|
Forum: "Geschichte zum Weiterschreiben (bitte höchstens 10 Sätze)"
Bitte beachte die Netiquette! Doppeleinträge werden von der Redaktion gelöscht.
|
| 13 -1 | | von: oblong
erstellt: 18.05.2006 18:25:27 geändert: 18.05.2006 18:52:36 |
Das Sonnenlicht blinzelte schon durch den Spalt der zugezognen Vorhänge, als Jack mit leicht dröhnendem Schädel erwachte.
Der Geschmack auf der Zunge machte ihm leider klar, dass die Kopfschmerzen wohl nicht nur von der Verletzung herrührten.
Ach ja, die Zeitung, der Job...
Was musste er sich auch ausgerechnet heute so viel vornehmen? Es half nichts. Während er sich stöhnend und sich streckend aufrichtete, fielen ihm ein paar Zeilen von der EAV ein:
"Ich steh auf am Nachmittag, der Sodbrand ist enorm:
Ja gestern war ich gut in Form..."
Nun ja, ganz so spät war es noch nicht, und etwas Schönheitspflege konnte ja nicht schaden.
Nach einer halben Stunde war Jack trotz seines Kopfverbandes wieder halbwegs fit und grinste in sein Spiegelbild hinein: "Ich werde Indianer - den Kopfschmuck habe ich schon!"
Überhaupt hatte er das Gefühl: Das wird mein Tag!
Es lief auch bestens: Am Kiosk gab es noch eine MÜNSTERSCHE ZEITUNG; nun konnte er sich mit der Stellenbeschreibung näher beschäftigen.
Woher auf einmal dieser Arbeitswille kam, hätte sich Jack nur dann erklären können, wenn ihm die Szene mit Marion eingefallen wäre, die sie ihm so geschickt vorgespielt hatte. Doch Jack hatte durch die Ereignisse des gestrigen Tages kleinere Gedächtnislücken und wollte sich auch gar nicht mit längeren Reflexionen aufhalten:
Nach kurzer telefonischer Anmeldung suchte er das Sonderbüro "Gastgeber für Freunde" im Rathaus auf, das extra für die neuen Arbeitsplätze zur WM eingerichtet war; man könnte vermuten, dass wohl wieder bald Stadtratswahlen in Münster sind.
Nur drei Männer saßen im Warteraum, die er bei flüchtiger Musterung als gering gefährlich bei seiner Bewerbung einstufte.
Schließlich wurde er ins Zimmer gebeten.
Der stellvertretende Referent des Sportausschusses hörte ihm geduldig zu, und als Jack seinen Beruf als Sportlehrer erwähnte, ging ein Leuchten übers Gesicht seines Gesprächspartners.
"Ja, wenn das so ist, dann sind sie genau der richtige Mann für uns!" Nun begann er auf Jack einzusülzen, und bevor sich es Jack versah, hatte er einen Vertrag unterschrieben und war mit einer Kopie und einem kräftigen Handschlag verabschiedet worden.
Draußen klange Jack immer noch die Worte im Ohr:"herausragende Stellung im Sicherheitsmanagement", "pädagogische Einwirkungsmaßnahmen bei eskalationsfähigen Begegnungen" und "Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Gästen zur WM".
Erst als er das ihm in die Hand gedrückte Schriftstück näher betrachtete, dämmerte ihm es langsam, dass er jetzt ...
|
| 13. 2. | | von: keinelehrerin
erstellt: 18.05.2006 21:25:44 |
ein wichtiger Teil eines einmaligen Weltereignisses war. Mein Gott, er war Teil der WM! Er wäre hautnah dabei! Er, Jack Schäfer, wäre zum Greifen nah an dem Ball!!!!
Glück macht trunken, und manchmal auch blind.
Denn Jack hatte überhaupt nicht nachgefragt, wie hoch denn die Vergütung für diese zweifelsfrei einmalige, welterschütternde, globusumspannende und immens wichtige Arbeit sei.
So war ihm im Freudentaumel gänzlich entgangen, dass er neben einem T-Shirt mit dem schmückenden Aufdruck "Volunteer", einem warmen Essen pro Tag und der Ehre, ein kleines Rad im Weltgetriebe zu sein, keinen Cent Lohn, Vergütung, Aufwandsentschädigung, Gehalt oder wie auch immer man es nennen möchte, erhalten würde.
