Zwischen der wohlgemeinten Theorie und der harten Praxis klafft eine Schere, die durch ideologisch verbrämte Phantasien immer weiter auseinanderklafft. So wird immer wieder behauptet, dass schlechte Schüler von den guten lernen können. In der Realität sorgen aber die schlechten Schüler dafür, dass die guten abgelenkt oder sogar demotiviert werden, z.B. weil sie nicht als „Streber“ gebrandmarkt werden wollen.
Je größer die Heterogenität der Lerngruppe, desto schwieriger der Unterricht, insbesondere je größer die Lerngruppe insgesamt ist! Gerne wird auf die Erfolge des finnländischen (Gesamt-)Schulsystems hingewiesen, dabei aber geflissentlich verschwiegen, dass die dort die Lerngruppen aus maximal 15 Schülern bestehen (statt aus rund 30), zusätzlich stehen jedem Lehrer Hilfskräfte zur Verfügung, um die Lerngruppen zwecks Binnendifferenzierung nochmals zu teilen!
Um die ideologisch begründeten Ziele der Kultusminister zu erreichen, braucht man doppelt so viele Lehrer, was aber die Finanzminister nicht bereit sind zu zahlen. Mal ganz abgesehen, dass die Wochenarbeitszeit aller Angestellten und sonstigen Beamten im öffentlichen Dienst seit 1950 um rund ein Viertel verringert wurde – im Gegensatz zu Lehrern, die zudem auch noch eine Vielzahl zusätzlicher Aufgaben aufgebrummt bekommen haben!
Bestand die Aufgabe der Lehrer Jahrhunderteland darin, zu lehren und zu prüfen bzw. bewerten. Nach und nach kamen dazu:
* „diagnostizieren“: Warum ist ein Schüler so gut oder schlecht, wie er ist?
* „informieren“: Die Eltern wollen genauestens über den Leistungsstand ihrer Kinder informiert werden!
* „beraten“: Die Schüler müssen über ihren Leistungsstand beraten werden.
* „fördern“: Schlechte Schüler müssen gefördert werden, damit sie besser werden.
* „fordern“: Gute Schüler müssen gefordert werden, damit sie (noch) besser werden.
* „planen“: Neben dem Unterricht müssen Lehrer heute sehr viel planen: Wandertage, Exkursionen, Schullandheimaufenthalte, Studienfahrten, außerunterrichtliche Aktivitäten … und natürlich müssen die schriftlichen Überprüfungen auch noch irgendwie sinnvoll dazwischengequetscht werden!
* „Qualität sichern“: Nachden die AQS (Agentur für Qualitätssicherung, … von Schulen) in Rheinland-Pfalz derart glanzvoll gearbeitet hatte, dass sie nach nur sehr kurzer Existenz schon wieder geschlossen wurde, muss nun jeder Lehrer selber seine „Qualität sichern“!
und seit Neuestem:
* gleichzeitig Präsenzunterricht UND Fernunterricht parallel entwerfen und halten, dazu Videosprechstunden, vermehrte Kontrollen von schriftlichen Hausaufgaben, etc. … alles ohne auch nur eine Minute Kompensation oder einen Euro Überstundenzuschlag!
Zu allem Überfluss ist die Besoldung der Lehrer in Rheinland-Pfalz heute inflationsbereinigt gerade einmal knapp über dem Niveau von vor 20 Jahren, während der Durchschnitt der inflatioinsbreinigten Löhne in Deutschland um ein Drittel gestiegen ist! Sollte sich also irgendein Fachfremder oder Theoretiker erdreisten, schlecht über uns Lehrer zu urteilen, dann kann er ja gerne mal für einen Monat übernehmen … wenn er es solange durchhält!
Ranga Yogeshwar – den ich eigentlich immer sehr gemocht hatte – hat behauptet, wenn er unterichtete, lernten die Schüler viel mehr. Das sagt jemand, der
1. nur eine 45-Minuten-Veranstaltung pro Monat abliefert statt über 100,
2. für Planung und Durchführung dieser einen Veranstaltung einen Mitarbeiterstab von etlichen Fachleuten hat,
3. keine der sonstigen, oben aufgezählten Verpflichtungen zu verrichten hat.