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Forum: "Geschichte zum Weiterschreiben. Teil 2"
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| 26 - 14. | | von: aloevera
erstellt: 15.07.2006 11:21:08 geändert: 15.07.2006 11:22:14 |
Dr. Sperling hatte noch einen Patienten und versprach Marion, in zwanzig Minuten da zu sein. Sollte es Jack inzwischen schlechter gehen, sollte sie einen Rettungswagen rufen und ihn in die Klinik bringen lassen. Jack erinnerte sich dunkel an einige Atemübungen, die er in der Gruppe von Frank gelernt hatte und versuchte, tief in den Bauch zu atmen. „Ich bin ganz ruhig. Mein rechter Arm ist gaaaaanz schwer…..“ Er hatte das damals als absoluten Schwachsinn empfunden, aber es wirkte. Der Puls beruhigte sich ein wenig, sein Körper entspannte sich. Marion flößte ihm gläserweise Wasser ein und redete ihm gut zu. Langsam kehrte wieder ein wenig Farbe in sein Gesicht. Die Minuten bis zu Dr. Sperlings Ankunft dehnten sich ins Unermessliche. Nach eingehender Untersuchung diagnostizierte Dr. Sperling einen Kreislaufkollaps, ausgelöst durch eine nicht auskurierte Grippe, extreme Hitze und zu wenig Flüssigkeit. Jack hatte an diesem Tag schlichtweg vergessen, ausreichend zu essen und zu trinken. Ein bis zwei Tage Bettruhe und Jack wäre wieder auf den Beinen. Zum Glück hatte er bis zum nächsten Abend frei. Nun war er zwar in seiner Wohnung, in der auch sein Bett stand, aber alle Sachen waren bei Delia. Im Kühlschrank gähnende Leere, außer Leitungswasser gab es hier nichts mehr. Marion bot Jack an, ihn zu Delias Wohnung zu fahren. Was hatte er für eine Wahl? Seit dem gestrigen Abend war er mit ihr fertig und wollte sie am liebsten gar nicht mehr sehen. Sobald er wieder fit war, musste er sich umgehend um eine neue Bleibe kümmern. Marion stützte Jack, führte ihn zu ihrem Auto und brachte ihn zu Delia. Es kostete Jack die letzte Kraft, aber gemeinsam schafften sie es.
Marion klingelte an der Wohnungstür und eine aufreizende Blondine mit knappem T-Shirt und Hotpants öffnete. Delia starrte erst Marion, dann Jack an.
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| 26 - 15. | | von: aloevera
erstellt: 15.07.2006 15:22:41 |
„Bitte, kümmern Sie sich ein wenig um ihn“ bat Marion Delia, „Er hatte einen Kreislaufzusammenbruch und braucht Ruhe.“ Dann zu Jack gewandt „Pass gut auf dich auf. Wir telefonieren morgen, okay?“ Sie hauchte ihm ein Küsschen auf beide Wangen, verabschiedete sich knapp von Delia und ging.
Jack verschwand schnurstracks in die Küche, holte sich eine Flasche Selters und ging in sein Zimmer, ohne Delia eines Blickes zu würdigen. Delia war ziemlich irritiert und wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie konnte verstehen, dass Jack stocksauer war, dass er aber seit vorgestern Abend kein Wort mehr mit ihr redete und sie wie Luft behandelte, traf sie doch sehr. Sie hatte eingesehen, dass sie sich zu sehr auf Freddys einseitige Schilderungen über die Ehe von Marion und Jack versteift hatte. Verena hatte Delias Rachepläne unreflektiert unterstützt. Wie sie inzwischen eingesehen hatte, auch aus einem Rachegefühl heraus, als sie merkte, dass Marion alle Chancen bei Max hatte und sie keine einzige. Dabei hatte sie sich Hals über Kopf in Max verliebt . Als dann die Lawine wegen der Nacktfotos losgetreten war, trat Max ihr zwar weiterhin freundlich, aber distanziert gegenüber. Nach diesem Nachmittag der Konfrontation zwischen Jack und Charlotte hatte Verena ein schlechtes Gewissen und lag Delia so lange damit in den Ohren, bis sie Jack in der Pizzeria die Wahrheit sagte. Mittlerweile mochte sie Jack und konnte sich mehr als nur eine Wohngemeinschaft mit ihm vorstellen. Jack war fassungslos, als Delia ihm alles beichtete. Männer konnten ja wahre Schweine sein, aber Frauen schienen dagegen noch einiges mehr auf Lager zu haben. Und der flotte Dreier, an den er sich leider nicht erinnern konnte, entpuppte sich ebenso als Fata Morgana. Das hatte Jack am meisten in seiner Ehre getroffen und schlagartig ernüchtert.
