einzuarbeiten, sie zu durchdringen und dann zu bestimmten Fragen eine fundierte Meinung zu bilden.
Ein Beispiel: im Physikcuricculum wird der Diskussion über die Nutzung von Atomkraft Raum gegeben, nicht aber dem ausreichenden Erwerb von Wissen über Atomkraft selbst.
Biologie: wir sind gerade im Umbruch, was die Anwendung der Kerncurricula betrifft, aber mir ging es so:
Kerncurriculum sagt "Stammzellenforschung, Ethik" soll als ein Teil der Genetik behandelt werden. Damit sich die Schüler allerdings auch ein halbwegs sinnvolles Urteil erlauben können, muss man in die Materie tief eintauchen. Ich habe das getan und habe nun keine Zeit mehr, Evolution ausreichend zu behandeln, aber auch das steht im Kerncurriculum.
Fazit: Im Sturzflug über die Themen in den Fächern, alles mal gehört haben, Multiple Choice Fragen beantworten und dann wird in der Öffentlichkeit zu Allem und Jedem irgendeine Meinung herausgeblökt, die niemand wirklich angreifen kann, weil die Hörenden ja selbst auch keine Ahnung haben.
Wenn man das kritisiert, kommt nur der Hinweis darauf, dass man dann wohl den Schülern nicht genügend Methodenkompetenz beigebracht hat, denn wenn die stimmt, dann klappt's auch mit der Fachkenntnis.
Wäre ich nicht so ein lammfrommer und positiv denkender Mensch, ich würde dem Ganzen ein System unterstellen. Ottonormalschüler soll als Erwachsener keine fundierten Meinungen haben. Er könnte ja was merken.
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| einerseits - andrerseits | | von: rfalio
erstellt: 30.12.2007 23:01:58 |
Natürlich ist es leichter, die "Herzensbildung" zu fördern, wenn man eine Klasse 20 Stunden oder mehr unterrichtet. Doch auch mit 2 Stunden kann man schon viel erreichen ( wenn man sich die Zeit nimmt).
Es ist aber auch leichter, in der Sek I nur bestimmte Fächer zu unterrichten, für die man wirklich ausgebildet ist. Ich möchte nicht in einer Stunde eine Exponentialfunktion spiegeln, in der nächsten über Mitose und Meiose reden, dann vielleicht französisch parlieren ( ich spreche kein Wort), Parallel- und Reihenschaltung erklären, die literaturgeschichtliche Bedeutung von Büchner erklären usw.
Zum Ausgangspunkt:
Mich nervt an PISA &Co, dass
- man erst spät Ergebnisse bekommt, die dann auch nicht 100% aussagekräftig sind
- relativ kleine Aufgaben gestellt werden ( bei denen man durch Tricks durchaus Punkte sammeln kann); ausführlichere Aufgaben, die die Fähigkeit zum Durchdringen komplexerer Probleme und die Ausdauer testen, fehlen
- die Schüler auf diese Tests trainiert werden können und damit Anderes ( siehe vorige Beiträge) oft auf der Strecke bleibt.
rfalio |
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