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Forum: "Wie wichtig ist Rechtschreibung?"
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| Heftführung | | von: bakunix
erstellt: 16.08.2016 19:08:50 |
Man vergleiche mal die Heftführung von vielleicht vor 20 Jahren mit der heutigen. Die Schriftnote wurde in RLP abgeschafft. Heftführung spielt eine zunehmend untergeordnete Rolle. Die Schüler, so mein Eindruck, haben immer weniger die Fähigkeit, sich eine Seite einzuteilen. In die Linien oder Kästchen zu schreiben, finden zunehmend mehr Schüler als Zumutung. Platz sparen, übersichtliche Gestaltung, warum? Ein Heft oder ein Blatt kostet doch so gut wie nix. Und dann gibt's als Extra ja den Tintenkiller oder es wird eh nur mit Bleistift geschrieben. Mit dieser Haltung sinkt auch die Genauigkeit bei der Rechtschreibung. So genau geschrieben muss der Buchstabe doch nicht aussehen. Ob dann ein Wort mit beispielsweise -tt- geschrieben wird, ist dann nicht mehr so wichtig. Leider resignieren immer mehr Kolleginnen und Kollegen, weil sie diese Sysiphos-Arbeit, da oft ziemlich fruchtlos, nicht mehr leisten können. |
| in Sek I und II | | von: fruusch
erstellt: 16.08.2016 21:08:50 |
beobachte ich immer wieder Folgendes: Die Schüler können oft die Rechtschreibregeln gut, sie wenden sie nur nicht an, weil sie es nicht für nötig erachten. Das geht so weit, dass von der Tafel sinnentstellend falsch abgeschrieben wird. Einher damit geht ein Schriftbild, das dem Torkeln einer besoffenen Fliege ähnelt. Selbst in Abiturarbeiten bekomme ich teilweise Schriftstücke vorgelegt, die man Wort für Wort entziffern muss und von RS Fehlern nur so wimmeln. Geahndet wird das bei uns in der Sek I (außerhalb vom Fach Deutsch) bei Rechtschreibfehlern in Fachworten direkt als fachlicher Fehler, sowie mit dem Abzug von Formpunkten, wenn die Rechtschreibung und das Schriftbild allgemein schlecht sind. In der Sek II kann eine Arbeit bei gravierenden Rechtschreib- oder Formfehlern mit ein bis zwei Notenpunkten Abzug bewertet werden, was ich auch schon getan habe. Der Schüler hat sehr betroffen geschaut, schwer geschluckt und seitdem eine bessere Rechtschreibung. Beschwert hat sich bei mir diesbezüglich noch niemand. Sogar in Texten, die mit dem Computer verfasst wurden, grassieren die Rechtschreibfehler. Da hört dann für mich komplett der Spaß auf, da wird die Note knallhart um mindestens eine Stufe herabgesetzt. Meiner Meinung nach geht eine schlechte Rechtschreibleistung oft einher mit auch sonstigen schwachen Leistungen der Schüler, LRS mal ausgenommen. Schüler mit schlechter Rechtschreibung haben es oft auch nicht gelernt sich schriftlich adäquat auszudrücken, was ihnen früher oder später in allen Fächern auf die Füße fällt. Selbst im Fach Sport werden ja in der Oberstufe Kursarbeiten geschrieben... |
| 'Die Schüler können oft die Rechtschreibregeln gut, ... | | von: halb27
erstellt: 17.08.2016 00:17:43 geändert: 17.08.2016 01:00:00 |
sie wenden sie nur nicht an, weil sie es nicht für nötig erachten.' 'weil sie es nicht für nötig erachten' bildet viel von dem ab, was in mehreren Beiträgen unter dem Thema 'verminderte Priorität der Rechtschreibung seitens der Schulpolitik, die sich in den zu vermittelnden Lehrinhalten widerspiegelt, aber auch in der persönlichen Wertschätzung vieler Menschen' gesagt wurde. Dennoch ist das 'weil sie es nicht für nötig erachten' meiner Meinung nach nur ein Teil des Problems. Wie ich schon geschrieben hatte, bringt der kognitive Umgang mit Rechtschreibregeln nach meiner Überzeugung gar nichts, sondern die Rechtschreibregeln müssen im Schreibfluss automatisiert beherrscht werden. Da ist eine nicht geringe Forderung an die Rechtschreibregeln, denn viele