Er hatte im Studio vor einiger Zeit einen verwitweten Mittfünfziger kennen gelernt, dessen Sohn die Einliegerwohnung wegen Heirat in seinem Haus aufgegeben hatte. Es war eine Einzimmerwohnung mit kleiner Küche und einem kleinen Bad, mit separatem Eingang. Die Miete war mehr als günstig, denn die Pflege des Gartens war an den Mietvertrag geknüpft. Jack und der grüne Daumen! Bei ihm ertranken oder verdursteten alle Pflanzen. Er beschloss, sich die Wohnung und den Garten sobald wie möglich anzusehen.
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| 27 - 1. | | von: aloevera
erstellt: 16.07.2006 00:07:27 geändert: 16.07.2006 00:08:38 |
Abdeckfolien, Pinsel, Farbeimer, Rollen, Tapetentisch, Kleister und Tapetenrollen, soweit das Auge reichte… Bei brütender Hitze von 30 Grad wurde im Hause Schäfer-Wegener tapeziert, gestrichen und gemalert. Bernd hatte eine Woche Urlaub genommen und war froh, statt an seinem Schreibtisch mal wieder handwerklich arbeiten zu können. Nadine kam und half, so oft sie es mit ihrem Dienst vereinbaren konnte und für Sylvia war das Renovieren eine willkommene praktische Umsetzung ihres theoretischen Unterrichtsstoffes. Mancher Raum in der Schule trug deutlich ihre Handschrift. Marions Eltern waren extra gekommen, um zu helfen. Mutter Renate sorgte sich um das leibliche Wohl, kaufte ein, kochte und verpflegte die gesamte Mannschaft. Marions Vater hatte sich die Gestaltung einer Terrasse von der Wohnhalle aus zur Aufgabe gemacht und Marion, von allen Seiten beäugt, dass sie sich ja nicht zu viel zumutete, gestaltete den Garten nach ihren Vorstellungen.
Ursprünglich geprägt von den Vorstellungen eines älteren Ehepaares verwandelten sich die mit blumigen Mustern tapezierten Wände des Hauses in strahlendes Weiß. Lediglich das Kinderzimmer bekam eine dezent gemusterte Tapete.
Marion bepflanzte die Balkonkästen vor dem Schlafzimmer mit roten Hängegeranien und blauen Lobelien. Sie streckte sich, schaute zum nahe gelegenen Wald hinüber und sog tief die würzige Waldluft ein. Sie betrachtete lächelnd ihren Vater vom Balkon aus, wie er prüfend ein Stück des Rasens mit den Augen abschätzte. Er wollte am liebsten schon jetzt einen Sandkasten für das Kind anlegen, aber Marion hatte ihn überzeugen können, dass es dafür noch ein wenig zu früh sei. Sie wartete schon seit Tagen auf eine günstige Gelegenheit, mit ihrer Mutter über Gregor sprechen zu können, denn ein Wiedersehen zwischen den beiden rückte immer näher. Bisher hatte sich jedoch noch keine Gelegenheit ergeben.
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| 27 - 2. | | von: aloevera
erstellt: 17.07.2006 09:27:54 geändert: 17.07.2006 11:12:25 |
Überall herrschte Chaos. In Marions und Jacks gemeinsamer Wohnung stapelten sich Kisten und auch in Max´Wohnung waren schon viele Habseligkeiten in Kisten verpackt. Zudem schliefen Bernd und Marions Eltern ebenfalls während der Dauer ihres Aufenthaltes in Münster in Max Wohnung.
Marion richtete sich auf und hielt ihren schmerzenden Rücken. Sie sehnte sich nach geordneten und ruhigen Verhältnissen ohne Renovieren, Packen und Umzugsstress.
