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Forum: "Unterrichtsgarantie Plus (Hessen)"
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| Unterrichtsgarantie???????? | | von: leva
erstellt: 13.04.2006 13:35:43 |
Wenn ich es richtig verstanden habe, bedeutet "Unterrichtsgarantie" bei euch so viel wie "Verlässliche Grundschule" bei uns in Schleswig-Holstein.
Bei uns fällt (laut Statistik) seit Beginn des Schuljahres keine einzige Unterrichtsstunde mehr aus. Wir sind sehr einfallsreich geworden, um Möglichkeiten der "Aufbewahrung unter Aufsicht" für unsere Schülerinnen und Schüler zu finden. Aufteilung von Klassen, 2 Klassen mit einem Lehrer zum Sport schicken, "Eigenlernzeiten" mit Elternaufsicht, Einsatz von Vertretungskräften, Vertretung aus unserem mit Bordmitteln bestückten Vertretungspool...
Laut Statistik Unterrichtsausfall = 0. Die Realität: Total ausgepowerte Kolleginnen, die völlig am Ende ihrer Kraft sind und Klassen, die irgendwie beschäftigt werden.
Besonders toll ist es z.B. wenn Kolleginnen erkrankt sind, die unsere Wahlpflicht-AGs anbieten. Da werden mal eben schnell die Kinder der Flöten-AG aufgeteilt auf die Computer-AG, den Chor und die Kunst-AG.
Ansonsten kann ich auch die "Eigenlernzeiten" wärmstens empfehlen: Lernt euch was, Kinder! Hauptsache, es findet "Unterricht" statt.
Falls es bei euch in Hessen so geplant ist, kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch! |
| Hallo Ihr Hessen und Hessinnen... | | von: klytaemnestra
erstellt: 14.05.2006 13:29:09 geändert: 14.05.2006 13:30:39 |
@leva: ja genauso isses geplant.
Letztens stand in der örtlichen Tageszeitung ein toller Leserbrief. Der Witz an der ganzen Unterrichtsgarantie ist ja sowieso, dass Lehrer und Eltern dagegen sind. SO haben sich wohl die "Aufbewahrung" ihrer Kinder auch nicht vorgestellt.
Für die Vertretungseinsätze sind nach neuesten Überlegungen hauptsächlich drei Personengruppen favorisiert:
- Lehrer (im Elternurlaub)
- Lehrer (in Rente)
- Studenten (Lehramt)
außerdem noch:
- Eltern (ambitioniert)
Das Problem liegt jedoch auf der Hand: Lehrer im Erziehungsurlaub brauchen ihre Zeit, um ihre Kinder zu "erziehen", Lehrer in Rente sind i.d.R. froh, wenn sie es hinter sich haben ohne Herzinfarkt und Schlaganfall, Burnout o.ä. und Studenten sollen sich gefälligst um ihr Studium kümmern, damit das nicht noch länger dauert...
Ja, und wenn dann schon idealistisch eingestellte Eltern (mit meinem vorgefertigten Material) unterrichten dürfen, habe ich meinen eigenen Beruf entwertet und mich gleichzeitig völlig überflüssig gemacht. SUPER!
Teilweise findet bei uns die Hausaufgabenbetreuung bereits durch Eltern statt. Das läuft dann so ab, dass teilweise die HA der Kinder auch schon kontrolliert und verbessert werden (von Laien wohlgemerkt) und am nächsten Tag kommen die Kinder zu mir in die Stunde und sagen: "Die Frau xy hat aber gesagt, dass DAS so stimmt!!!" Da kann ich doch gleich einpacken.
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| Mogelpackung "Unterrichtsgarantie Plus" in Hessen | | von: veneziaa
erstellt: 14.05.2006 14:48:23 geändert: 14.05.2006 14:51:35 |
Es ist so, Frau Wolff will garantieren, dass ab dem kommenden Schuljahr keine Unterr.-Std. in den Klassen 1 - 10 mehr ausfällt.