An den Spruch seiner Mutter, dass wer lesen könne, klar im Vorteil sei, würde er sich erst in ein, zwei Tagen erinnern!
|
| 13.3. | | von: keinelehrerin
erstellt: 18.05.2006 22:04:26 geändert: 19.05.2006 16:24:29 |
Verena bemühte sich redlich in gekonnten Haken um die Schülergruppen zum Lehrerzimmer vorzustoßen. Abwesend erwiderte sie die Grüße einzelner Schüler und flott schritt sie weiter aus. Noch knapp 20 m war sie vom Lehrerzimmer entfernt, als sie sah, dass Kollege Wegener die Tür schon erreicht hatte. Sie hatte jetzt die Wahl hinter dem Kollegen loszuschreien und vor der halben Schule als neurotische Neuerscheinung zu gelten. Die Möglichkeit einen Sprint in diesen niedlichen Sabots hinzulegen, verwarf sie gleich wieder. Blieb nur noch ein Stoßgebet an den Schutzheiligen aller Lehrer zu schicken und zu hoffen, dass Ann-Sophie und Lisa-Marie nicht zu fleißig gewesen waren.
Leider hatte die heilig Katharina von Alexandria Verenas stumme Bitte nicht gehört. Davon konnte sie sich gleich nachdem sie atemlos das Lehrerzimmer betreten hatte, überzeugen.
Ein puterroter, sichtlich um Fassung ringender Dr. Poltz gestikulierte mit einem Heft in der einen Hand und einem zerdrückte Taschentuch, mit dem er sich von Zeit zu Zeit den Schweiß vom Gesicht wischte, in der anderen Hand wild vor Herrn Wegener. Dieser stand vor seinem Chef und blickte ihn an, wie die berühmte Kuh das berühmte Scheunentor. "Also..... das ist...... noch nie....... in all der Zeit....... unverantwortlich......" Dr. Poltz war nicht mehr im Stande einen verständlichen Satz von sich zu geben. Seine Stimme erstarb und er griff sich an die Brust. Verena sah sich um, keiner der Kollegen schien sich einen Reim auf diese Szene machen zu können. Und sie war die Jüngste in diesem Reigen, durfte sie einfach so eingreifen? Als nun aber Dr. Poltz begann zu hyperventilieren, seine Gesichtsfarbe hektisch von rot zu weiß wechselte, handelte sie. "Dr. Poltz," rief sie ihn laut an, "Dr. Poltz, holen sie Luft. Herr Wegener, helfen sie mir ihn zu stützen. Sylvia, einen Stuhl, ein Glas Wasser. Kann jemand das Fenster öffnen?" Nach dem ersten Schreck setzte ein Gewusel ein, und ruck-zuck sahs der Chef auf einem Stuhl, die Krawatte gelockert, ein Glas Wasser in der Hand. "Gehts ihnen besser?" erkundigte sich Verena. "Ja. Ja, danke. Aber...." wieder brach die Stimme. Das aufgeschlagene Heft lag auf dem Boden und Sylvia konnte einen Blick darauf werfen. Acha, blitzschnell hatte sie kombiniert. Da hatte der Alte mit seinen Moralvorstellungen aber eine dicke Kröte zu schlucken! Und Verena wusste anscheinend um was es ging. Max allerdings war völlig ahnungslos. Mahlzeit! Schnelles Handeln war eine der guten Eigenschaften von Sylvia, und das stellte sie auch nun unter Beweis. "Dr. Poltz, ich glaube sie sollten sich kurz in ihr Büro zurückziehen und ausspannen. Etwas Luft schnappen und zu sich kommen. Max, würdest du ihm bitte helfen." Aufmunternd nickte sie ihm zu und damit kein Widerspruch aufkam, griff sie dem Chef unter den linken Arm und zog ihn schon halb hoch. Max blieb nichts anderes übrig, als beizugehen und den Rechten zu ergreifen, obwohl er sich auf das Geschehen der letzten vier Minuten keinerlei Reim machen konnte. Mit einem Augenblinzeln gab Sylvia Verena zu verstehen, das Heft vom Boden aufzuheben und mit den dreien ins Büro zu kommen. An der Tür schob sie Max und Dr. Poltz hinein, drehte sich nochmal um und flüsterte Frau Schneider zu: "Rufen sie mal seine Frau an. Ich glaub das ist was Ernsteres." Damit verschwand sie in der Tür und schloss sie hinter sich.