Als Jack wieder auf den Beinen war, hatten sie es in einem neuerlichen Anlauf geschafft, sich in der Wohnung zu treffen und zu entscheiden, wer was aus der gemeinsamen Wohnung mitnimmt. Jack hatte versucht, auf sie einzureden, sich alles noch einmal zu überlegen. Noch könnte sie alles rückgängig machen und schlug ihr allen Ernstes vor, es nach der langen Zeit des Abstandes noch einmal miteinander zu versuchen. Marion war fassungslos. War es seine Bequemlichkeit, seine Angst vor dem Alleinsein oder die Macht der Gewohnheit, ihr solch einen Vorschlag zu machen? Marion war nicht die Frau, die kalten Kaffee aufwärmt. Innerlich musste sie sich jedoch eingestehen, dass es ihr mächtig an die Nieren ging, Jack weinend und so verzweifelt zu sehen. Sie waren einmal bis über beide Ohren ineinander verliebt gewesen und hatten durchaus glückliche Jahre miteinander verlebt. Wann hatte es angefangen, dass sie sich auseinander lebten, stritten und sich nichts mehr zu sagen hatten? Wann war das, was sie lange verbunden hatte, auf der Strecke geblieben? Jedes Teil, das sie nun einpackte, war ein Stück Erinnerung an zehn Jahre Ehe.
Jack hatte noch keine neue Bleibe gefunden. Die Wohnung, die er sich angesehen hatte, wäre ideal für ihn gewesen, aber die damit verbundenen Gartenarbeit hätte ihn überfordert. Ein nahezu pedantisch angelegter englischer Rasen, diverse Arten von Rosensträuchern in allen Farben, Blumenbeete, Obststräucher und –bäume, eine Hecke, die auf Millimeter genau geschnitten werden musste, Kübel- und Hängepflanzen auf und rund um die großzügig angelegte Terrasse, das alles hätte er pflegen und hegen müssen. Weit und breit hatte kein Unkraut Platz in diesem Garten Das war eine Arbeit für einen Gärtner mit Vollzeitstelle und entsprach weder seiner Vorstellung von einem Garten, noch konnte er diese Aufgabe zeitlich bewerkstelligen.
Jack wohnte noch immer bei Delia. Sie redeten nur das Nötigste miteinander. Als Krebs mit Aszendent Steinbock war Jack zwar nicht nachtragend, aber er konnte auch nicht vergessen.
Die Endgültigkeit seiner Trennung von Marion, die er jetzt erst richtig begriff, machte ihm sehr zu schaffen. Oft blieb er länger im Studio, als er Dienst hatte, trainierte selber, bis ihm der Schweiß am ganzen Körper herunterlief, als könnte er sich so von seinen inneren Gefühlen befreien.
Marion hatte ihm einen Großteil der Möbel überlassen. Jack hatte ein gutes Verhältnis zu seinem Chef . Bis seine Wohnsituation endgültig geklärt war, hatte er die Möbel in zwei leerstehenden Kellerräumen des Studios unterbringen können. Irgendwie fühlte sich Jack wie ein Hund ohne Schwanz. Seine Ehe war gescheitert, die Wohnung wurde aufgelöst, seine Möbel lagerten in einem Keller und er wohnte bei einer Frau, in die er sich zwar verliebt hatte, deren Geständnis ihn jedoch in eiskaltes Wasser und in die absolute Ernüchterung geworfen hatte. Er leckte sich seine Wunden und war, wie schon oft in seinem Leben, in der absoluten Sackgasse.
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| 27 - 3. | | von: aloevera
erstellt: 17.07.2006 19:58:31 geändert: 17.07.2006 20:27:58 |
Marion und Renate saßen nach einem ausgiebigen Einkaufsbummel beim Italiener und genehmigten sich einen Eiscafé. In etwa einer Stunde erwarteten sie Max und Karl. Die Renovierungsarbeiten waren beendet, heute waren die neu bestellten Möbel geliefert und aufgebaut worden und für morgen hatte Max ein studentisches Unternehmen beauftragt, die Möbel aus Max und Marions Wohnung zu holen und ins neue Haus zu liefern. Bernd war gestern bereits wieder nach Berlin zurückgefahren, mit dem Versprechen, zur großen Einweihungsparty in vierzehn Tagen wiederzukommen. Marions Eltern wollten morgen nach Hause fahren und Max und Marion freuten sich, ihr Häuschen in Ruhe einrichten zu können.
