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Forum: "Rechtschreibreform - Wer beachtet sie noch?"
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| ich weiß nicht recht... | | von: kataz
erstellt: 28.01.2005 11:44:57 |
hallo ihr lieben,
nur kurz vorweg: ich bin noch keine L, bin aber ergo auch noch nicht so lange aus der schule raus (4 jahre) und kann zu der diskussion nur sagen, ich war in der 9. klasse, als die NR eingeführt wurde und natürlich hat man geklagt und gewettert, lehrer wie schüler. aber nach einem jahr war der kaffee getrunken! und in der schule sind doch heute höchstens noch schüler zum ende der mittelstufe und in der oberstufe, die irgendwann mal die alte R gelernt haben, der rest lernt doch von der ersten klasse an nach diesen regeln. zudem ist wissenschaftlich erwiesen , das ähnliche inhalte- und beim schreiben/lesen lernen -ob alte oder neue R- handelt es sich um ähnliche inhalte- das prinzip der retroaktiven interferenz zum tragen kommt, was bedeutet, dass neu erlernte informationen das erinnern der alten erschweren. wenn ich viele jahre im schulalltag -auch nach einer umstellung- die neue rechtschreibung anwende, fällt es mir immer schwerer mich an die alte zu erinnern.(bspl. lernen einer neuen telefonnummer und späteres erinnern an die alte)
ich persönlich habe auch schwierigkeiten beim getrenntschreiben, was aber vielmehr daran liegt, dass ich gar nicht mehr weiß, wie es früher war und auch vergessen habe, wie es heute nun richtig ist. und die ss/ß regel ist im alltag nun wirklich leicht anzuwenden!
aber nichtsdestotrotz kann ich mich der meinung nur anschließen, dass der zug abgefahren ist,um zu diesem späten zeitpunkt noch kritik zu üben in der hoffnung, vielleicht doch noch etwas ändern zu können. das würde übrigens für einen nicht unwesentlichen teil der SuS zu denselben verwirrugnen führen, die unsereinst damals erlebt hat.
nichts für ungut und liebe grüße
kataz |
| Erstaunlich | | von: mill
erstellt: 28.01.2005 14:27:44 |
Hallo.
Die Lehrer in den staatlichen Schulen haben es doch eigentlich nicht leicht. Da müssen sie ihren Schülern mittlerweile die dritte Reform innerhalb weniger Jahre verkaufen, die vierte ante portas. Es gilt, Regeln mit mehreren Ausnahmeebenen zu erklären, Ausnahmen, die teilweise einfach aus Wörterlisten bestehen. Und das wird zumeist einfach so kritiklos hingenommen, weil es eben eine Anweisung ist?
Als Lehrer in der freien Wirtschaft könnte ich mir das nicht leisten. Da käme ich in arge Erklärungsnot.
@rolf_robischon: Gut, daß Du weißt, was andere erwarten. Diese Gabe hätte ich auch gerne. Hast Du Deinen eigenen Beitrag eigentlich mal gelesen?
@rolf_robischon: Klassisch schreibt man halblaut, halbleer, halbnackt, halblang. Reformiert soll man schreiben halblaut, halb leer, halb nackt, halblang.
Schöne neue Welt... aber Gott sei Dank nur in der Schule und in manchen Behörden. |
| erwartungen? | | von: rolf_robischon
erstellt: 28.01.2005 14:44:48 geändert: 28.01.2005 14:45:54 |
wenn jemand die tür aufstößt und fragt: wartet hier etwa immer noch jemand auf bessere zeiten?
dann weiß ich was er erwartet.
du hast geschrieben
Gibt es hier noch Lehrer, die nach den Regeln der Rechtschreibreform (oder der Reform der Reform, oder der reformierten Reform der Reform) schreiben?