Regeln sind zur Schreibflussautomatisierung wenig geeignet. Die Tatsache, dass rechtschreibstarke Schüler auch auf der kognitiven Ebene meist gut die Rechtschreibregeln beherrschen, führt m.E. oft zu dem Fehlschluss, dass die Beherrschung der Rechtschreibregeln zur guten Rechtschreibung führt. Das ist aber durchaus fragwürdig. Aus einer statistischen Korrelation lässt sich kein Kausalgefüge ableiten. Man muss sich mal Folgendes auf der Zunge zergehen lassen: In der HSP1 am Ende des 1.Schuljahrs werden die Schüler mit Rechtschreibproblemen konfrontiert wie ie-Schreibung, Konsonantenverdopplung und Wortzusammensetzungen. Das sind alles Dinge, die in vielen Schulen kaum bis nicht im 1. Schuljahr behandelt werden. Als ich das sah, war ich sehr verwirrt, aber freundliche Helfer hier im Forum haben mich darüber aufgeklärt, dass der Sinn der HSP die Prognose künftiger Rechtschreibleistungen ist. Aber das heißt doch: Kinder mit 'gutem Sprachgefühl' haben auch ohne schulische Unterrichtung (mit Rechtschreibregeln) gute Chancen auf eine gute Rechtschreibung! Das korrespondiert mit meiner persönlichen Einschätzung an 'meiner' Schule (mit vermutlich leicht überdurchschnittlicher Schülerzusammensetzung): das Gros der Kinder gehört zum Typus 'Selbstlerner', d.h. die intensive Beschäftigung mit Sprache an sich führt zu einer ordentlichen Rechtschreibung. Für diese Kinder spielt die Qualität der Didaktik keine wichtige Rolle. Das führt zu einem Riesenproblem bei der Bewertung didaktischer Konzepte. Entsprechende Untersuchungen dürften m.E. nur mit Kindern getätigt werden, die keine Selbstlerner sind. Beispiel Untersuchungen zur LdS-Methodik: Untersuchungen mit vollständigen Klassen kommen im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass die Rechtschreibleistung am Ende der 4. Klasse identisch ist wie bei Verwendung der Fibelmethode. Untersuchungen mit Kindern mit Migrationshintergrund und LRS-Kindern kommen hingegen zu dem Schluss, dass die LdS-Methodik für diese Kinder weniger geeignet ist. Wobei dazu noch viel zu sagen wäre, denn die LdS-Methodik gibt es ja gar nicht, und die Rechtschreibung hat beispielsweise an 'meiner' Schule mit LdS-Hintergrund einen hohen Stellenwert. Auf jeden Fall sind es die leistungsschwächeren Kinder, die eine gute Rechtschreibdidaktik benötigen. Ein paar Denkwürdigkeiten zu häufig verwendeten Rechtschreibregeln und sicher nicht extrem selten vorkommender Unterrichtspraxis: - ie-Schreibung und Konsonantenverdopplung über die Differenzierung lange und kurze Vokale: gerade leistungsschwächere Kinder können diese oft nicht leisten und das ist auch mit hohem Förderaufwand kaum zu erreichen.
- als Folgeproblem ergibt sich ein Timing-Problem für beispielsweise die Konsonantenverdopplung bei konjugierten Verbformen. Wer 'wir kommen' nicht schreiben kann, dem fehlt die Grundlage dafür, 'er kommt' richtig zu schreiben.
- Ich sehe immer wieder, dass nicht nur ausgeprochen leistungsschwache Schüler zu viele v-Verschriftungen des f-Lauts (siehe auch marie-sophie2s 'Unval') vornehmen.
Das deutet darauf hin, dass die v-Verschriftung des f-Lauts ausführlicher Unterrichtsgegenstand war, was zur Übergeneralisierung führt. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass Übergeneralisierung oft als zwanghaftes Übel hingenommen wird. Tatsächlich gibt es aber so wenige grundschulrelevante Wörter, bei denen der f-Laut mit 'v' verschriftet wird, dass man diese problemlos einzeln isoliert (!) als Lernwörter lernen kann. Wörter mit einer häufig vorkommenden v-Vorsilbe wie 'ver' kann man natürlich reichhaltig üben. - Häufig sieht man auch als Quasi-Dehnungs-h eingefügte h's, die sehr fantasievoll (und jenseits jeden Regelwerks) eingesetzt werden.
