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Forum: "Burnout bei Lehrern?"
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| @ysnp | | von: halb27
erstellt: 15.10.2018 00:23:27 geändert: 15.10.2018 01:04:28 |
Du hast insofern recht, als der Auslöser für meine Kritik an der Rechtschreibdidaktik tatsächlich die Erfahrungen an 'meiner' Schule sind. Nur: Das haben sich die Lehrerinnen ja nicht selbst ausgedacht. Sondern es spiegelt das wider, was die Lehrbücher anbieten. Und diese wiederum spiegeln weitgehend das wider, was diverse Handreichungen der Kultusbehörden aussagen. Mit Schulbüchern habe ich mich partiell beschäftigt, mit den Handreichungen der Kultusbehörden relativ intensiv. Wobei dort durchaus auch gute Ideen zu finden sind. Daneben kenne ich von Fortbildungen her auch die Vorgehenweisen an anderen Schulen. Und da muss ich leider sagen, dass da oft wenig Sinnvolles praktiziert wird. Es ist natürlich nicht primär die Aufgabe der Lehrer, die Didaktik zu optimieren. Eigentlich sollten sie sich auf die gängige Didaktik verlassen können. Nur nutzt es auch hier nichts zu lamentieren. Zumindest partiell kann man seine Didaktik selbst verbessern. Dass manche Lehrer das auch tun, glaube ich gerne. Das Hauptproblem ist aber, überhaupt zu erkennen, dass ein langjährig praktiziertes und allgemein eingeführtes Vorgehen wenig sinnvoll ist. Ich denke, daran scheitern die meisten Lehrer. Was ja auch verständlich ist. Damit sich das jetzt nicht so von oben herab anhört, ein einfaches Beispiel, wo ich lange gebraucht habe, die Sinnlosigkeit zu erkennen: Die Nutzung des Hunderterfelds. Das habe ich lange Zeit für genial gehalten, weil es 'irgendwie hübsch' das Dezimalsystem abbildet. Bis mir irgendwann aufgefallen ist, dass viele Kinder Schwierigkeiten haben, sich auf dem Hunderterfeld zu orientieren. Das Perfide: man ist geneigt, das Problem den betreffenden Kindern zuzuordnen und im Schlimmstfall fehlendes Zahlenverständnis zu diagnostizieren. Einfach weil das Hunderterfeld so gut eingeführt ist, dass man es gar nicht in Frage stellt. Die richtige Frage muss sein: Brauche ich das Hunderterfeld? Und da lauert der nächste Fallstrick, dass man leicht einen Allgemeinplatz findet, der das Hunderterfeld stützt. Wichtig ist festzustellen, welche Argumente für die Praxis relevant sind. Im Falle des Hunderterfelds muss man dazu eruieren, was denn die realen Probleme der Kinder sind beim Erobern des ZR100. Das sind die Abfolge und das Rechnen mit den Zehnerzahlen 10, 20, 30, ... Und die Abfolge der Zahlworte und -symbole an den Zehnergrenzen resp. einfachste Rechnungen mit Zehnerübergang. Leistet das Hunderterfeld hier einen Betrag? Vielleicht ja, aber es scheint mir auf jeden Fall vielversprechender zu sein, diese Themenfelder direkt einzuüben, und zwar intensiv, denn Defizite an dieser Stelle wirken sich später massiv aus. Leistet das Hunderterfeld einen anderen handfesten positiven Beitrag zur Eroberung des ZR100? Kann ich nicht erkennen. Die Darstellung steht sogar einer natürlichen Zahlvorstellung entgegen, weil sie benachbarte Zahlen nicht generell benachbart darstellt. Die Dezimaldarstellung selbst wird im Unterricht ohnehin auf andere Weise eingeführt. Hierfür wird das Hunderterfeld nicht benötigt. Es entlastet einen Lehrer, wenn er auf das Hunderterfeld verzichtet, und es entlastet die Schüler mit Raumlage-Wahrnehmungsstörungen, die sich auf dem Hunderterfeld nicht orientieren können. In dem Zusammenhang ist es auch sinnvoll, den Vorgänger-/Nachfolger-Begriff zu vermeiden. Denn manche Kinder mit Raumlage-Wahrnehmungsstörungen kommen damit nicht klar. Was wieder nichts mit dem Zahlenverständnis zu tun hat. Man kann für denselben Zweck die Kinder +1 bzw. -1 rechnen lassen oder vorwärts/rückwärts zählen (wobei man das jeweils mit Zahlen aus dem ZR10 vormacht, um Probleme mit dem Vorwärts-/Rückwärts-Begriff zu vermeiden). |