Falls ja: Ist es nicht etwas schwierig, Schülern mit etwas zu begegnen, das in der Welt außerhalb der Schule nicht stattfindet? Wie erklärt man den Schülern die vielen Änderungen und die Rückführungen zur klassischen Schreibung?
so wie damals mein minister, bemühst du besonders seltsame wörter zur beweisführung. was mag das sein: halblaut, halblang ?
gibt es eine welt außerhalb der schule? eine welt außerhalb der wirklichkeit, eine welt draußen in der freien wirtschaft? an jeder reform wird rumgemeckert. deshalb hat jede reform es auch so schwer, vor allem in der schule, bei der alle leute "von außen" mitreden wollen und sagen wollen, was zu tun sei oder was blöd ist.
schönes wochenende.
ich arbeite an der nächsten reform... |
| kritiklos hingenommen??? | | von: stella73
erstellt: 28.01.2005 19:01:32 geändert: 28.01.2005 20:05:11 |
bevor ich mir die mühe mache an den neuen, mir durchaus sympathischen, rechtschreibregeln kritik zu üben, sparen ich mir das für andere dinge, die tatsächlich dringend unserer kritik bedürfen: stundenkürzungen an allen enden und ecken, reduzierte möglichkeit den schulpsychologischen dienst in anspruch zu nehmen, immer geringere unterstützung durch den stadtschulrat, jahresverträge, langer bürokratieweg bei inanspruchnahme von coaching, geringes budget für anschaffungen der schulbibliothek, eingeschränkte möglichkeiten bei der unterstützung von "problemkindern",....
ich denke, wir haben größere probleme als die frage nach neuer oder alter schreibweise. |
| Wo ist das Problem? | | von: marylin
erstellt: 28.01.2005 19:16:24 |
Also, jetzt unterrichten wir doch die Neue Rechtschreibung schon so viele Jahre. Anfangs kam es schon vor, dass die Schüler, die umlernen sollten, teilweise Probleme hatten. Aber die Kinder, die vom 1. Schuljahr an die Neue Rechtschreibung bei mir lernten, hatten deutlich weniger Schwierigkeiten als mit der Alten. Natürlich ist wichtig, dass Kinder von Anfang an Strategien an die Hand bekommen, die ihnen helfen, sich die Schreibweise unbekannter Wörter zu erschließen. Bei uns ist die FRESCH-Methode im Schulprogramm verankert. Die Kinder kennen sehr früh hilfreiche Methoden wie Silbenschwingen und Weiterschwingen (Ableiten). Sie wissen, dass jede Silbe nur einen Vokal (Silbenkönig) bzw. Diphthong hat.
Zitat: Man sieht außerdem viele Falschschreibungen wie z.B. "Ergebniss", "Ausweiß" oder "Glaß", die es vor der Reform nicht gab.
Meine Schüler machen solche Fehler im Allgemeinen nicht, weil sie die Wörter in Silben schwingen, bzw. Weiterschwingen. Das heißt hier konkret: Zu Nomen wird der Plural gebildet (zu Verben-Infinitiv, zu Adjektiven-Komparativ): Er-geb-nis-se (Im Singular schreiben sie einfaches s, weil sie die Nachsilbe nis als Wortbaustein für Nomen kennen.), Aus-wei-se, Glä-ser. Ich habe jetzt wieder ein 4. Schuljahr. Bislang hatte ich noch nie Kinder, die in diesem Alter sicherer schrieben (das gilt übrigens für die 120 Kinder des ganzen Jahrgangs) , denn diese Kinder sind mit (oder wenn ihr wollt trotz) der Neuen Rechtschreibung von Anfang an wesentlich sicherer mit dem Schreiben umgegangen. Gruß, marylin
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| ... | | von: ninniach
erstellt: 28.01.2005 22:08:56 |
Ich wüsste ja gerne mal, was die Leute früher gesagt haben, die noch Thür und Thor geschrieben haben, als ihre Rechtschreibung reformiert wurde. Ob das auch so ein Aufstand war?
