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Forum: "Benötige dringend praktische Tipps für den Umgang mit einem sog. ADS-Kind"
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| rolf: ADS-kritik | | von: rhauda
erstellt: 22.06.2005 07:27:32 |
Tut mir leid, Rolf, ich ertrage die Gewäsch von Leuten nicht, die sich mit dem Problem nicht ausreichend auseinandergesetzt haben und sowohl deine als auch Cyranos posts sind voller Generalisierungen und anekdotischer Beweise.
Das Problem ist das der Diagnose.
Unbestritten, ist, dass heute jedes unangepasste Verhalten sofort unter ADS kategorisiert wird. Nicht jeder Zappelphilipp hat ADS. Die sogenannten Erfolgsstories von Heilpraktikern, Psychologen und Pädagogen sind bei näherem Hinschauen fast immer Erfolge bei Kindern, die nicht ADS haben, sondern andere Probleme. Selbst bei echten ADS Kindern sind Erfolge nur kurzfristig und mildern nur die Zusätzliche Belastung, die solche Kinder haben durch Familie und Umwelt, die damit nicht umgehen können.
ADS ist eine chemische Imbalance im Gehirn (und übrigens häufig erblich bedingt).
http://www.ads-delfin.de/adhs_beschreibung.htm#2
Da kann man an Symptomen herumdoktern, das Grundproblem bleibt.
Die psychische Komponente ist nur eine Folgeerscheinung durch die Probleme,die Menschen mit ADS mit sich und der Welt haben und eine Folgeerscheinung der Probleme, die die Welt mit ADS-Menschen hat.
Ich selbst habe mich mehrere Jahre mit ADS beschäftigt, weil meine Tochter selbst betroffen ist. Und jetzt mal etwas aus der Praxis:
ADS-Symptome zeigen sich bereits im Kleinkindalter. Und zur Info: das muss nicht immer Zappelei sein. Die Unfähigkeit, sich länger als 5 Minuten mit etwas zu beschäftigen, totales Chaotisieren der Umwelt, unstrukturiertes Herangehen an Dinge und Träumerei, die einen fast meinen läßt, dass sie durch einen hindurchschauen, sind nicht Ergebnis von mangelhaften Bildungsinstitutionen. Das sind Dinge, die schon ganz früh auftreten. Und glaube mir, die Kinder leiden entsetzlich darunter, dass sie so sind, wie sie sind.
Spätestens, wenn eine 5-jährige weint und sagt: "Ich möchte am liebsten tot sein.", weißt du, dass etwas Anderes her muss als Phrasendrescherei und eine Änderung des Erziehungsstils.
Ich habe mich damals viel zu lange von den Ammenmärchen der ADS-Kritikler einwickeln lassen und meiner Tochter damit enorm geschadet.
Eine über 6 Sitzungen/Vormittage gehende eingehende Diagnostik von einem Fachmann bestätigte ADS. Die Medikamenteneinstellung wurde über mehrere Monate verfeinert und angepasst.
Nach 2 Tagen Medikation ging ich in das Zimmer meiner Tochter (weil es so verdächtig leise war) und dort saß sie und baute ZUM ERSTEN MAL ein Legohaus ZU ENDE und war ganz stolz auf sich, weil sie plötzlich nicht inmitten von Legos saß, die um sie im ganzen Zimmer verstreut hatte, sondern weil sie etwas geschafft hatte.
Noch heute ist es so, dass in Phasen der Medikamentenpause sie Tics entwickelt, ihre Körperhaltung verkrampftund nur schlecht in der Lage ist, auch nur einfachste Rechenaufgaben zu lösen, weil die Konzentration fehlt. Sie ist dann agressiv, unzufrieden, bricht leicht in Tränen aus und ist nicht in der Lage, mit anderen Kindern friedlich zu interagieren.
Ordentlich medikamentös eingestellt, ist sie einfach ein glücklicheres Kind.
Das Totschlagargument: "Möchtest du, dass dein Kind nur unter Medikamenteneinfluss glückclich ist?" Beantworte ich mit einem deutlichen JA.
Weltweite Forschung sagt zum Beispiel, dass medikamentös unbehandelte ADS Kinder später eine 30% höhere Chance haben, sozial auffällig/straffällig/drogenabhängig zu werden als Kinder, deren ADS behandelt wurde. Deren Rate ist bewegt sich im normalen Bereich.