| @palim | | von: halb27
erstellt: 15.10.2018 00:57:54 geändert: 15.10.2018 01:09:49 |
Drr Schwarze Peter liegt nicht bei den Lehrkräften, aber die Lehrkräfte können zumindest partiell die Situation verbessern. Ein Beispiel, das gleichzeitig die Lehrkräfte entlastet, habe ich im letzten Beitrag aufgeführt. Dass individuelle Förderung wünschenswert ist, ist nicht die Frage, sondern, wie sie von Lehrkräften real geleistet werden kann. Eine ehrliche klare Antwort auf diese Frage für sich selbst entlastet einen Lehrer ebenfalls. An 'meiner' Schule wird individuelle Förderung für ein Fach mit 1 Unterrichts-Stunde pro Woche betrieben. So kann man individuelle Förderung verkaufen, aber mit wirklicher Förderung von ernsthaft leistungsschwachen Schülern hat das wohl wenig zu tun. Aber bitte nicht über 'meine' Schule lächeln. Ich befürchte, viele Angebote an 'individueller Förderung' haben einen ähnlichen Charakter. Da finde ich es ehrlicher, sich einzugestehen, dass eine allen leistungsschwachen Schülern zukommende individuelle Förderung durch die regulären Lehrkräfte unrealistisch ist. Schwerpunktmäßig kann man als Lehrkraft einzelne Kinder individuell fördern, de facto wohl nur ganz wenige. Engagierte Lehrkräfte mag das betrüben, aber letztlich fühlt man sich wohler, wenn man seine Grenzen anerkennt. Und deshalb sehe ich die Nutzung probater Methoden, die auch Kinder aus bildungsfernen Schichten erreichen, als die umfassend nutzbare Lösung an und nicht die individuelle Förderung. |
| @ysnp | | von: mordent
erstellt: 15.10.2018 09:57:05 geändert: 15.10.2018 10:03:21 |
Ich leide DERZEIT an Unterforderung... Das geht jetzt das zweite Schuljahr so - von elf Schuljahren, die ich jetzt seit dem Ref Lehrer bin. Bis vor zwei Jahren habe ich genau das Deputat gehabt, das ich guten Gewissens bewältigen konnte. Angefangen habe ich mit 8 Stunden... Jede/r kann sich ausrechnen, was ich da verdient habe... Als das gut lief, bin ich sukzessive hoch auf 10, 12 und 14 Stunden... Dann erhielt ich die Deputatsermäßigung aufgrund meiner Schwerbehinderung (damals 3 Stunden), sodass ich diese drei Stunden wieder draufschlagen konnte... Also war ich bei 17 Stunden. Weiteren Nachlass gab es wegen der Anrechnung von Sonderaufgaben, doch da die en plus zum eigentlichen Geschäft sind und mit Netzwerkbetreuung mehr als die angerechneten zwei Stunden kosteten, habe ich nicht weiter erhöht. Ich arbeite heute 13 Stunden, werde für 17 bezahlt und habe noch Zeit für ein wunderschönes Hobby (Musik) und Kinder (als Freund mehrerer Familien, Nachhilfelehrer, Babysitter und im Verein). Derzeit sitze ich allerdings diese Zeit (bzw. die mehr als doppelte Zeit) nur ab und erstelle sinnlos differenziertes Unterrichtsmaterial, habe also keinerlei Vor- und Nachbereitung oder Verantwortung für einzelne Schüler, geschweige denn ganze Klassen. Ab und zu schmuggle ich mich mal in die Aufsicht einer Klasse, wenn der Fachlehrer oder die