Was sich hinter der Tür abspielte sollte die Kollegen erst einige Stunden später - und in abgespeckter Form - erfahren. Vorerst waren sie noch geschockt und Frau Schneider rief Frau Poltz an. Sylvias Aktionismus war bestens bekannt und auch ihre spitze Zunge, so dass keiner gewagt hätte das Büro des Chefs zu betreten. "Frau Schneider, bleiben Sie hier und erwarten Frau Poltz. Frau Grübel, sie übernehmen die Stunden von Frau Metz. Und ich vertrete Herr Wegener. Bis geklärt ist, was mit dem Chef ist, noch kein Wort zu den Kindern. Sonst gibt es unnötiges Gespräch," ordnete Herr Schumacher an. Zum Glück klingelte es zum Ende der Pause und unter Gemurmel gingen die Lehrer wieder an die Arbeit.
|
| 13.4. | | von: keinelehrerin
erstellt: 19.05.2006 10:03:04 geändert: 19.05.2006 10:46:41 |
Sylvia bugsierte ihren Chef zum Schreibtischstuhl. Fast hätte er einem Leid tun können, aber nur fast. Verena hielt Max die Anzeigenseite ohne Worte hin. Max starrte auf das Bild und auf einmal wurde ihm der Kragen seines T-shirts zu eng. Dr. Poltz hatte seine Stimme wiedergefunden. "Herr Kollege Wegener. Ich verlange eine Erklärung! Eine Erklärung!" "Eine Erklärung?", echote Max. Ja, was sollte er denn da erklären. Es musste sich um eine Verwechslung handeln. Nur so war das erklärbar. Er hatte doch keine Fotos.... "Stellen sie sich doch nicht so dumm an! Herr Wegener, wie kommen solche Bilder von ihnen in die Presse? Solche Bilder! An unserer Schule! Erst der Skandal an der Rütli-Schule. Nun ein Nackt-Skandal bei uns! Die Zeitung wird über uns herfallen und ..." gramgebeugt und voller Angst, was noch alles auf ihn zukommen könne, verschlug es ihm wieder Stimme. Völlig entkräftet schlug er die Hände vors Gesicht. Ganz deutlich spürte er, wie sich ein Schlaganfall anbahnte, ganz deutlich spürte er es! "Zwei Jahre vor meiner Pensionierung. Was muss ich denn noch alles ....." Jetzt reichte es Sylvia aber. Dieses Gejammer war zuviel! "Herr Direktor Dr. Poltz", sie betonte jede Silbe. "Herr Direktor Dr. Poltz. Jetzt reißen sie sich zusammen! Wenn die Zeitung Wind davon bekommen hätte, wären hier schon Kamerateams angerückt. Also," wandte sie sich an Max, "was ist mit diesen Fotos?" "Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung. Wirklich." Max fühlte sich wie auf einem Kettenkarusell, das sich immer schneller drehte. Verena meldete sich zu Wort: "Das sind Hefte, die schon 20 Jahre alt sind. Ich habe mit den Kindern..." weiter kam sie nicht. Max hatte ihr die Zeitschrift entrissen und starrte nun auf das Bild. Oh, Nein! Er hatte es wirklich verdrängt. Und ausgerechnet jetzt kam es wieder hoch.
Der nächste Sessel war seiner und er begann zu erzählen. Von dem Wunsch, seine Eltern auch mal aus der Reserve zu locken. Immer waren sie so verständnisvoll!
Seine Mutter, die ihn aber nach den Bildern in den Arm genommen hatte, und nur genickt hatte: 'Bub, das wär nun so nicht nötig gewesen. Aber... gut siehste aus.' Vater, der zwar zwei Tage nicht zum Dienst erschien, aber sich dann mit seinem Sohn zu einem Gespräch zurückzog.
Damals hatte er eingesehen, dass seine Eltern ihn liebten, egal was er tat. Und das hatte in ihm ein so tiefes Gefühl von Dankbarkeit und Liebe hinterlassen.
