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Forum: "inklusion"
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| traurig | | von: palim
erstellt: 03.10.2012 19:44:36 geändert: 03.10.2012 19:51:30 |
@sopäd
Glück hast du. Mag sein.
Aber ich empfinde es eben doch so, dass du andere Lehrkräfte beurteilst und verurteilst:
Wenn du schreibst, dass bei euch Förderbedarf nicht auf eine subjektive gefühlslage, sondern nach (mehr oder weniger) standardisierten verfahren festgelegt werden, intendierst du doch unterschwellig, dass es anderswo anders liefe.
Mag ja auch sein.
Für meine Schule kann ich sagen, dass dies nicht so ist. Kinder bleiben so lange es geht an unserer Schule, obwohl wir keine Inklusion oder Integration haben.
Wenn aber Kinder einen (außerhalb der Schule) festgestellten IQ von 74 haben, kann, muss ich dies aber nicht anzweifeln, es passt nämlich für mich ins Bild.
Wenn Kinder bei standardisierten Verfahren, z.B. HSP oder Stolperwörtertest - andere Verfahren dürfen wir nicht durchführen - mit einer großen Vergleichsgruppe und angenehmem Klassenklima einen Prozentrang von 1 erreichen, dann kann ich die Ergebnisse anzweifeln, muss es aber nicht.
Und ich muss mir nicht unterstellen lassen, ich hätte eine subjektive Gefühlslage, diese Kinder könnte ggf. einen Förderbedarf haben.
Und wenn an einer Klinik bei einem Kind Aspergersyndrom und Förderbedarf festgestellt werden, dieser Bescheid aber nicht anerkannt wird und die Eltern 4 Stunden bis ins nächste Bundesland fahren müssen, um das Kind erneut testen zu lassen, dann empfinde ich es als Schieflage.
Dass dieses Kind keine zusätzlichen Förderstunden bekommt, muss ich ja vermutlich nicht erklären.
Dass FörderschulkollegInnen einen anderen Blick auf Kinder haben, ist mir auch schon häufiger aufgefallen.
Das kann ich auch nachvollziehen.
Meine Vorgaben sind aber andere. Ich MUSS die Kinder mit gleichen Maßen messen und beurteilen. ALLE.
Und da hilft ein sonderpädagogischer Blick leider nicht, wenn am Ende doch Noten verteilt werden müssen, die dem Kind alle Freude am Lernen nehmen - egal welche Fortschritte es persönlich erreicht.
Du meinst, du würdest die Arbeitsweise der Forenschreiberinnen nicht kennen und nur aus ihren Beiträgen deine Rückschlüsse ziehen?
Stimmt. Du scheinst die Arbeit in unseren Schulen, unseren Einsatz und unseren täglichen Kampf nicht zu kennen.
Leider ziehst du meiner Meinung nach völlig falsche Rückschlüsse aus unseren Beiträgen.
Das hilft aber niemandem - höchstens dir in deiner Welt.
Wir bemühen uns nämlich täglich, alle SchülerInnen doch irgendwie ins Boot zu holen ... und sogar alle KollegInnen. Ich kann da nicht einfach die Augen zu machen und mich wegdrehen (Wo bleibt da die Inklusion?)
Wir regen uns hier so auf, weil wir durchaus die Realität um uns herum beurteilen können und Schule für uns und für die SchülerInnen nicht mehr gesund und lehrreich ist. Damit verliert Schule ihren Zweck ... und ich die Grundlage meines Berufs!
Wenn du es als "Veränderung der Arbeitsweise" deklarierst, dann empfinde ich das als Hohn.
Wenn du von deplazierten Erwachsenen in deinem Kollegium umgeben bist, dann nimm es doch als Aufgabe wahr. Nimm sie an die Hand. Erkläre ihnen den Sinn der Inklusion. Zeige ihnen die Wege, die möglich sind, statt sie zu ignorieren und auszuschließen und dir zu wünschen, sie wären kündbar.
Und auch von mir noch einmal:
Ich wehre mich nicht gegen die Inklusion als solche,
ich wehre mich gegen die Bedingungen, die dabei durchgesetzt werden,
die mit Inklusion nichts zu tun haben
und die schlichtweg in allen Bundesländern ein Sparkonzept auf Kosten der Menschen sind, die in Schule leben.