Vertretung nicht auftauchen... Das empfinde ich als Unterforderung... Ich bleibe also dabei: Jeder ist seines Stresses Schmied. Und wenn ich auch mitkriege, dass immer mehr Aufgaben auf die Schule abgewälzt werden, so ist es doch an uns selbst, für unsere Lehrergesundheit zu sorgen. Am einfachsten ist dies durch Reduzierung der vertraglichen Arbeitszeit... Wenn wir dann bald nur noch Teilzeitkräfte an Grundschulen haben, wird eins klar: Wir werden langfristig - wie in weiterführenden Schulen - eine Lehrkraft als Klassenleitung benötigen, die ein oder zwei Hauptfächer unterrichtet und weitere zwei bis drei Lehrkräfte, die die restlichen Fächer unterrichten. Dadurch ist dann Zeit frei für die vielen Verwaltungsgeschichten mit Fördergedöns, Eltern und Gesocks... Im Prinzip müsste man sich einfach die Zeit nehmen, die es braucht... Dann werden bestimmte Dinge halt nicht fertig oder überhaupt angefangen. Das ist keine Arbeitsverweigerung, sondern schlichtweg Arbeiten am Rande des Möglichen... Unmögliches sollte man dann einfach mal "hinten runter fallen lassen", damit ganz oben irgendwann mal reagiert wird. |
| an mordents | | von: janne60
erstellt: 15.10.2018 10:41:52 |
letztem Absatz knüpfe ich mal an, bzw. er sagt das, was ich auf Seite 1 bereits ausgeführt habe. Unmögliches geht eben nicht. Das Einzige, was Lehrkräfte noch ablegen müssen, ist das schlechte Gewissen (weil etwas nicht geht) für Dinge, die sie nicht verbockt haben. Und wenn ich gefragt werde, warum ich denn z.B. nicht mit einer Klasse ins Schullandheim fahre, dann lautet meine Antwort "weil es keine Verordnung gibt, die mich dazu zwingen kann, und freiwillig stelle ich nicht meine private Zeit zur Verfügung, schon gar nicht, seit die Politik seit 15 Jahren stetig an meiner Stundenerhöhung und meiner Gehaltskürzung schraubt." Wenn mich jemand fragt, warum ich keine Kochprojekte oder Plätzchenbacken mit der Klasse mache, dann ist die Antwort: "Weil ich mit 28 Kindern incl. 3 E-Schülern und ohne Teamlehrer oder I-Helfer solche Projekte nicht gefahrenfrei durchführen kann". Diese Beispiele sind beliebig erweiterbar. Man kann nun den alten Zeiten nachtrauern, als das alles noch ging, man kann aber auch sagen: Die Zeiten und Bedingungen haben sich geändert. Dafür kann ich nichts. Ich muss jedoch damit umgehen. Ich halte genauso professionellen Unterricht wie früher. Ich achte und respektiere meine Schülerschaft genauso wie früher. Ich bin an guter Elternmitarbeit genauso interessiert wie früher. Somit macht mir meine Arbeit noch genauso viel Freude wie früher. Der Vorteil gegenüber früher ist sogar, dass ich das mit der Abgrenzung immer besser hinkriege. Ich nehme immer weniger und seltener Schüler, Eltern oder Probleme mit nach Hause. Ich bleibe dabei: Aus meiner Sicht ist das die beste Burnout-Vorsorge. |
| Das sowieso... | | von: mordent
erstellt: 17.10.2018 11:27:02 |
Ich nehme - wenn ich denn mal wieder als Lehrer arbeiten darf - sowieso nichts mit nach Hause außer nicht mehr benötigte Materialien (z. B. Kopiervorlagen, Seidenpapier oder Bionik-Memory) und geschriebene Arbeiten zur Korrektur. Probleme mit Schülern, Eltern, Kollegen, der Schulleitung... bleiben in der Schule. Da habe ich meine Position, weiß ob und was ich wie klären oder abarbeiten werde... Das nehme ich weder mit heim noch lasse es an meinem Umfeld aus. |
| .... | | von: ysnp
erstellt: 18.10.2018 19:38:14 |