Mit den 300 DM damals, war er in den Semesterferien nach Italien getrippt und die Sache danach vergessen.
Bis eben.
Sylvia, Verena und Dr. Poltz hatten zugehört, ohne ihn zu unterbrechen.
Dr. Poltz wischte wieder Schweiß. "Tja, wenn die Sache so liegt ... aber, die Sittlichkeit.... " Bevor der Chef noch mal irgendwas lossülzen konnte, fasste Sylvia pragmatisch zusammen: "Also eine verspätete Trotzreaktion im 1. Semester."
Es klopfte. Frau Poltz kam endlich um ihren kranken Gatten abzuholen und ihn notfalls in die Uniklinik zu fahren. Der Schuldienst würde ihren Mann noch umbringen, das war ganz gewiss, zwei Jahre vor der Pensionierung. Und sie wollte doch unbedingt noch nach Florida!
"Leonhard. Was ist mit dir? Gehts dir gut? Ah mein Armer!" Sylvia verdrehte die Augen. "Es geht wieder, Frau Poltz. Ein Schwächeanfall,"beruhigte sie die Direktoren-Gattin. "Es kam zu einem Missverständnis, wir konnten aber schon einiges klären. Aber es wäre wirklich am besten, wenn sie ihren Gatten zur Klinik fahren würden. Nur zum Nachschauen, damit ja auch nichts ist. Sie wissen ja, Vorsorge ist immer besser. Lieber einmal mehr geschaut als zu wenig," säuselte Sylvia los. Hoffentlich nimmt sie den Alten mit, und ich kann hier alles regeln. Bevor die lieben Kleinen nach Hause gehen und besorgte Eltern diversen Telefonanbietern wieder Gewinne bescherten.
Verena schaltete schnell und bemühte sich nach Kräften Dr. Poltz nebst Gattin von der Wichtigkeit einer ärztlichen Unersuchung zu überzeugen.
Max saß schweigend daneben.
|
| 13.5 | | von: ricca
erstellt: 19.05.2006 11:42:26 geändert: 19.05.2006 15:50:58 |
Frau Dr. Poltz stützte ihren Mann, während sie ihn zu seinem neuen, schwarzen Mercedes begleitete, der auf dem Lehrerparkplatz vor der Pestalozzischule geparkt war. Obwohl sie sich immer scheute ein solch wuchtiges Gefährt zu steuern, nahm sie ihrem Gatten den Schlüssel aus der Hand. "Keine Widerrede! Ich fahre dich jetzt in die Uniklinik.", bestimmte sie resolut.
Eine aufregende halbe Stunde später, in der sich Dr. Poltz noch einmal fast genauso über den Fahrstil seiner zweiten Ehefrau aufregte wie über die Eskapaden des Herrn Wegener - was bildete sich dieser Kerl ein!!! Nacktaufnahmen! - Nein! Die rechte Spur! Achtung, Fahrradfahrer von rechts, die Ampel ist ROT, Regina! ROT! - Ach, dieser Wegener, was mach ich nur mit ihm??? - brachte Frau Poltz den Angeberschlitten auf dem Klinikparkplatz zum Stehen. Zum Glück war er heil geblieben.
Die Dame am Empfang schickte das völlig aufgelöste Ehepaar Poltz zur Notaufnahme. Als die breiten Schwingtüren sich öffneten, erblickte Dr. Poltz eine junge Ärztin, die den Einsatzplan am Schwarzen Brett studierte. Er räusperte sich. Die Ärztin drehte sich mit einem freundliche Lächeln um.Ihr Gesichtsausdruck versteinerte. "Hallo Vater.", sagte die Ärztin im Praktikum Dr. Delia Poltz kühl. |
| 13 - 6. | | von: aloevera
erstellt: 19.05.2006 23:55:21 geändert: 20.05.2006 09:18:33 |
Max saß immer noch wie versteinert auf seinem Stuhl, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. „Hör mal Max, wir werden dich erst mal für eine Woche aus dem Verkehr ziehen. Du gehst jetzt sofort zu deinem Hausarzt und lässt dich für eine Woche krank schreiben. Wer weiß, welche Wellen diese Fotos schlagen werden und da ist es besser, wenn du erst mal aus der Schusslinie bist, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Max, hörst du mich?“ Sylvias Worte erreichten ihn nur langsam. „Vielleicht hast du recht“ murmelte er, stand auf und wandte sich zum Gehen. „Bitte, halte mich auf dem Laufenden, ja?“ Mit diesen Worten schlich er aus dem Zimmer.
