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Forum: "Selbstmord einer Schülerin"
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 | auch bei uns |  | von: fuxl

erstellt: 24.02.2004 13:06:55 |
hat sich in diesem Schuljahr ein Schüler der zehnten Klasse das Leben genommen. Es war für uns alle unverständlich, er war unglaublich beliebt (er war auch Schülersprecher) und es deutete nichts darauf hin, dass so etwas passieren könnte. Bei uns gab es am nächsten Tag eine kleine Gedenkfeier in der Aula, bei der jeder Schüler die Möglichkeit bekam, unter einem Bild des Schülers eine Kerze anzuzünden.
Unsere Schüler haben sich in dieser schwierigen Situation gegenseitig sehr gestützt, sie haben viel miteinander gesprochen oder auch nur gemeinsam geschwiegen und sich auch in den Arm genommen und getröstet. In einer zehnten Klasse habe ich versucht, den Schülern eine Gelegenheit zu geben, ihre Gefühle auszudrücken (mit Plakaten und Stiften, also ohne dass man vor der ganzen Klasse was sagen musste), die Schüler wollten das aber nicht (vielleicht kam mein Angebot auch zu früh, einen Tag später hätten die Schüler sich vielleicht leichter äußern können) Mit mir als Lehrer wollte niemand darüber sprechen (lag aber vielleicht auch ein bischen daran, dass ich erst seit zwei Monaten an der Schule war und noch ein etwas distanzierteres Verhältnis zu meinen Schülern hatte). Wichtig war mir, den Schülern zu vermitteln, dass es mir wichtig ist, ihnen Freiräume zu geben, um mit der Situation so umzugehen, wie es für sie das beste ist. Das heißt, sie durften in meinen Stunden auch zu zweit in die Aula zu dem Bild und den Kerzen oder auch hinaus an die Luft gehen, wenn es ihnen im Klassenzimmer zu unerträglich wurde. Noten hab ich in dieser Zeit zumindest in den oberen Klassen keine gemacht (die 6. und 7.Klässler kannten den Schüler wohl kaum und schienen zumindest nach dem ersten Schock nicht mehr sehr berührt zu sein), und ich hab auch niemanden durch gezieltes Aufrufen zur Mitarbeit gezwungen. Ansonsten habe aber auch ich sehr bald wieder mit "normalem" Unterricht begonnen, damit ein kleines Stück Normalität zurückkommt.
Bei den "Kleinen", die nicht ganz so persönlich betroffen waren, haben wir versucht, nicht den Selbstmord in den Mittelpunkt zu stellen, sondern Alternativen aufzuzeigen, wie man mit schwierigen Situationen umgehen kann. Die Religionslehrer hatten zu dem Thema ein Spiel, bei dem es Karten mit verschiedenen Möglichkeiten gibt, was man machen kann, wenn es einem schlecht geht (z.B. "beten", "mit Freunden reden", "mein Haustier quälen"). Die Kinder sollten diese Karten auf verschiedene Stapel ordnen ("das könnte helfen", "das würde ich tun", "das würde ich nicht tun") und sich anschließend selbst Möglichkeiten überlegen, was man sonst noch machen könnte.
Fuxl |
 | Gerüchte |  | von: fuxl

erstellt: 24.02.2004 16:08:48 |
gibt es in solchen Situationen natürlich immer, das war bei uns natürlich auch so (und nicht nur unter den Schülern, auch im Lehrerkollegium), weil einige schreckliche Fragen im Raum stehen. Warum habe ich nix gemerkt? Hätte ich es verhindern können? Aber ich glaube, Ihr solltet Euch jetzt weder selbst noch gegenseitig die Schuld zuschieben, man kann in den Kopf eines anderen nicht hineinschauen und so eine Tat nicht vorhersehen, selbst wenn es Anzeichen gegeben haben sollte. Wichtig ist sicher, sich zu überlegen, was in Zukunft anders laufen muss, aber man wird nie sicher sein können, dass so etwas nicht passieren kann. Schon allein, weil man keine Freundschaften herbeizwingen kann, man kann sicher versuchen, Voraussetzungen für ein gutes Schulklima zu schaffen, aber ich fürchte, Außenseiter die kaum Freunde haben wird es immer geben.
Also: In dieser schwierigen Situation und überhaupt in Zukunft die Augen offenhalten und darauf achten, wie´s den Leuten um einen rum so geht, aber sich keine Vorwürfe machen für das was jetzt nun mal passiert ist und nicht mehr geändert werden kann (auch das haben wir mit den Schülern thematisiert). Aber das ist sicher leichter geschrieben als getan (ich ärgere mich zur Zeit immer wieder über mich, weil ich merke dass ich überhaupt keine Energie dafür habe, mich dafür zu interessieren, was mit den Leuten in meinem Umfeld grad so los ist).
Gruß
Fuxl |
 | Wie fühlt man sich als Schüler? |  | von: poni