"Es ist natürlich nicht primär die Aufgabe der Lehrer, die Didaktik zu optimieren." Das ist ein Trugschluss. Gerade als Praktiker weiß ich, was funktioniert und was nicht funktioniert, deshalb entwickelt man die Didaktik, die man anwendet immer weiter bzw. verändert sie. Ohne Optimierung der Didaktik ist ein guter Unterricht machbar. Vielleicht meinst du auch neue Ideen, die von außen kommen. Die schaut man sich an und adaptiert sie oder nicht. |
| Einspruch! | | von: mordent
erstellt: 22.10.2018 11:13:42 |
"'Es ist natürlich nicht primär die Aufgabe der Lehrer, die Didaktik zu optimieren.' Das ist ein Trugschluss. Gerade als Praktiker weiß ich, was funktioniert und was nicht funktioniert, deshalb entwickelt man die Didaktik, die man anwendet immer weiter bzw. verändert sie." Eigentlich nicht... Eigentlich sollte es so sein: Man kennt seine Lerngruppe, man weiß, wie man ihnen am besten welche Inhalte beibringen kann, bereitet diese entsprechend vor, unterrichtet... Passt! "Ohne Optimierung der Didaktik ist ein guter Unterricht machbar." Das wiederum unterstreiche ich sofort! |
| .... | | von: ysnp
erstellt: 22.10.2018 19:44:46 |
Ich hatte mich da verschrieben... Man optimiert die Didaktik in dem Sinn, dass man sie der aktuellen Situation anpasst. Deswegen ist eine Optimierung der Didaktik immer erforderlich oder nennen wir es auch Anpassung. Man unterrichtet ja nicht um des Unterrichtens willen, sondern man unterrichtet Menschen. Deswegen ist es ein Prinzip der Unterrichtsplanung, die Klassensituation und das Vorwissen des Schüler in der Planung mit einzubeziehen. |
| Es sind sicher andere Welten,... | | von: mordent
erstellt: 23.10.2018 08:31:22 |
... wo man unterrichtet, aber ich verstehe gymnasialen Unterricht tatsächlich als Unterricht um des Faches willen, der Erfüllung des Bildungsplans willen, der Wissenschaftspropädeutik. Natürlich greifen auch hier Mittel der didaktischen Reduktion und Aufbereitung, aber es geht darum, ein gymnasiales Niveau zu etablieren, bei dem es auch sein kann, dass einelne Schüler/innen es nicht erreichen. Entsprechend passe ich meinen Unterricht den Bildungsplanänderungen an, nicht so sehr der Lerngruppe. Natürlich bleibt das nicht gänzlich aus, aber das sind Feinabstimmungen. Der grundsätzliche Inhalt bleibt derselbe. Da uns das KM immer mehr Themen in den Bildungsplan drückt, geht das immer zu Lasten der individuellen Förderung, inklusiven Betreuung und gleichen Bildungschancen. Die gibt es nur noch auf dem Papier. Das große aktuelle Thema "Differenzierung" soll ja eigentlich schwächere Schüler abholen, aber es etabliert die Schwachen nur auf ihrer Position... Sie holt nichts und niemanden ab. Aber zurück zum Thema: Unterrichtsplanung ist unser täglich Brot. Davon dürften wir nicht ausbrennen. |
| Re | | von: marie-sophie2
erstellt: 23.10.2018 17:28:17 |
Zitat knuffige: "Hi, am besten wäre natürlich, wenn der Schülerschlüssel geändert würde. Inklusion hat ja nichts gebracht. Nur mehr Arbeit für uns, aber keine kleineren Klassen. Selbst Schulbegleiter sind ja eher noch belastend. Wenn denen langweilig wird, fangen die im Unterricht an auf dem Handy zu spielen. " Ach ja? Sicher fändest du es dann auch okay wenn ich schreibe: Bei Lehrern lernen die Schüler nur, wie man seitenweise aus dem Lehrbuch abschreibt. Langweilen müssen sie sich nicht, haben sie doch die Tageszeitung griffbereit. |
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