Max und Karl waren in der Sauna, um ihre arg strapazierten Muskeln und Gelenke wieder auf Vordermann zu bringen und zu entspannen. In etwa einer Stunde erwarteten die beiden Frauen ihre Männer.
„Hast du dir denn nun schon einen Namen für das Kind überlegt?“ fragte Renate ihre Tochter nicht zum ersten mal. Marion sah ihrer Mutter fest in die Augen. „Falls es ein Junge wird, soll er Gregor heißen.“ Erstaunt blickte Renate hoch. „Wie kommst du ausgerechnet auf Gregor?“
„Ich möchte ihn nach meinem Vater nennen. Und ich möchte, dass er von seinem Großvater persönlich getauft wird.“ Nun war es heraus. Alle Farbe wich aus Renates Gesicht. „Du kennst Gregor?" flüsterte sie kaum hörbar. Und Marion begann zu erzählen, wie sie Abt Gregor als Max´ Patenonkel kennen gelernt hatte…
Renate war fassungslos. Sie hatte Marion, als sie 18 wurde, darüber aufgeklärt, dass Karl sie als Baby adoptiert hatte und ihr erzählt, dass eine Heirat mit Marions leiblichem Vater aus zwingenden Gründen damals nicht möglich war. Seitdem hatten sie nie wieder ein Wort darüber verloren. Renate allerdings hatte Gregor nie vergessen. Einmal hatte sie versucht, Nachforschungen anzustellen, was aus ihm geworden war, leider erfolglos. Ihr Verstand hatte sie von weiteren Schritten abgehalten, denn sie wusste genau, wenn sie seinen Aufenthaltsort gewusst hätte, wäre sie auch hingefahren. Und nun schien ein Wiedersehen nach so vielen Jahren unausweichlich. Wie sollte sie das Karl beibringen? Wie würde sie selbst so ein Wiedersehen verkraften? Nachdem sie sich von ihrem ersten Schock erholt hatte, stellte sie Marion Fragen über Fragen und begann zum ersten Mal über ihre große Liebe zu Gregor zu erzählen, bis Max und Karl sich zu ihnen gesellten und das Gespräch von Frau zu Frau ein jähes Ende fand.
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| 27. 4. | | von: keinelehrerin
erstellt: 18.07.2006 12:25:06 geändert: 18.07.2006 12:28:12 |
In Renate blieb ein ungutes Gefühl zurück. Karl hatte in den ganzen Jahren nie gezeigt, dass Marion nicht sein leibliches Kind war. Er hatte ihr Fahrrad fahren beigebracht, als sie Mumps hatte am Bett gesitzt und ihr die Stirn gekühlt, vor Stolz geplatzt als sie ihr Abitur machte. Die Englandreise spendierte er ihr. Und als sie mit diesem Windhund Jack nach Hause kam, hatte er zu Renate nur gesagt: "Sie wird es auch noch merken. Und dann sind wir für sie da." Ja, Karl hatte gänzlich vergessen, dass Marion nicht seinem Samen entsprang.
Wie sollte sie nun ihren Ehemann darauf vorbereiten, dass der leibliche Vater von Marion bald käme?
Sie schob den Eisbecher von sich. "Schmeckt es dir nicht mehr?" erkundigte sich Karl gespielt besorgt. "Sonst machst du doch bei Eis keine Reste." "Nein. Ich fühl mich nicht wohl. Ist wohl das Wetter," antwortete Renate. "Mama, wenn du dein Eis nicht mehr willst: Kann ich es dann haben?" fragte Marion und hatte schon danach gegriffen. Kurz darauf zahlten sie und Marion verschwand zur Toilette. Als sie nach draußen kam schleckte sie an zwei Bällchen auf einer Waffel. "Für den Nachhause-Weg." erklärte sie mit unschuldigem Augenaufschlag Max. Gemütlich schlenderten sie zur Wohnung zurück. Renate war ganz in Gedanken vertieft und fuhr erschreckt zusammen, als Karl sie ansprach: "Du hast doch was! Und das hängt nicht mit dem Wetter zusammen. Machst du dir Sorgen um Marion? Das wird schon." "Mmmh," seufzte Renate. "Ja. Nein. Ach, Mensch. Jetzt ist so gut wie anderswann," fasste sie sich ein Herz und begann zu erzählen, was Marion ihr vorhin gesagt hatte. Karl hörte zu, er hatte seine Frau untergehängt und langsam gingen sie hinter dem jüngeren Paar her.
