"Das ist ja Mama!"
Die Autorin des "Lehrerhasserbuches" ist enttarnt. Nun fürchtet die Journalistin und Mutter von vier Kindern den Unmut der Lehrer
Von Kai Ritzmann
Jetzt, nachdem es raus ist, nachdem es alle wissen, sucht Gerlinde Unverzagt die Öffentlichkeit. Am Wochenende hat der "Spiegel" ihr Pseudonym gelüftet, und nun hat sie erst einmal keine ruhige Minute mehr. Das Telefon klingelt, das Fernsehen steht vor der Tür, "es ist", sagt sie, "der Wahnsinn". Ihr jüngster Sohn mußte gestern Mittag erst einmal auf die versprochenen Käsespätzle verzichten. Mama war gehörig im Streß.
Unter dem Namen Lotte Kühn hatte die 45 Jahre alte Journalistin Ende vergangenen Jahres das "Lehrerhasserbuch" veröffentlicht (Knaur Taschenbuch Verlag, 6,95 Euro), seitdem ging in den Schulen der Hauptstadt das Rätselraten los, welche Mutter die zum Teil erschreckenden Verhältnisse in den Klassenzimmern ans Licht der Öffentlichkeit gebracht hat. Denn die Autorin, soviel war klar, hatte ihre Spione: ihre eigenen vier Kinder im Alter zwischen acht und sechzehn Jahren. Die Jagd war eröffnet.
Unlängst fand sie ein aus Sicht der Lehrer offensichtlich befriedigendes Ende. Eine Lehrerin, die den Jüngsten unterrichtet, glaubte auf einem Magazin-Foto, das Gerlinde Unverzagt von hinten zeigt, die Verursacherin all des Ärgers entdeckt zu haben. Vor der ganzen Klasse konfrontierte sie triumphierend den Sohn mit der Aufnahme, so daß diesem der Ausruf: "Das ist ja Mama!" entfuhr. Die Tarnung war aufgeflogen.
Nun hoffen Mutter und Kinder auf Nachsicht der angegriffenen Lehrer, sehr hoch allerdings sind ihre Erwartungen nicht. Die befürchtete Reaktion in der Schule bereite ihr "große Sorge". Auch darum habe sie jetzt die "Flucht nach vorn" angetreten. "Popularität", sagt sie fast bittend, "schützt vielleicht". Es ist eine Argumentation, die seinerzeit schon sowjetische Regimekritiker vor dem Straflager bewahren sollte. Nicht von ungefähr also verbringt sie im Augenblick "manch schlaflose Nacht".
Das Buch ist über weite Strecken pointiert geschrieben, gar polemisch. Doch es ist auch gespickt mit unzähligen Beispielen aus dem Alltag in den Klassenzimmern, die sich zu einem Panoptikum aus Unfähigkeit, Unlust und Unverstand, gepaart mit Hilflosigkeit oder Bösartigkeit, zusammenfügen: ein Abgrund an pädagogischer Überforderung und Inkompetenz. Unverzagt erzählt von Staatsbediensteten, die ihre Schüler niedermachen und beleidigen, von einer Lehrerin zum Beispiel, die ihrer Klasse entgegenschleudert: "Ihr seid das Allerletzte. Abschaum, der reinste Abschaum!" "Wer wird", fragt sie verstört, "eigentlich Lehrer?" Unverzagt fordert eine bessere Lehrerausbildung und eine Art "Eignungstest". Vor allem aber will die geplagte Mutter eine "Kultur des Respekts" in den Klassen fördern. Die von ihr wahrgenommenen "Demütigungen" der Schüler müßten ein Ende haben. "Es geht", sagt sie, "verdammt noch mal um unsere Kinder!"
Es gibt in dem Buch auch ein Kapitel über "gute Lehrer". Doch Unverzagts Hoffnung, daß sich die Verhältnisse allgemein zum Beßren wenden, ist gering. Zu perfekt hätten sich viele Lehrer bereits in eine "Bunkermentalität" geflüchtet, die sie "kontaktunfähig" mache. Eventuell aber verführt das "Lehrerhasserbuch" den einen oder anderen von doch zur Überprüfung des eigenen Verhaltens. Die Kinder hätten es verdient.