Die Schulen wurden aufgefordert, Vertretungskonzepte zu entwickeln, die den Unterrichtsausfall verhindern. Die Schulleitungen sollen geeignetes Personal für den Vertretungsunterricht suchen. Die Unterrichtserlaubnis wird durch das Hess. Kultusministerium diesen Personen allgemein erteilt, d.h. dass keinerlei Qualifikationsnachweis erforderlich ist. Jeder, der vorgibt, pädagogisch interessiert zu sein, kann engagiert werden.
Die Verantwortung für Vertretungsunterricht wird auf die Schulen abgeschoben. Schulleitungen müssen, ohne darauf vorbereitet zu sein, nun die Verantwortung für juristisch stimmige Verträge übernehmen...
Es ist in der Tat eine Illusion zu glauben, dass qualifizierte Personen in größerer Zahl auf Abruf bereit stehen, um einzelne Unterrichtsstunden zu übernehmen.
Das Problem ist noch vielschichtiger..
und ich hoffe, dass viele Schulleitungen (wie derzeit bei uns täglich in der Presse zu lesen) sich dagegen wehren, instrumentalisiert zu werden und dieses Konzept "Unterrichtsgarantie plus" in der vorgesehenen Form umsetzen!!
veneziaa |
| und nicht nur DAS.... | | von: klytaemnestra
erstellt: 26.05.2006 17:42:06 |
wenn man die ganze Chose mal gedanklich durchspielt, kommt man auf sooooo viele tolle Ideen, dass man gar nicht wissen möchte, wann das jemand mal ausprobiert. Die schlimmsten Fälle: Zum Bleistift:
Leute, die seit Jahren keinen anständigen Job mehr ausgeübt haben, sei es mangels Willen oder Kompetenz, können mit einem BAT-Vertrag über nur 1 (in Worten EINE) Wochenstunde in eine Krankenkasse eintreten und werden absofort kräftig abkassieren können.
Vertreter für fragwürdige Zeitschriften, Handyverkäufer, ja sogar letztenendes Drogendealer bekommen ein ganz neues Betätigungsfeld, nämlich Hausierengehen in der Schulklasse.
Welcher Schulleiter will denn da den Überblick behalten?
Betreutes Hausaufgabenmachen wäre doch da in den Randstunden, denn um die geht es doch wohl (die anderen wurden bei uns zumindest schon immer adäquat vertreten), wesentlich sinnvoller. Alle Schüler, die zu früh aus hätten und NICHT nach Hause können in zwei, drei Räume, und dann wird Stillarbeit gemacht. Irgendwas is schließlich immer zu tun - und wenn man nur die leidigen Vokabeln lernt
Ich schätze, die richtig dicken Probleme werden erst bei der pralktischen Umsetzung auf uns zu kommen, und vor allem den juristischen Schlupflochfindern ist da meiner bescheidenen Meinng nach (bisher noch) Tür und Tor geöffnet.
Grüezi, klytaemnestra |
| ??? | | von: steffchen2
erstellt: 26.05.2006 20:46:57 |
unsere schule hat eine personalversammlung abgehalten, bei der einstimmig gege diese neue regelung gestimmt wurde. einen öffentlichen brief haben wir an die gute frau wolff geschrieben, der auch in der zeitung war. trugschluss für die eltern, den lehrern inden rücken fallen, geld sparen, wo es geht. bei uns werden schon seit langem die klassen nach einem festen plan aufgeteilt, wenn ein lehrer erkrankt, allerdings fallen trotzdem ein paar stündchen aus. wies gebau gehen soll, weiß noch keiner.
grundsätzlich finde ich die idee nicht schlecht, ich habe eine freundin in bw, die in der dorfschule einspringt (z. zt. beurlaubt), war ne idee vom rektor und geht unbürokratisch. allerdings als programm zur unterrichtsgarantie nicht zu verantworten.
dazu noch ne anmerkung: in einer hessischen kreisstadt an einem kurpfälischen gymnasium hat eine ehemalige schülerin eine klassenführung, die im verganenen herbst keinen studienplatz bekommen hat. da fehlen die worte! |
| Von wegen "sich wehren" .. | | von: veneziaa
erstellt: 27.05.2006 06:26:30 geändert: 27.05.2006 06:46:07 |
Das ist es ja, was mich so wütend macht:
Auch bei uns liest man täglich offene Briefe der Schulen in den Zeitungen, in denen sich Eltern, Kollegien, Schulleitungen gemeinsam gegen die Einführung des U-Plus-Konzepts aussprechen, es öffentlich zurückweisen.