Und ja,
ich habe zur Zeit ein Stück weit resigniert:
Ich werde nicht gefragt,
die Politiker schieben die Definition der Bedingnungen immer weiter vor sich her, obwohl im nächsten Sommer flächendeckend für Niedersachsen die Umsetzung erfolgen soll (es sind noch Wahlen vorher!),
das was bekannt wird, zeugt davon, dass am bisherigen Sparkonzept noch weitere Verschlechterungen oder schlichtweg keine Festlegungen erfolgen sollen, so dass am Ende niemand einen Anspruch auf angemessene Förderung durchsetzen kann.
... Bevor diese Hausaufgaben nicht gemacht sind, mache ich nichts mehr. Ich warte ab.
Und ich mühe mich mit den 75%, die zur Zeit wirklich in einer unserer Klassen sitzen. Das ist ohnehin mehr Arbeit, als für einen alleine zu schaffen wäre.
Palim
Nachtrag:
Im übrigen wehre ich mich weiter gegen die Darstellung, LehrerInnen seien faul oder unfähirg und wollten die Inklusion nicht, weil sie Mehrarbeit bedeuten würde.
Diese Darstellung zeugt von Unwissenheit über den Schulalltag und den LehrerInnenberuf und ich hoffe, Lehrer und LehrerInnen, Pädagogen und Pädagoginnen sowie Eltern, die die Beiträge in diesem Forum mitverfolgen, machen sich darüber ein eigenes eingehendes Bild, bevor sie Vorurteile in die Welt verbreiten! |
| Auch hier | | von: klexel
erstellt: 03.10.2012 19:59:18 geändert: 03.10.2012 20:00:14 |
kann ich palim nur absolut zustimmen.
Ich hatte auf S. 29 einen Link gesetzt. Den darin enthaltenen Brief einer Kollegin einer Regelschule möchte ich hier noch einmal direkt einfügen (anklicken geht leider nicht)
"Ich habe in den 80er Jahren für das Lehramt an Gymnasien studiert und unterrichte nunmehr seit 12 Jahren an einer Realschule die Fächer Deutsch und Englisch.
Seit vor ein paar Jahren die Schulleitung und die politischen Vorgaben gewechselt haben, wird unser Arbeitsalltag immer unerträglicher. Die Zeiten, in denen wir Unterrichtsreihen zusammen konzipiert haben, nach dem Unterricht im Lehrerzimmer noch ein Schwätzchen gehalten haben, sind längst vorbei. Früher wurden Kollegen, die trotz Erkältung in die Schule kamen, nicht für Vertretung eingesetzt, heute wird in Ausfallstunden vertreten, auch wenn die Gruppe nur aus drei Schülern besteht.
So haben sich die Rahmenbedingungen verändert. Auch die Schülerschaft verändert sich zunehmend; zur Zeit habe ich eine 5. Klasse mit 85% Migrationshintergrund, darunter 3x ADHS, 2x LRS, 1x drogenabhängige Eltern und den restlichen Kindern mit Defiziten im Sozialverhalten, in der Sprache und im Lernverhalten. Eine ganz „normale“ Eingangsklasse mit 30 Schülern.
Das ist also der normale tägliche Wahnsinn, der bis jetzt irgendwie ging.
Nun habe ich die Situation, dass ich eine 7.Klasse im Deutschunterricht bekommen habe, in der ein Junge mit Asperger Syndrom und ADHS sitzt. Dieser Junge steht unter Ritalin, das aber nicht in jeder Stunde wirkt und nur das ADHS abdämpft. Er ist nicht in der Lage Empathie zu empfinden, stört permanent, provoziert und benötigt ständige Ansprache und Kontrolle, sonst vergisst er, was er machen soll. Nach über 10 Wochenstunden (6x Vertretung) in dieser Klasse habe ich die Tipps der Kollegen, die diesen Jungen schon erlebt hatten, nach dem "try and error" - Prinzip angewendet. Ignoriere ich seine Störungen, dann schreit er: „Sie ignorieren mich.“, gebe ich ihm klare Anweisungen, dann diskutiert er, warum er dies machen solle, er sehe darin keinen Sinn.