Es tut mir leid, ich halte es für anmaßend und unprofessionell, wenn Lehrer, die keinerlei medizinische Ausbildung haben, sich Urteile bilden über eine Krankheit die schon ganz gut erforscht ist und deren Ursachen klar sind. Ich halte es außerdem für höchst unethisch und anmaßend, zu denken, wir Lehrer müssten nur unser Verhalten ändern und dann ist mit den Kinder schon alles in Butter. Diese Omnipotenzgehabe von Pädagogen/Lehren ist erschreckend.
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| Das Problem ist das der Diagnose. | | von: cyrano
erstellt: 22.06.2005 11:31:25 geändert: 22.06.2005 11:42:03 |
... stimmt, rhauda, hops und andere Experten! Und nicht nur das. Es ist ein Problem des Umfelds und der Bedingungen. Außerdem, wie jeder weiß, der sich mal mit Soziologie beschäftigt hat, ist es ein Problem der Herrschaft, ein "Problem, das die Welt mit ADS-Menschen hat". : Wer, zum Teufel, stellt hier eigentlich die Diagnose, die ja, oberflächlich betrachtet, durchaus zutreffend sein mag (s. die von rhauda vorgeschlagene Page: http://www.ads-delfin.de/adhs_beschreibung.htm#2).
Mit Herrschaft ist gemeint, daß hier knallhart Interessen und Herschaftsinstrumente der Schule durchgesetzt und nicht im geringsten hinterfragt werden. Dazu gehört Freiheitsberaubung, Leistungszwang, Bewährung in einem fremden Umfeld zu Bedingungen, die nicht autonom aufgesucht wurden und, und und ... Wenn ich schon höre: Konzentrationsmangel, wird mir schlecht. Auch ich und viele andere Erwachsene kann / können sich nicht länger als 15-20 Minuten auf etwas konzentrieren, es sei denn, es interessiert mich originär, es hat mich gepackt.
Aber Rechtschreibung und Kommaregeln büffeln ist nicht gerade der Kassenknaller, oder? Wen wunderts, wenn da die Seele nach Luft ringt, wenn einer aus dem Fenster schaut statt zur vollgeschmierten Tafel und lieber den Vögeln zuhören würde als dem Gesülz von vorne? Wen wunderts?
Der Schüler hat in dem vorgegebenen Rahmen gefälligst zu funktionieren, sich zu unterordnen. Wenn er es nicht kann (weil er auffällig oder tatsächlich krank ist), wird er zum Funktionieren gebracht. Erinnnert mich alles fatal an Ken Keseys One Flew over the Cuckoos Nest, einer Parabel auf Gleichschaltung überall. Die in Schule und Kindergarten beginnt.
Das Hyperaktivitätssyndrom, aber auch das der geistigen Abwesenheit, Tagträumerei, des Konzentrationsmangels wurde schon vor ca. 30 Jahren - ich erinnere mich genau - in TIME beschrieben. Es schlug ein wie eine Bombe. Daß es nun ausgerechnet bei der stockkonservativen US Army mit Skepsis betrachtet wird, wenn einer medikamentös behandelt wurde (s. Robischon), mag Anlaß zum Nachdenken sein, oder?
Es mag sich tatsächlich in vielen Fällen um ein chemisches Ungleichgewicht in der Informationsweitergabe bzw. Erregungsleitung handeln (wiewohl so etwas schwer nachzuweisen ist). Aber warum läßt man solche Kinder dann nicht einfach in Ruhe, oder schafft bessere Bedingungen (wie z. B. von Robischon beschrieben). Oder setzt Schule einfach aus?
Ich bleibe dabei: nicht der Schüler ist krank, es ist die Organisation.
jp
PS.: @ hops: ich habe selbst reichlich zu tun gehabt mit Schülern, die die Mediziner-Mischpoke als ADS-Fälle diagnostiziert hätte. Ich bin genauso schlecht mit ihnen klargekommen im Klassen-Ensemble wie andere Kollegen. Aber das heißt nicht, daß die Schüler abartig sind. Einzeln genossen z. B. in der häuslichen sog. Nachhilfe kann man auf ihren persönlichen Rhythmus eingehen und erzielt dieselben Erfolge wie mit anderen Schülern. Jeder Versuch, einen sog. ADS-Schüler zu domestizieren ist kontra-produktiv. Außer natürlich mit einer Megadosis Ritalin im Rücken. Macht mal weiter so, Leute!