Was passiert? Die Schulleitungen werden von Wiesbaden aus abgemahnt!!
Ich finde, hier wird sehr offen an demokratischen Grundrechten gerüttelt...
Schulen tragen demnächst die Verantwortung für den Unterrichtsausfall - das nennt die hessische Kultusministerin "Selbstständigkeit". Das ist zynisch! Es ist der Staat (das Land), der seiner Verantwortung nicht nachkommt, genügend Lehrkräfte zur Verfügung zu stellen.
Man nennt es "hundertprozentige U-Abdeckung", wenn man 93 % Unterricht abgedeckt hat... Sorry, versteh ich nicht. Diese Rechnerei haben wir wohl den schlechten Rechnern im KuMinisterium (Pisa lässt grüßen) zu verdanken!
Info: Zum 1.2.06 wurden 782 künftige Lehrer fürs Referendariat abgewiesen, also ausgebildete Leute mit erstem Staatsexamen...
Hallo! Aufwachen! Seht ihr, was hier gerade abgeht?
(Ach ja: Ich bin kein Gewerkschaftler, sondern ein Mensch, der seine Grundrechte dahinschwimmen sieht und sich wundert, was man uns Lehrern alles zumuten kann..)
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| Ich kann mich nur wundern | | von: veneziaa
erstellt: 28.05.2006 08:28:38 geändert: 28.05.2006 09:45:19 |
dass hier so viele brave LehrerInnen nicht aufschreien ... bis es dann im nächsten Jahr bittere Realität ist und man uns Laien-Lehrer an die Seite stellt.
Einerseits heißt es: Professionalisierung des Lehrerberufs. Lehrer müssen zur Fortbildung und in drei Jahren 150 Punkte bei akkreditierten Veranstaltungen erwerben, auf eigene Kosten natürlich, dabei oft Vertretungsunterricht provozierend.
Diesen werden in Zukunft u.U. Laien gegen Stundenlohn abdecken. Erziehungskonzepte, Curricula, Schulprogramme? er unterrichtet unbelastet, ohne Verpflichtung auf abgesprochene Erziehungsziele, Konferenzen, Elterngespräche, Lernzielkontrollen ...
Endlich kann jeder seine Ideologien in die Köpfe der Kinder zaubern. Wer will/kann das kontrollieren?
Laien in der Chirurgie? In der Atomphysik?
Undenkbar! Aber den Kindern mutet man das zu ...
Beispiel aus eigener Erfahrung:
Vertretungsunterricht Biologie durch eine Mutter (Ärztin im Erz.-Urlaub), Dauer 4 Wochen, 2 Wo-Stdn. Thema: Haustiere.
Da diese Mutter einen Sohn mit best. Hormonproblemen in dieser Klasse hat, war ihr DAS als Thema ein Bedürfnis. Über den Haushund kam sie auch auf Hormone ("Ach ja, und übrigens, der Haushund hat ja auch Hormone ..blablabla.."). DAS war dann ihr Thema. Bis mir das von den Kindern zugetragen wurde, waren schon 2-3 Stdn mit Hormonen vertan. Die Mutter wurde darauf hingewiesen, sich an den gültigen Lehrplan zu halten.. mit dem Ergebnis, dass sie das vorgesehene Thema nicht durchbrachte, weil ihr anschließend die Kinder (27 Kinder einer fünften Klasse, heterogen) auf der Nase herumtanzten.. Ich stelle fest: Man kann noch so qualifiziert sein, und grundsätzlich ist gegen Unterricht durch Außenstehende ja auch nichts zu sagen, aber es gibt so viele Punkte zu beachten, die "auf die Schnelle" einfach nicht zu regeln sind..Wer will schon eine gewisse "Kontrolle" ausüben? Da kann man die Vertretung doch gleich selber machen .. und die Kinder bleiben u.U. auf der Strecke.
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