Sylvia hängte einen Zettel im Lehrerzimmer aus, auf dem sie für 14.00 Uhr das Kollegium zu einer außerordentlichen Dienstbesprechung in den Konferenzraum bestellte.
Marion, die von all dem nichts ahnte, saß im Wartezimmer ihres Internisten. Sie war noch zwei Tage krank geschrieben und hoffte, am Montag wieder arbeiten zu können. Ihre Narbe war recht gut verheilt und dank Sylvias Pflege fühlte sie sich wieder fit und wie neugeboren.
Den Gedanken an Max hatte sie, so gut es ging, erst einmal weit weg geschoben. Max war, wenn sie ehrlich zu sich selbst sein wollte, der Hauptgrund ihres Arbeitseifers. Sie konnte es kaum erwarten, ihn wieder zu sehen.
„Frau Schäfer, kommen Sie bitte ins Sprechzimmer Nummer zwei“ ertönte eine freundliche Stimme aus dem Lautsprecher. Dr. Sperling war von Marions Plänen nicht sehr begeistert. Marion konnte ihn jedoch davon überzeugen, dass eine kurze Woche bevor stand. Donnerstag war Christi Himmelfahrt, Freitag war frei und dann war Wochenende. Somit konnte sie sich langsam wieder an den Schulbetrieb gewöhnen und sich auch noch ein paar Tage schonen.
Max hatte keinen festen Hausarzt, er hatte eine angehende Ärztin als Schwester und das hatte ihm bisher gereicht. Wo sollte er hingehen, um eine Krankschreibung zu bekommen? Plötzlich fiel ihm Dr. Sperling ein, der Internist, mit dem Nadine ein Jahr lang eng befreundet war. Christian war ein feiner Kerl und Max hätte ihn gern als Schwager gesehen. Aber Nadines eigenwilligen Zukunftspläne hatten schon manchen Mann in die Flucht getrieben. So sehr Max auch seine Schwester liebte, ihre Kompromisslosigkeit konnte einen zur regelrechten Verzweiflung treiben.
Als Max vor Christians Praxis stand, überkamen ihn Zweifel, ob eine Krankschreibung die richtige Lösung war. Wäre es nicht besser, bei der Wahrheit zu bleiben und dazu zu stehen, was vor zwanzig Jahren war?
Er saß im Wartezimmer und hatte sich langsam wieder etwas gefangen, als die Tür vom Behandlungsraum aufging und Marion herauskam.
|
| 13 - 7. | | von: aloevera
erstellt: 20.05.2006 08:58:37 geändert: 20.05.2006 09:22:00 |
Max wurde schlagartig blasser, als er ohnehin schon war. Nicht, dass er sich nicht gefreut hätte, Marion zu sehen, aber der emotionale Vulkan, der in ihm spuckte, hielt ihn völlig in seinem Bann. Marion entdeckte ihn sofort, kam auf ihn zu und schaute ihn prüfend an.
„Max, schön dich zu sehen. Was ist los mit dir? Du bist ja weiß wie ein Bettlaken, geht es dir nicht gut?“ fragte sie besorgt. „Ich muss was Falsches gegessen haben. Mir ist speiübel und ich habe Krämpfe. Aber mach dir keine Sorgen, das wird schon wieder. Es wird schon nicht der Blinddarm sein“ setzte er mit einem verzerrten Grinsen hinzu. „Erzähl mir lieber, wie es dir geht?“ „Doktor Sperling ist mit mir recht zufrieden. Ich kann am Montag wieder in die Schule kommen. Es wird auch Zeit, langsam fällt mir die Decke auf den Kopf. Weißt du was, ich warte auf dich, was hälst du davon?“ fragte sie Max aufmunternd.