Solange irgendwelche Privatmenschen die Rechtschreibreform kritisieren, kann ich darüber eigentlich nur schmunzeln. Ich kann auch verstehen, wenn Leute, die nicht dazu gezwungen sind, die Rechtschreibreform zu beachten, weiterhin nach den alten Regeln schreiben. Vielleicht würde ich selbst das ja auch tun, wenn ich nicht dazu gezwungen gewesen wäre, mich mit der neuen auseiander zu setzen.
Vieles wirkt auf mich auch noch ungewohnt und manches sogar ziemlich merkwürdig (dass man rau jetzt ohne h schreibt, das ist für mich ein solch merkwürdiger Fall), aber ich denke dann einfach an diejenigen, die neu lernen und für die es sicher leichter ist, dass an diesem Wort nicht hinten noch ein unerklärliches h dranhängt. Für die könnte es nämlich so viel leichter sein. Für die könnte auch die neue ss/ß-Regelung so viel leichter sein, wenn... ja, wenn es da nicht einige Verlage und Autoren gäbe, die glauben aus einer für mich unerklärlichen Protesthaltung heraus tonnenweise in der alten Rechtschreibung zu veröffentlichen.
Eine Untersuchung über die Wirkung dieser neuen Regelung bezüglich ss/? kann für mich erst dann aussagekräftig sein, wenn diese Regel verbindlich überall verwendet wird. Solange irgendwelche Menschen glauben, sie würden irgendwem einen Gefallen tun, in dem sie in alter Rechtschreibung veröffentlichen, wird die Orientierungslosigkeit nicht abnehmen. Solange Kinder (und Erwachsene) tagtäglich mit den alten Regeln konfrontiert werden, muss ja eine gewisse Verwirrung entstehen und wird die Gewöhnung an die neuen Regeln gehemmt oder gar gehindert.
Abgesehen davon würde ich solchen Regeln generell eine längere Zeit zugestehen, bevor ich die Wirkung überprüfe. Etwas, das man Jahre lang auf eine Art und Weise getan hat, lässt sich nicht von heute auf morgen umschalten. Es gibt ja auch zwei verschiedene Arten eine Schleife zu binden und ich finde immer die leichter, die ich zuerst gelernt und überwiegend verwendet habe. Sollte ich jetzt immer nur die andere Art anwenden müssen, würde es sicher dauern, bis sich diese Art bei mir so eingespielt hat wie meine bevorzugte. Kinder die von Anfang an konsequent die andere Art lernen, haben es da sicher leichter. Mit der Rechtschreibung sehe ich das genau so.
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| Geschichte der Reformen | | von: palim
erstellt: 29.01.2005 00:35:50 |
Ja, ninniach, die Diskussion war damals genauso kontrovers, vielleicht haben sich aber nicht so viele Leute daran beteiligt, schließlich konnte nicht jeder lesen und schreiben und Medien waren auch nicht so weit verbreitet.
Adelung sagte gegen 1780: Schreibe wie du sprichst - was in der damaligen Zeit bei den vielen Dialekten leicht zu Verwirrungen führen konnte.
Demhingegen forschten andere nach der Ethymologie und forderten, dass die Wörter ihrer Herkunft entsprechend verschriftlicht werden sollten.
Beide Prinzipien sind noch heute maßgeblich:
- das eine ist das Phonogogische Prinzip, dass 1 Laut einem Buchstaben entspricht,
- das andere ist das Stammprinzip, das besagt, dass Wörter die zu einem Wortstamm gehören, gleich geschrieben werden sollen. Darum heißt es ja nun behände, weil es von Hand abgeleitet werden kann. Ist die Herkunft nicht eindeutig, führen solche Schreibweisen zu Verwirrung: stammt Stängel wirklich von Stange ab?
1822 fordert Grimm Kleinschreibung der Substantive, Abschaffung der Vokalverdoppelungen,
Abschaffung des Dehnungs-h, Bezeichnung des langen i grundsätzlich als ie.