Das zeigt, dass das Einzige, was die Kinder vom Unterrichtsgegenstand 'Dehnungs-h' mitgenommen haben, ist, dass man gelegentlich ein stummes h einfügen muss. Aber: das liegt nicht an den Kindern!!! Es gibt keine brauchbare Regel für die Verwendung des Dehnungs-h. Selbst wenn die einfache Regel 'Das stumme h, das ist nicht schwer, steht meist nach l, m, n und r' in dem Sinne operationalisierbar wäre, dass man das 'meist' durch 'immer' ersetzt, wäre diese Regel nie und nimmer im Schreibfluss automatisierbar abrufbar. Das gilt natürlich erst recht, wenn man die sachlich unzureichende obige Regel durch den Zusatz ergänzt 'die Silbe muss einen einfachen Anfangsrand aufweisen' aka 'der lange Vokal muss der 2. Buchstabe der Silbe sein'. Und selbst mit dieser Zusatzregel, die beispielsweise die Schreibweise von 'Schule' erklärt, gibt es eine Reihe von Ausnahme-Schreibungen. Wobei die Tatsache noch gar nicht erwähnt wurde, dass es um die Stelle hinter einem langen Vokal geht, was wieder zur Differenzierungsproblematik langer/kurzer Vokal führt. Vor allem: Auch wenn das Dehnungs-h nicht ausgesprochen selten ist: die grundschulrelevanten Wörter mit Dehnungs-h sind immer noch recht überschaubar. Nach meinem Dafürhalten ist die Behandlung als Lernwörter in isolierten Signalgruppen (z.B. Wörter mit ahr/ähr) die adäquateste Art des Umgangs mit dem Dehnungs-h.
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| in Ergänzung zu hbeilmann: | | von: janne60
erstellt: 17.08.2016 00:22:23 |
Du erwähnst die adäquate schriftliche Ausdrucksweise, da möchte ich doch gleich noch die mündliche mit dranhängen. Die ist nämlich (ich spreche immer für den GS-Bereich) mittlerweile in einem katastrophalen Bereich angekommen, wo es einen gar nicht wundern muss, dass es im Schriftlichen nicht klappt. Was ich nicht aussprechen kann, kann ich in der Regel auch nicht richtig schreiben. Soooo viele Kinder haben eine undeutliche, vernuschelte Sprechweise, die von den Eltern entweder nicht bemerkt oder nicht beachtet und korrigiert wird. Wenn ein Kind im 3. Schuljahr Affel und Hunner (statt Apfel und Hunger) sagt und zu Hause nicht berichtigt wird, dann kann ich im Unterricht so viele Rechtschreibeinheiten über Wörter mit pf und ng machen, wie ich will, da wird nicht viel von übrigbleiben. Die Verwendung von Dialekten tut dann noch ihr Übriges, aber vielleicht führt das hier jetzt auch zu weit. |
| @ halb27 | | von: bakunix
erstellt: 17.08.2016 09:19:26 |
Die Tatsache, dass rechtschreibstarke Schüler auch auf der kognitiven Ebene meist gut die Rechtschreibregeln beherrschen, führt m.E. oft zu dem Fehlschluss, dass die Beherrschung der Rechtschreibregeln zur guten Rechtschreibung führt.
Das ist richtig. Ein großer Teil der Rechtschreibung, wenn nicht sogar der mit Abstand größte, geht über die Merkfähigkeit des Wortbildes. Wer oft mit den Wortbildern konfrontiert wird, also indem jemand häufig liest, wird in der Rechtschreibung ohne besondere Kenntnisse der Regeln Fortschritte machen. Clevere Schüler, die bei einem Wort unsicher sind, schreiben es in verschiedenen Versionen auf einen Schmierzettel und schauen es sich an. Dann kommt die richtige Buchstabenfolge wieder zum Vorschein, aber eher selten über Rechtschreibregeln. Ein Argument für die Rechtschreibreform war, das richtige Schreiben den Schülern zu erleichtern. Und, hat sie irgendein Jota an der Rechtschreibfähigkeit in Richtung weniger Fehler geändert? Wir alle wissen's: Nein. Man behauptete, Wörter wie Fettropfen seien nach der Reform leichter zu schreiben, weil dahinter nunmehr eine logische Regel stünde. Genutzt hat das nichts. |
| @ halb27 und bakunix | | von: hesse
erstellt: 17.08.2016 09:28:08 |
Euch kann ich mich anschließen: Das Lernen von Regeln macht es nicht (alleine); vielmehr ist es das Üben, sprich: Lesen! Ich habe in meiner Kindheit und Jugend Bücher verschlungen und - obwohl ich keine Ahnung von Regeln hatte - eine sehr gute Rechtschreibung und übrigens auch einen sehr guten Schreibstil (ich hoffe, Ihr habt davon ein bißchen was bemerkt ). Insofern wundert es mich nicht, wenn ich halbs Erfahrungen mit ihren Schülern lese, denn hinter überdurchschnittlichen Schülern steht meistens doch ein Elternhaus, das sich um siese grundlegenden Dinge ein wenig kümmert. LG Hesse |