Marion hatte inzwischen ihren süßen Hunger gestillt und hielt nun Ausschau nach etwas Herzhaftem. Gegenüber ihrer Wohnung war ein Pizza-Imbiss. Diesen steuerte Marion nun zielsicher an und bestellte eine Pizzaschnitte mit extra viel Käse. "Sonst noch jemand?" fragte sie in die Runde. Max und ihre Eltern schüttelten den Kopf; nicht nach der Eisportion. Marion bezahlte und biss herzhaft hinein. Und jetzt machte Max einen entscheidenden Fehler, einen Fehler, den ein Mann tunlichst vermeiden sollte. Und der Mann einer schwangeren Frau erst dreimal nicht tun darf! Max fragte Marion: "Meinst du nicht, du hast schon genug gegessen?" Marion blieb der Mund während des Beißens offen, große Augen schauten Max zuerst zweifelnd dann böse dann ungläubig an, zuletzt füllten sie sich mit Tränen. "Du meinst...du denkst...ich bin also.... du bist gemein!...Sag doch , dass ich fett bin. Sag doch, dass ich wie ein Klops aussehe. Sag doch, dass ich bald platze." Marion begann nun zu schniefen und zu schluchzen. Das hatte Max ja nun nicht gewollt und das beeilte er sich auch zu versichern. "Nein. Natürlich nicht. Ich hab doch nur gedacht....weil, ... gestern hast du doch auch...." "Du passt also genau auf, was ich esse?! Das wird ja immer besser! Führst du eine Kalorientabelle über mich?" Marions Stimme überschlug sich. Voller Wut knallte sie die Pizza in den Mülleimer vorm Imbiss und lief weinend über die Straße. Max stand wie vom Donner gerührt.
Karl und Renate waren inzwischen beigekommen und hatten die letzten Worte ihrer Tochter gehört. Renate ging ihr gleich hinterher, aber nicht ohne Max noch einmal aufmunternd zugenickt zu haben. Max sah Karl an. Hilflos zuckte er die Schultern: "Gestern abend im Bett hat sie sich über ein Völlegeühl im Magen beschwert und geschimpft, weil sie den Tag über so viel gegessen hat. Da wollt ich sie nur dran erinnern. Dass sie heut auf den Abend nicht zuviel Schwerverdauliches isst. Doch sie fasst es als Vorwurf auf." "Ach Max," klopfte Karl ihm freundschaftlich auf die Schulter, "das ist die Schwangerschaft. Da müsst ihr beide durch. Sie mit dem Bauch und du mit den Nerven." |
| 27.5 | | von: ines
erstellt: 18.07.2006 12:28:30 geändert: 18.07.2006 13:00:27 |
Sie saßen schweigsam im Auto, Marions Augen waren gerötet und Max konzentrierte sich bewusst auf den Verkehr. Marion richtete sich den Gurt, erst über das Bäuchlein, dann darunter. Fahrig fuhr sie sich durchs Haar, wischte sich die verschmierte Wimperntusche mit Hilfe des Schminkspiegels weg und kaute nervös an der spröden Haut ihrer Fingernägel herum. Die Ampel sprang auf Rot und Max bremste. "Bist du noch zu retten!", entfuhr es ihr, die rechte Arm am Handschuhfach abgestützt funkelte sie ihn wild an. Max hob hilflos seine Hände, die Augenbrauen schwangen hoch und er fragte: "Marion, was ist los mit dir. Ich habe ganz normal gebremst."
Er hätte es nicht tun sollen. Ein Schwall schulmeisterlicher Belehrungen über den Umgang mit Schwangeren im Auto und dem erhöhten Sicherheitsrisiko brach über ihn herin, gefolgt von bitteren, hysterisch angehauchten Tränen. "Das wird jetzt öfter kommen!Die Hormone.", hallten Renates Wort in ihm wider; aber doch nicht alle 5 Minuten.
Er war am Verzweifeln. Max fuhr an und parkte bei nächster Gelegenheit rechts ein, dann stellte er den Motor ab.