Der wusste gar nicht, wie ihm geschah. Die Freude, Marion zu sehen, verwandelte sich schlagartig in Panik. Er konnte ihr doch unmöglich erklären, aus welchen Gründen er nun hier saß und welch ein Chaos er in der Schule angerichtet hatte. Er, der immer korrekte, freundliche und aufrichtige Herr Wegener, immer bemüht, seinen Schülern Werte wie Ehrlichkeit , Vertrauen und Moral mit auf den Lebensweg zu geben. Nun saß er hier wie ein Häufchen Elend, als eine Art Pornostar enttarnt aus einer längst vergangenen Zeit, in der er jung, verliebt, lebensdurstig und rebellisch war. Und vor ihm die Frau, die er liebte und die er in diesem Augenblick ganz weit weg wünschte, um innerlich nicht völlig zusammen zu brechen. „Marion, ich glaube, das einzige, was mir heute hilft, ist schlafen, schlafen, schlafen. Ich bin einfach fertig auf der Bereifung.“ Nun war es heraus und die Leidensmiene ließ sich noch steigern. „Das verstehe ich. Rufst du mich heute Abend mal an an, wie es dir geht? Ich bin bis zum Wochenende noch bei Sylvia.“ „Mach ich“, mehr brachte er nicht heraus, denn am Abend würde das Chaos perfekt sein und Sylvia hätte Marion die verhängnisvolle Geschichte längst erzählt. „Herr Wegener, bitte ins Behandlungszimmer eins“.
Das war seine Rettung. Er hauchte Marion einen zarten Kuss auf die Wange und flüchtete regelrecht vor ihr.
Marion sah ihm nachdenklich hinterher, bis sich die Tür vom Behandlungszimmer hinter ihm geschlossen hatte. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie. Max war ihr ausgewichen, aber warum? War er ernsthaft krank und wollte ihr das nicht sagen? Hatten sich seine Gefühle für sie verändert? Sicher, sie hatte ihn ein wenig auf Eis gelegt, da sie erst mal an sich denken wollte und diese unerträgliche Situation mit Jack bereinigen wollte.
Sie hatte keine andere Wahl, als bis Montag zu warten, wie ihr Zusammentreffen in der Schule weiter verlief.
Eines war klar, sie würde ihn keine Minute aus den Augen lassen. Sie verließ die Praxis, sich auch der Tatsache bewusst, dass sie ab Sonntag wieder in ihre Wohnung zurückmusste, wollte sie nicht ihr halbes Arbeitszimmer hin und her schleppen.
Sie ging davon aus, dass Jack weiterhin bei seinem Freund Frank wohnte und sie sich nicht über den Weg liefen. Der Anruf Jacks, wie er über den Erziehungsurlaub entschieden hatte, war erwartungsgemaß bisher ausgeblieben. Keine Antwort war bei Jack auch eine Antwort!
Die letzten Tage bei Sylvia wollte sie noch genießen. Sie wandte ihre Schritte Richtung Markt um einzukaufen. Wenn Sylvia aus der Schule kam, sollte sie ein fürstliches Mittagessen vorfinden. |
| 13 -8 | | von: oblong
erstellt: 20.05.2006 11:34:35 geändert: 20.05.2006 11:52:49 |
Ausnahmsweise hatte Marion dem guten Jack in Gedanken Unrecht getan; er war nun wirklich mit wichtigeren Dingen beschäftigt - dachte er zumindest.
Als er noch einmal nachschauen wollte, wann er eigentlich zum Einsatz bei der WM käme, musste er notgedrungen den Vertrag erneut betrachten.
Zu seinem Erstaunen trug sein Vertrag nicht das Logo der WM. Nun begann er, misstrauisch geworden, das Papier gründlich zu lesen.
"So eine Gemeinheit! Da steht gar nichts von der WM! BEACH SOCCER! Ich glaube, ich spinne!"
Jack konnte es nicht fassen: Er war als Ordner engagiert bei einem Beach Soccer - Turnier in Münster, kurz vor der WM! Ungläubig las er:
Der DBSV richtet auch 2006 eine German Masters Tour aus. Fussballfreunde aus dem ganzen Land sind herzlich eingeladen, sich an dem Qualifikationsturnier in der Hafenarena (3.-5. Juni) zu beteiligen.