| @hesse | | von: halb27
erstellt: 17.08.2016 10:29:49 geändert: 17.08.2016 11:31:21 |
Es ist sicher nicht wichtig, aber ich bin ein er. Ich habe als Lesepate in der Schule angefangen, und als ich begann, mich mit den Fragen zur Deutschförderung zu beschäftigen, bin ich auf Untersuchungen gestoßen, die zeigten, dass das Verschlingen von Büchern zu guter Rechtschreibung führt. Leider muss schon eine sehr ausgeprägte Leseneigung vorhanden sein, damit das wirksam wird, zumindest gemäß den von mir gelesenen Untersuchungen. Auf unschöne gesellschaftliche Entwicklungen hat man keinen Einfluss. Da kann man vieles beklagen, aber das hilft letztlich nicht weiter. In der Schule und insbesondere der Grundschule kann man aber die Rechtschreibung weiterhin hochhalten, wie das ja hier in vielen Beiträgen zum Ausdruck kommt. Den Aspekt, die Rechtschreibung Nicht-Selbstlernern auf möglichst adäquate Weise zu vermitteln, ist mein Anliegen, und das ist alles andere als trivial. |
| @bakunix | | von: halb27
erstellt: 17.08.2016 11:07:15 geändert: 17.08.2016 12:53:24 |
Ja, auch nach meiner Überzeugung ist das Wortbild ein wesentlicher Rechtschreibtrigger, und eine Zeitlang habe ich diesem Ansatz sehr viel Gewicht beigemessen. Inzwischen sehe ich das aber in einem größeren Kontext. An 'meiner' Schule schreiben die Kinder im 2. Schuljahr häufig Lernwörterdiktate. Das klappt isoliert betrachtet sehr gut, d.h. die Kinder lernen i.d.R. fleißig die Wörter und die Ergebnisse der Diktate sind gut. Gegen Ende des Schuljahrs hat die Lehrerin einer 2. Klasse dann ein ungeübtes Diktat geschrieben mit Wörtern, die die Kinder im Laufe des Schuljahrs per Lernwörterdiktat gelernt und gut beherrscht hatten. Ich fand das Ergebnis ernüchternd. 'Spiegel' wurde von einem Großteil der Kinder ohne 'ie' geschrieben. Die Beherrschung grundlegender Sprachstrukturen ist deshalb m.E. entscheidend beim nachhaltigen Aufbau der inneren Wortbilder. Wenn die Kinder verinnerlicht haben, dass ein i-Laut am Ende einer Silbe mit 'ie' verschriftet wird, vereinfacht dies das Lernen eines Worts wie 'Spiegel' drastisch. Dasselbe gilt für die Konsonantenverdopplung. Beide Themen können nach meiner Überzeugung gegen Ende des 1. Schuljahrs behandelt sein und im Verlauf der ersten Hälfte des 2. Schuljahrs beherrscht werden (in der Grundform der Wörter). Praktisch überall wird im 1. Schuljahr mit Silben gearbeitet, allein schon, um die Vokale einzuführen. Wenn die Silbensegmentierung beherrscht wird (die steht nicht überall im Vordergrund), kann man die ie-Schreibweise mit gutem Erfolg einführen, wobei das Automatisieren natürlich seine Zeit braucht. Hilfreich ist dabei das silbensegmentierende Sprechschreiben der FRESCH-Methode, so dass die Kinder auf das Erkennen eines silbenbeendenden i-Lauts getrimmt werden können. Ähnliches gilt für die Konsonantenverdopplung. Die Struktur von Wortzusammensetzungen lässt sich nach meinen Erfahrungen gut vermitteln. Ich beginne das gerne mit der Vorsilbe 'ver' (allein schon wegen der v-Verschriftung, denn diese Vorsilbe schreiben nicht wenige Kinder zunächst mit 'f'). Ich bringe den Kindern also Wörter wie 'verreisen', 'verrechnen', 'verraten' bei. Das Prinzip verstehen auch leistungsschwache Kinder sehr schnell. Dann gehe ich zu Wortzusammensetzungen wie 'Fahrrad' über (nachdem ich mich vergewisssert habe, dass sie 'fahren' und 'Rad' schreiben können). Wortungetüme wie 'Betttuch', 'Schifffahrt', 'Stofffetzen', 'Brennnessel' sind für die Kinder danach nichts Besonderes mehr, und den Kindern machen solche Besonderheiten sogar Spaß. Interessant ist, dass nach entsprechenden Übungen die Kinder mit Wörtern wie 'Ohrring', wo man an der Wortfuge nur einen Konsonanten spricht, keine Probleme haben. Der umgekehrte Fall wie in 'herein' oder 'voraus', wo man an der Wortfuge vermeintlich zwei Konsonanten hört, ist für die Kinder viel schwerer zu beherrschen. |
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