Wenn ich z.B. einen Balladenvortrag von der CD abspielen lasse, macht er breakdance. Bitte ich ihn aufzuhören, will er gehen, denn ich habe ihm ja gesagt, er solle aufhören. Die übrigen Schüler reagieren unterschiedlich, mal lachen sie sich kaputt, mal kommt die Aufforderung sein Verhalten einzustellen von den Mitschülern, mal verstärken sie seine Lachnummern, in allen Fällen zerschießt es mir den Unterricht. Ein Sonderpädagoge, der stundenweise zur Verfügung steht, hat mir, mal schnell auf dem Flur, erklärt, dass der Junge nicht verletzen will, dass er alles wörtlich nimmt (Ich mache Balladen!?), dass ich sein Verhalten direkt mit ihm vor der Tür reflektieren solle, die anderen 28 könne ich ja still beschäftigen. Er empfahl wahlweise auch Klassengespräche und dazu ständige Kontrollen, ob er sich an Arbeitsaufträge hält - ich solle Verständnis haben.
Nach 2 Wochen Schule bin ich nachmittags so fertig, dass ich nur noch stumpfsinnige Arbeiten erledigen kann, ich habe keine Nerven mehr, wenn meine Kinder ein Problem haben und ich denke mit Horror daran, dass die Zeiten, in denen sich die Klassenarbeitshefte von 4 Deutschklassen an den Wochenenden hier türmen, noch nicht da sind..."
Ich glaube, das spricht für sich... |
| Natürlich | | von: klexel
erstellt: 04.10.2012 13:22:41 |
erfordern die bevorstehenden Veränderungen in der Schullandschaft (Oberschule in Nds) gewaltiges Engagement und Umstellung bei allen Beteiligten. Das ist uns allen bewusst.
Die Veränderungen jedoch, die die bevorstehende Inklusion mit sich zieht, sind viel einschneidender, da alles ungeklärt ist, die Veränderung übers Knie gebrochen wurde, die betroffenen Kollegen zu wenig informiert und geschult sind, diese auch größtenteils jetzt schon überfordert sind, die äußeren Bedingungen dafür noch lange nicht stimmen werden, die personelle Versorgung weit davon entfernt ist, für die betroffenen SuS optimal zu sein etc.
Schüler aus HS und RS zusammen zu unterrichten ist dagegen ein Klacks. Das ist für niemanden eine Bedrohung - ganz im Gegensatz zur Inklusion. Argumente s.o.
Bei dieser ganzen Diskutiererei hier im forum wird mir immer deutlicher, dass du offensichtlich nicht die geringste Ahnung hast von unserer täglichen Arbeit - genausowenig, wie ich beurteilen kann, wie Sonderpädagogen genau arbeiten.
Ich käme nie auf die Idee, eure Arbeit zu beurteilen, zu kritisieren oder gar verbal um mich zu schlagen, wenn es um eure Arbeit geht.
Warum gelingt es dir nicht, einfach mal unsere Arbeit und unser Engagement zu würdigen und unsere Ängste und Bedenken zu akzeptieren???
Wenn plötzlich "normale" Lehrer die Leistungen erbringen können sollen, die studierte ausgebildete Sonderschullehrer leisten, dann ist doch eure gesamte Arbeit ad absurdum geführt. Kann doch jeder, ist doch nix dabei... Das bisschen Förderung und Betreuung von Förderschülern machen wir doch alle so nebenbei.
Würdest du denn auch mal eben so ohne Hilfe und Vorbereitung in der SEKII Französisch unterrichten oder Chemie?? Das würde dir doch sicher auch Magenschmerzen verursachen.
Aber all das wurde in den vorstehenden Beiträgen schon mehrfach deutlich gemacht und muss hier nicht wiederholt werden.
So wie du eingestellt bist, wirst du "unsere" Hilflosigkeiten und Unsicherheiten nicht mildern - sondern nur noch mehr Wut auf Leute wie dich produzieren.