Seine Hand auf ihrem Arm wurde heftig weg geschoben. "Lass mich!", Marion hatte sich nicht beruhigt und schob den Gurt erneut über ihren Bauch. "Was soll ich tun?" fragte Max sanft, doch Marion schüttelte nur den Kopf und schluchzte laut. "Ich weiß nicht, es ist...ach Max..ich weiß eben auch nicht!", sie betrachtete ihre gefaltenen Hände im Schoß, dicke Kullertränen liefen über ihre roten Wangen. "Die Welt ist soooo gemein!", rief sie laut, dann heulte sie erneut auf, "Es heißt immer die Schwangerschaft ist die schönste Zeit, aber das stimmt nicht. Ich bekomme keine Luft, esse was mir in die Finger kommt -und dann ist mir schlecht. Meine Haut spannt - im Gesicht und sonst auch überall. Jeder gibt dir gute Ratschläge". Ihre Stimme erhöhte sich gekünstelt, "Ja, junges Fräulein, wenns dann da ist müssen sie es unbedingt im Tuch tragen" oder "Also ein Kinderwagen ist das Beste für den Rücken!" und "Ich habe immer gestillt, das nähert die Beziehung zum Kind!Wann ist es denn soweit?" - Meine Güte Max ich bin erst bei der Hälfte!!!" Ihr Gesicht spiegelte echte Verzweiflung wider als sie ihn fragend ansah - und Max? Er betrachtete sie mitleidig, seine Stirn kräuselte sich und legte seine süßen Dackelfalten an den Tag, den Mund unsicher zusammengezogen, sah er aus wie ein kleiner Welpen mit graumelierten Schläfen.
Wie aus heiterem Himmel begann Marion zu lachen und Max fasste sich stöhnend an die Stirn. Würde er das aushalten - noch weitere 20 Wochen?
"Es tut mir leid!", man konnte ihr kicherndes Gegacker nur schwer verstehen, "Das müssen die Hormone sein!"
Max ließ sie gewähren und wartete fingertippend bis sie sich beruhigt hatte, dann wandte er sich skeptisch um, "Gehts jetzt wieder?" Marion nickte, dann wurde sie unvermittelt still. Ruhig atmend fasste sie sich an den Bauch und Max erschrak bis aufs Innerste -
"Was ist?", hauchte er nervös, "Hast du Schmerzen?" Doch Marion lächelte ihn plötzlich selig an, "Nein, keine Schmerzen.", ungläubig betrachtete sie ihren Bauch und streichelte unbewusst darüber, "Ich glaube.....Max." Sie atmete tief durch, "Max ich glaube es hat sich bewegt!"
Er schloss die Augen -von wegen "Vater werden ist nicht schwer!" - Hat denn keiner dieser Poeten die Zeit mit seiner schwangeren Frau verbracht? |
| 27 - 6 | | von: oblong
erstellt: 18.07.2006 15:15:19 geändert: 18.07.2006 15:55:33 |
Schwangerschaftssorgen waren so ziemlich die einzige Art von Sorgen, die Jack nicht hatte.
Vielleicht war seine Furcht vor Kindern, Verantwortung und Einschränkungen seiner Bewegungsfreiheit gerade auch eine Wurzel seiner Probleme?
Da half kein Hantelstemmen, kein Jogging: "Du bist in der Sackgasse!" Überall folgte ihm dieser Gedanke, der sich richtig festgefressen hatte in seinem Gehirn.
Immerhin bot der Sport ihm Gelegenheit zum Grübeln. "Geschieht dir recht, dass dich die Weiber verarschen; wenn du alles oberflächlich nimmst, kannst du ja auch keinen bleibenden Eindruck auf sie machen."
Immerhin brachte die Wut auf sich selbst ein wenig vom Schimpfen auf Verena und Delia ab, auch wenn es nicht viel nützte.
In seinen Gedanken war er schon einige Kilometer um den Aasee gelaufen; auch wenn diese Strecke von vielen Läufern eher im Winter als im Sommer genutzt wurde, so bot sich ihm doch die Einfachheit der Orientierung als Freiraum für seine Gedanken.