Danach flammte die Diskussion um die Rechtschreibung erneut auf.
Nach und nach gaben immer mehr Lehrer und Sprachwissenschaftler, Regelbücher für die Rechtschreibung heraus - allerdings gab es da erhebliche Vielfalt und eben auch Unterschiede. Eines davon war 1872 das Regelwerk von Konrad Duden, der zu der Zeit Rektor eines Gymnasiums war.
Nach der Gründung des Deutschen Reiches fand 1872 die Reichsschulkonferenz statt, auf der eben auch die Orthographie diskutiert wurde - schließlich wollte man eine Vereinheitlichung der Schreibweise für das vereinte Reich erreichen.
Es kam aber zu keinem Ergebnis und es wurden weiterhin verschiedene Regelwerke veröffentlicht.
Am 17-19.Juni 1901 fand die Zweite Orthographische Konferenz in Berlin statt.
Hier konnte ein Regelwerk verabschiedet werden, das dem preußischen Regelwerk von 1880 weitestgehend entsprach und 1902 ordnete ein Erlass des Bundesrates die Einführung für die Schulen ein.
Dieses amtliche Regelwerk hieß Regeln für die deutsche Rechtschreibung nebst Wörterverzeichnis. Nicht geregelt wurden in ihm die Zeichensetzung und die Getrennt- und Zusammenschreibung. Allerdings verschafft sich Konrad Duden einen politischen Vorteil und seine Bücher galten fortan in Zweifelsfällen als maßgeblich, die vielen anderen Regelwerke verloren an Beachtung. (das wurde erst mit dieser neuesten RS-Reform aufgehoben)
Durch die amtliche Festlegung kam es aber nicht zu einem Stillstand der Auseinandersetzungen. Es wurden weiter Reformvorschläge und Änderungen unterbreitet, Regelwerke veröffentlicht etc.
Im übrigen gab es auch 1944 eine Reform mit gar nicht so schlechten Änderungen - der Grund der Änderung war allerdings, dass die deutsche Sprache für die einverleibten Länder leichter zu lernen sein sollte.
Die amtlichen Regeln von 1944 enthielten:
- Festlegungen zur Zeichensetzung;
- Liberalisierung der Groß- und Kleinschreibung;
- Falschschreibungen von Wörtern, die sich nicht in feste Regeln fassen lassen (der erste beste, im allgemeinen) werden nicht als Fehler angerechnet;
- Reformierung der Fremdwörterschreibung, kein th, ph, rh mehr, alte Schreibweisen aber weiterhin zulässig
Die Kultusministerkonferenz von 1955 bestätigt zwar diese amtlichen Regeln, da aber Duden die Änderungen nicht in sein Werk übernahm, setzten sie sich nicht durch.
Die KMK verschob auch die für die 50er geplante Reform auf weiteres.
Dieser Beschluss und das Unterlassen einer Neuauflage der amtlichen Regeln fürhte dazu, dass die Aufgabe, die amtlich verbindlichen Schreibweisen festzulegen, faktisch an die Duden-Redaktion übertragen wurde. Die amtlichen Regeln wurden somit in der Praxis auch der Behörden zugunsten des Duden völlig bedeutungslos.
Somit galt bei uns bisher überwiegend die 1901 festgelegte Schreibweise.
Natürlich gab es weiterhin Diskussionen, Gremien etc.
1983 fand die 3. Orthographische Konferenz statt, 1988 wurde ein Reformvorschlag vorgelegt, der 1992 wurden diese Änderungen veröffentlicht mit den Maßgaben, dass spätestens ab dem 1.8.98 nach diesen Regeln zu unterrichten sei und die Übergangszeit bis 2005 gelte.
1995 stimmte die KMK und 1996 die Ministerpräsidenten zu, so dass seit 1996 das 2. amtliches Regelwerk veröffentlicht und gültig ist.
Ihr seht: eine bewegte Geschichte ... und ich habe extrem viel weggelassen!!!
Palim |
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