Die German Masters Tour, die in verschiedenen deutschen Städten bzw. in verschiedenen Bundesländern ausgespielt wird, dient der Qualifikation der Finalteilnehmer. Höhepunkt und gleichzeitig Abschluss der Tour wird das Finalturnier in Krefeld sein. Für das Finalturnier qualifizieren sich die jeweiligen Masters Turniersieger, sowie die punktbesten Teams der German Masters Tour.
"So haben wir nicht gewettet!"
Wutentbrannt machte er sich auf den Weg, in der Hand den schon leicht zerknüllten Vertrag, den er beim Gehen hin und her schwenkte. |
| 13 - 10. | | von: aloevera
erstellt: 20.05.2006 14:22:15 geändert: 20.05.2006 15:33:27 |
Max war an diesem Vormittag Dr. Sperlings letzter Patient und wurde von ihm freudestrahlend begrüßt. „Ich glaub es kaum, Max! Schön dich zu sehen! Wie lange ist es her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Was führt dich zu mir?“
Ohne Umschweife begann Max Christian zu berichten, was ihm in der Schule widerfahren war. Christian hörte geduldig zu, konnte sich aber hin und wieder ein Lächeln nicht verkneifen. Zu genau konnte er sich an seine eigene Schulzeit erinnern und an die vielen Fettnäpfe, in die er getreten war, wenn ihn ein Lehrer bei den unzähligen Dummheiten, die auf sein Konto gingen, erwischte. So nach und nach wurde Christians Gesicht aber immer ernster, als er erfuhr, was es mit diesen Nacktfotos noch auf sich hatte. Max tat es gut, sich alles einmal von der Seele zu reden, was ihn seit zwanzig Jahren in nächtlichen Albträumen immer wieder einholte.
Auch Max hatte eine Leiche im Keller versteckt. Christian war sehr nachdenklich geworden und bei Abwägung aller Konsequenzen, die auf Max beruflich zukommen könnten, bat er um die Entbindung seiner ärztlichen Schweigepflicht. Einige Informationen für Sylvia könnten hilfreich sein, Max´ Kopf rechtzeitig aus der Schlinge zu ziehen. Max stimmte zu, hatte er eine andere Wahl?
Christian bat seine Sprechstundenhilfe „Bitte verbinden sie mich mit Frau Metz, Lehrerin an der Pestalozzi Schule.“
Kurz darauf wurde der Anruf durchgestellt. Sylvia war gerade im Begriff, ins Konferenzzimmer zu gehen, um die Dienstberatung zu eröffnen, als ein Dr. Sperling sie sprechen wollte. Marion – irgendetwas musste mit Marion sein, Dr. Sperling war ihr behandelnder Arzt. Beunruhigt meldete sie sich „Pestalozzi Schule, Metz am Apparat.“
Sylvia lauschte den Worten des Arztes und ihre Stirn legte sich in sorgenvolle Falten.
„Danke Doktor für diese wichtigen Informationen. Das war für mich sehr aufschlussreich.“
Sie nahm ihre Notizen und ging ins Konferenzzimmer, indem die Kollegen schon ungeduldig auf sie warteten.
Gespannt warteten alle auf eine plausible Erklärung der Vorfälle am heutigen Schultag. Sylvia berichtete, dass sie noch keine Informationen über den Gesundheitszustand des Direktors erhalten habe. In knappen Worten berichtete sie, dass Herr Wegener für eine Woche krank geschrieben und in ärztlicher Behandlung sei und informierte die Kollegen, die teilweise entrüstet, teilweise grinsend auf das Foto von Max reagiert hatten, dass das Foto aus der Zeit stammte, in der er junger Student war und mit seiner heutigen Tätigkeit nichts zu tun hätte. „Darüber hinaus ist mit dem Foto eine Tragik verbunden, die Herrn Wegener sein ganzes Leben begleitet hat und weiter begleiten wird. Er ist genug bestraft und das einzige, was wir jetzt für ihn tun können ist, ausnahmslos hinter ihm zu stehen und ihm unsere Loyalität zu zeigen, gegenüber den Eltern, den Schülern und, falls erforderlich, dem Schulamt gegenüber.
Falls dazu keine weiteren Fragen mehr sind, ist die Sitzung damit geschlossen. Ich wünsche euch einen schönen Nachmittag.“
|
Beitrag (nur Mitglieder) |
|
|