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| wie fühlt sich ein ad(h)s kind? | | von: three
erstellt: 22.06.2005 14:20:23 |
Kinder beschreiben "ein Gewitter im Kopf" oder benutzen andere Bilder wie "mein Gehirn schaltet manchmal auf Bildschirmschoner". Immer wird deutlich, dass es ein Zuviel und zuviel gleichzeitig ist. Psychologen nennen dies auch "Reizfilterschwäche". 15 Sachen gleichzeitig im Kopf und nicht erkennen können, was gerade wichtig ist. klar, dass diese kinder in einer ruhigen 1:1 Situation besser klarkommen. natürlich wären andere bedingungen wünschenswert. Aber das Ziel muss doch sein, dass betroffene Kinder begabungsgerecht durch die Schule kommen. Unbehandelt wird das kaum gelingen.
folgender link verdeutlicht an zwei beispielen, wie sich ads-ler im unterricht fühlen:
http://www.adhsnet.de/index.php?event=slianzeige&link_id=6&mo=1&linkauswahl=AD(H)S%20-%20Referat&thbauswahl=Das%20Krankheitsbild&sliauswahl=AD(H)S%20-%20nachempfinden
persönliches erlebnis: ein Realschüler der 7. Klasse erhält seit kurzem Methylphenidat (Ritalin, Medikinet, Concerta) und berichtet, dass er nun das erste Mal "mitbekommt, was der Lehrer vorne erzählt". ich finde, das spricht für sich... |
| Re: three | | von: rhauda
erstellt: 22.06.2005 14:27:10 |
Das ist genau das, das die Forschung bestätigt:
Für uns als Lehrer/Eltern ist es klar, dass wir den besonderen Umständen, unter dem die Kinder leben Rechnung tragen müssen. Die Nerven ein wenig stärker, die Toleranzgrenze ein wenig höher, Verständnis für schlechte Phasen, etc.
Das ist aber nur ein Bruchteil dessen, was wirklich den Kindern hilft. Verhaltenstherapie ist nur ein winziger Baustein und allein so gut wie nie effektiv. Das sagen so ziemlich alle Studien. Hier ein Beispiel:
* MTA Cooperative Group. (1999). Moderators and mediators of treatment response for children with attention-deficit/ hyperactivity disorder. Archives of General Psychiatry, 56, 10881096. Abstract
Die MTA Studie zeigte:
Für ADHD Symptome war unsere sorgfältig durchgeführte Medikation der Verhaltenstherapie und der Versorgung im gewohnten Lebensbereich die Medikation einschließt überlegen. Unsere kombinierte Therapie erreichte keine signifikant bessere Unterstützung als die Medikation im Bezug auf Hauptsymptome von ADHD, mag jedoch kleine Vorteile bei nicht-ADHD Symptomen und für allgemein besseres funktionieren gebracht haben.
Bei Kindern mit ADHD und einer Angststörung erzielte Verhaltenstherapie deutliche bessere Ergebnisse als die Versorgung im gewohnten Lebensbereich und näherte sich der medikamentösen Therapie was die von den Eltern berichteten ADHD Symptome angeht an.
Insgesamt kann also festgestellt werden, daß Verhaltenstherapie stets geringere bzw. keine zusätzliche Wirkung im Vergleich zu sorgfältiger medikamentöser Versorgung im Bezug auf die ADHD Symptome hat. Die Verhaltenstherapie bringt lediglich bei zusätzlicher Angststörung, als auch bei Folgeproblemen (etwa schlechte Schulleistungen, schlechte Eltern-Kind-Beziehung) eine Verbesserung.
Das heißt also Medikation ist mit Abstand die beste Behandlung für ADHD Symptome. Verhaltenstherapie ist nur nützlich, um andere Probleme die nicht ausschließlich mit ADHD auftreten, jedoch als Folge von ADHD betrachtet werden können, zu behandeln. Verhaltenstherapie hat also nur indirekten nutzen indem sie nicht-ADHD-Probleme reduziert und so den Gesamtleidensdruck lindert. |
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