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| @sonpaed | | von: ishaa
erstellt: 04.10.2012 18:21:07 |
ist die behauptung nicht nahe liegend, dass sich anhand der inklusionsdebatte
ein generelles überforderungsgefühl und damit verbundene unzufriedenheit
bahn schlägt?
dass die inklusiondebatte, als deutlichst sichtbare und letzte systemveränderung
mit all den schon lange schwelende frustrationen, quasi als blitzableiter
fungiert?
dass darüber vergessen wird, die auch ohne inklusion anstehenden
veränderungen (schulschließungen in folge des demografischen faktors, sterben
der haupt- und realschulen etc.) zu sehen?
Da bestehen schon Zusammenhänge, aber meines Erachtens andere, als du siehst. Die Veränderungen wie z.B. das Sterben der Hauptschulen sehen und erleben wir auf dem Land ja schon seit einigen Jahren hautnah, von Vergessen kann da keine Rede sein. Niemand, der z.B. vor drei Jahren Deutsch im 5. Schuljahr unterrichtet hat, kann noch irgendetwas von dem damaligen Material gebrauchen. Wir haben uns in die immense Arbeit gestürzt, unseren Unterricht auf die jetzt viel schwächere Schülerklientel abzustellen (zur hauptschule geht nur noch, wer gar nirgendwo anders hinkann). Statt zwei Klassen mit 22 Schülern haben wir halt nur noch eine, die aber dann mit bis zu 30 Schülern.
Ich habe mir über die Jahre ein gutes Methodenrepertoir zu kooperativen Lernformen zugelegt, das ich jetzt ad acta legen kann. Gruppenarbeit mit 28 Schülern in einem Raum ist schwierig, in zwei Räumen kann ich es nicht mehr machen, weil es eine meiner Aufgaben ist, darauf zu achten, dass Schüler und Klassenräume heile bleiben.Mal abgesehen von den schon erwähnten Schwierigkeiten , die Schüler mit sozial-emotionalem Förderbedarf (ob nun bescheinigt oder nicht) mit solchen Arbeitsformen haben.
Mitten in diesen arbeitsaufwändigen Prozess kommt dann "mal eben" noch die Inklusion. Die halt so aussieht, dass wir in Klasse 5 Förderschüler aufnehmen, ein Förderpädagoge in vielen Stunden dabei ist, aber keiner so recht weiß, wie das jetzt alles laufen soll. Wir arbeiten Tür an Tür mit einer Förderschule, und wir arbeiten miteinander. Das hat bisher super funktioniert; Schüler werden auch mal zur Probe von dem einen in das andere System geschickt, um zu schauen, was besser passt. Und nicht wenige unserer Schüler, die eine Zeit lang nebenan waren, bekamen dort die Betreuung und Förderung, die wir einfach nicht leisten können (ja, ich weiß, du meinst, wir könnten schon und wollen nur nicht...), die kommen zurück und machen bei uns einen oft gar nicht mal so schlechten Abschluss.
Auch die Etablierung neuer Schulsysteme wie Sekundar- oder Gemeinschaftsschule (NRW) wird von einigen HS-Kollegen mit Sorge betrachtet. Ich würde sehr gerne in einem solchen System arbeiten. Aber es werden einige Hauptschulen im wahrsten Sinne des Wortes "übrig"bleiben. Und dahin wird man gerne diejenigen "abschulen", denen es aus den vilefältigsten Gründen nicht möglich ist, dort einen Abschluss zu erwerben. Wir sind dann richtige Förderschulen von den Bedürfnissen der Schüler her, ohne die nötigen Bedingungen.
Von genereller Überforderung kann man durchaus sprechen. Das Wort "gefühl" kann man weglassen. |
| Interessanter Thread | | von: klexel
erstellt: 16.10.2012 01:34:54 geändert: 16.10.2012 02:08:05 |
Vielleicht gibts ja noch Leute, die ihn noch nicht kennen.
Da hat ein(e) Förderschulkollege(in) (rotherstein, ist auch hier Mitglied)aus NRW über mehrere Seiten ein Inklusionstagebuch verfasst...
Das bestätigt vieles, was wir hier schon mal geäußert bzw. vermutet haben.
http://www.lehrerforen.de/index.php?page=Thread&threadID=34042 |
Beitrag (nur Mitglieder) |
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