Die Rückkehr zu seiner Wohnung gestaltete sich doch etwas mühsamer, als er gedacht hatte. Die Erlebnisse der letzten Tage und die Sommergrippe hatten ihm wohl doch mehr zugesetzt, als er es sich eingestehen wollte.
Schwitzend und abgekämpft kam er bei Delias Wohnung an und marschierte wortlos zur Dusche, nachdem er ziemlich geräuschvoll die Wohnung betreten hatte.
Delia hatte sich inzwischen gehörig von Verenas schlechtem Gewissen anstecken lassen und erst gar nicht versucht, Jack an der Tür in ein Gespräch zu verwickeln.
Auf dem Sofa hatte sie es sich halbwegs bequem gemacht und einfach in Gedanken zum Fenster hinausgestarrt.
So hatte sie sich diese Rache nicht gedacht; sie gestand sich sogar ein, dass sie herzlich wenig über die Wirkung dieser abgesprochenen Szenen nachgedacht hatte.
Inzwischen hatte Jack seine Duschorgie beendet und war mit seinenm Deoduft neben Delia wortlos aufs Sofa gesunken. Ihren starren Blick verstand er als Verachtung.
Der Lauf hatte ihn zwar müde gemacht, aber er ließ ihn seine Schwäche und seine bedrückende Lage nur noch umso stärker empfinden.
Immer noch schweigend stützte er die Unterarme auf die Oberschenkel und bildete mit Delia ein Bild eines lang verheirateten Paares, das sich nichts mehr zu sagen hat.
Nur kurz starrte er wie sie zum Fenster hinaus. Dann kam ihm seine elende Situation wie eine unterdrückte Übelkeit hoch. Sein Kopf sackte nach unten, er konnte nur noch den Boden anstarren und ein Schluchzen hinunterwürgen.
Delia hatte ihn aus den Augenwinkeln beobachtet, und als sie sah, wie er die Schultern nach vorne geschoben hatte und unregelmäßig atmete, konnte sie einfach nicht anders: vorsichtig und zärtlich kraulte sie seinen Nacken am Rande der noch vom Duschen feuchten Haare. |
| 27 - 7. | | von: aloevera
erstellt: 19.07.2006 09:55:27 geändert: 19.07.2006 19:59:28 |
Was wollte sie von ihm? Wartete sie auf eine versöhnliche Geste seinerseits? Seit dem Abend in der Pizzeria hatten sie nicht mehr über ihren Streit und dessen Gründe gesprochen und er hatte auch jetzt keine Lust dazu. Ihr falsches Spiel, ihre nicht nachzuvollziehenden Rachepläne und die Tatsache, dass Verena und sie sich über ihn lustig gemacht hatten, saßen noch fest wie ein Stachel in ihm. Was wusste sie schon über seine Ehe mit Marion und die Gründe ihres Scheiterns? Er hätte diesen Freddy gern zur Rede gestellt, was er sich erlaubte, mit anderen Leuten über seine Ehe zu plaudern und ihn derart mies zu machen? Das war sein Ding und daran knabberte er mächtig. Auf dem Weg zur Arbeit fuhr er jeden Tag an ihrer gemeinsamen Wohnung vorbei und das setzte ihm immer noch zu. Er hatte viel falsch gemacht, das hatte er eingesehen. Hätte er sich nicht so vehement gegen ein Kind gewehrt, wäre vielleicht alles anders gekommen.
Das Gespräch mit seiner Mutter über Charlotte brannte ihm unter den Nägeln. Hildegunde war für eine Woche mit ihren Chorschwestern nach Rügen gefahren. Und wenn er mit seiner Mutter gesprochen hatte, wollte er mit Charlotte reden und sich bei ihr entschuldigen.
Jack fand Delia körperlich immer noch atemberaubend anziehend und wenn er ihre Zärtlichkeiten nun erwidern würde, würde er sich einen langgehegten Wunsch erfüllen können. Aber er merkte, dass seine Kopflastigkeit den Rest seines Körpers beherrschte und er sich eher fürchterlich blamieren als eine heiße Nummer mit ihr haben würde.
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| 27 - 8. | | von: aloevera
erstellt: 19.07.2006 19:55:06 geändert: 20.07.2006 09:36:06 |
Max verzweifelte bald. Marion wechselte ihre Stimmungen wie die Unterhosen und er hatte Mühe, sich immer wieder neu darauf einzustellen. Heute war wieder ein Tag, an dem Marions seelischer Blues zur Hochform aufgelaufen war. Um weitere Streitereien zu vermeiden, zog Max es vor, joggen zu gehen und Marion, erbost darüber, dass er sich einfach davon machte und sie in ihrem Stimmungstief alleine ließ, nahm ihren Autoschlüssel und fuhr zu Sylvia. Die würde sie wenigstens verstehen.
Sylvia stand mit ihren Hormonen ebenfalls von Zeit zu Zeit auf Kriegsfuß, aber sie war nicht schwanger, sondern „nur“ in den Wechseljahren. Lange Zeit hatte sie die Veränderungen in ihrem Körper ignoriert und versucht, sie als etwas Natürliches zu betrachten. Als sie dann aber immer öfter merkte, dass ihr psychovegetatives Nervensystem machte, was es wollte und sie scheinbar keinen Einfluss mehr darauf hatte, musste sie sich mit dieser Phase ihres Lebens ernsthaft auseinandersetzen. Mehrmals schossen ihr mitten im Unterricht aus heiterem Himmel die Tränen in die Augen, ohne ersichtlichen Grund. Wäre sie alleine gewesen, hätte sie sogar gleichzeitig darüber lachen können. Aber so erklärte sie ihren Schülern, dass sie mal eben ins Sekretariat oder zum Kopierer müsse. Hochdosiertes Johanniskraut schien die Lösung zu sein. Als die ersten Sonnenstrahlen kamen und Sylvia in ihrem kleinen Garten auf der Liege lag, zeigten sich alsbald helle Flecken statt Sonnenbräune auf der Haut. Das Johanniskraut flog umgehend in den Mülleimer. Sylvia stand auf Sommerfrische, nicht auf vornehme Blässe.
Hitzewellen waren auch so eine prickelnde Angelegenheit. Nicht selten musste sie mitten in der Nacht ihr Bett beziehen, denn wenn sie wach wurde, hatte sie das Gefühl in einer Sauna oder im erhitzten Wasserbett geschlafen zu haben. Im tiefsten Winter trug Sylvia kurzärmelige T-Shirts in der Schule. Stets musste mindestens ein Fenster offen sein, auch bei Minusgraden. Sie hatte sich schon beim Hausmeister beschwert, dass die Räume im Winter völlig überheizt seien. Aber als in einer achten Klasse mitten im Unterricht alle Schüler aufstanden, ihre Schals anlegten und ihre Winterjacken anzogen, merkte sie, dass die Wärme ihr ureigenes Problem war.
Hormone ja oder nein – das war nun die Frage. Ihre Gynäkologin war keine Verfechterin von Hormonen und riet ihr zu pflanzlichen Mitteln. Traubensilberkerze, Mönchspfeffer, Sojaisoflavonen und was es da alles gab, probierte sie durch. Aber das Gelbe vom Ei war auch das nicht und mittlerweile hatte sie auch all das verbannt.
Früher hatte sie einen so regelmäßigen Zyklus, dass sie die Uhr danach stellen konnte. Ihr Körper hatte mehrere Vorwarnsignale gegeben und sie konnte sich darauf einstellen.Und heute? Ohne Tampons oder Binden konnte sie nirgendwo hingehen, die Bescherung konnte sie ohne Vorwarnung und voller Überraschung überall und jederzeit beglücken.
Ratschläge in den gängigen Ratgebern zur gesunden Ernährung, Reduzierung von Kaffee zugunsten von Tee, Saft statt Alkohol, Ausdauersport und ähnliches beherzigte sie dann und wann. Ansonsten hatte sie beschlossen, ihr Leben wie bisher zu leben und zu genießen. Und wenn die Hormone verrückt spielten, wartete sie darauf, dass sie sich wieder einkriegten.
Somit wurde Sylvia mehr und mehr zu Marions Blitzableiter und redete ihr immer wieder gut zu, dass sie ihre Schwangerschaft mit mehr Gelassenheit durchleben müsse. Sie unternahmen viel zusammen, machten lange Spaziergänge, gingen baden, ins Kino, in Ausstellungen und Marion fühlte sich danach immer wesentlich ausgeglichener, was Max mit Freude und im Sinne des häuslichen Friedens als sehr angenehm empfand.
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