erstellt: 25.02.2004 08:41:48 |
Wer von uns Erwachsenen kann sich noch wirklich daran erinnern, wie wir uns als Schüler oder Schülerin gefühlt haben? Negative Erinnerungen verblassen und die positiven erhalten Anekdotencharakter. Gerade aber das Hineinversetzen in die uns als Lehrer anvertrauten Kinder ist doch aber die wichtigste Fähigkeit, die wir haben müssen.
Mir geht es momentan wie einem Schüler und ich kann dadurch so vieles begreifen, was mir vorher nicht so bewusst war. Ich habs zwar geahnt oder mir vorstellen können, aber wie heftig dieses Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins werden kann, war mir nicht klar. Weil ich meine Arbeit in der Schule und im Unterricht intensivst überdenke, viel lese und beobachte, Neues ausprobiere ... bin ich (wie viele andere heutzutage auch) zu der Überzeugung gekommen, dass wirkliches Lernen in der Schule, wie wir sie machen müssen, nicht oder nicht gut funktionieren kann. Wenn ich etwas begriffen habe, muss ich Konsequenzen ziehen, also habe ich mich vom normalen Unterrichten entfernt zugunsten einer freieren Arbeitsweise für die Schüler und für mich auch und habe dadurch Dinge erlebt, die ich sonst nie gesehen oder gehört hätte. Allerdings sind mir auch die Schwächen und Probleme einer anderen Art des Umgangs miteinander aufgefallen, was wiederum Stoff zum Nachdenken gab und neue Ideen hervorrief.
Voller Freude und Elan habe ich nun versucht, dieses Erleben weiterzugeben und anderen mitzuteilen, und siehe da, Anerkennung oder wenigstens Neugierde und Interesse bei denen, die für das Lernen an höherer Stelle verantwortlich sind, gibt es nicht, sondern Schelte. Dabei reden die Verantwortlichen von Veränderungen und anderen Arten des Lernens und organisieren auch noch Fortbildungen, in denen man die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Vorgänge beim Lernen und in der Entwicklung erfährt. Nun soll das auf einmal doch wieder nicht für uns gelten, sondern nur die gesetzlichen Vorschriften, die jahrzehnte alten Vorgaben, die auch damals schon nicht richtig waren, nur hat es niemand gemerkt.
Da sitze ich wie ein begossener Pudel auf der Armesünderbank und frage mich, warum die da oben mich einfach nicht verstehen wollen oder können. Wie sollen diese dann begreifen, was in Schülern vorgeht, wenn sie noch nicht einmal kapieren, welche Gedanken ich mir mache und zu welchen Ergebnissen ich bis jetzt dadurch gekommen bin.
Da reiche ich ein Konzept ein und erwarte wenigstens einen Kommentar, stattdessen werden mir Dinge vorgehalten, die vor Jahren geschehen sind und die man auch damals nicht richtig hat einordnen können. Ich habe seit dem Anfang meiner Tätigkeit irgendein Image, das ich nicht entkräften kann und dem ich nie mehr entkomme, da kann ich mich auch noch so verändert und weiterentwickelt haben, es wird nicht zur Kenntnis genommen.
Ein Gefühl der Ohnmacht und der Verzweiflung steigt in mir hoch. Jetzt kann ich auf einmal am eigenen Leib spüren, wie elend man sich dabei fühlt, so hilflos, so ungerecht behandelt, so hoffnungslos. Sehen die denn nicht, welche Möglichkeiten sich auftun, wenn sie sich nur mal kurz auf deinen Gedanken einlassen würden? Können sie das nicht sehen oder wollen sie es nicht? Ich kann mich nicht verständlich machen, alles Reden hat keinen Zweck, ich erreiche meine Gegenüber nicht. Es sind zwei Welten.
Ich stelle mir vor, wie ein Schüler auf seinen Lehrer zugeht, ihm etwas zeigt oder ihm etwas berichtet, was er herausgefunden hat, z.B. einen anderen Lösungsweg oder eine einfachere Variante einer Erklärung. Erwartet ein wenig Anerkennung und wird stattdessen fertig gemacht, in die Schranken verwiesen und vielleicht bekommt er auch noch ein schlechtes Gewissen eingeredet, weil er nicht so ist wie die anderen (angepassten). Was soll das?
Damit stirbt jede Eigeninitiative, jede Lust an der Erkenntnis, am Forschen, am Nachdenken...
Dann werde ich überprüft. Vor lauter Befürchtungen, was sie mit mir anstellen werden, versuche ich es so zu machen, wie sie es sehen wollen, aber das funktioniert nicht mehr. Ich hab schon zu viel gelernt, als dass ich in meine alten Fehler zurückfallen möchte. Ich erlebe Prüfungsangst vom feinsten, Lampenfieber vor einem Konzert ist nichts dagegen. Natürlich mache ich Fehler, aus welcher Warte auch immer gesehen. Nun soll ich wieder lernen, das alte abgelegte Verfahren anzuwenden, alles in mir schreit nein! Und Hilfe!!
Man setzt mich unter Druck, arbeitet mit der Angst vor dem Verlieren der Existenzgrundlage.
Man hat mich gewarnt vor den Problemen, die es geben wird, wenn ich mich gegen die überlieferten Strukturen stelle, dass es so heftig und dazu so dumm werden wird, konnte ich nicht ahnen. Bis jetzt habe ich aber alles überstanden, weil ich davon überzeugt bin, dass ich mich für das Richtige einsetze. Dabei lerne ich viel, lerne die Leute kennen, die das System vertreten (müssen?), lerne ihre Art zu denken besser kennen, entdecke Widersprüche und Probleme auch bei ihnen, begreife, wie ich zur Strecke gebracht werden soll, dass es persönliche und nicht so sehr fachliche oder sachliche Gründe sind, die meiner Abstrafung zugrunde liegen. Ein Kind, ein Jugendlicher wird so etwas noch nicht begreifen können. Junge Menschen nehmen Schaden an ihrer Seele, wenn ihnen so etwas widerfährt. Wohl denen, die ein gutes Zuhause haben, Menschen, auf die sie sich verlassen können, die ihnen bei der Bewältigung solcher Lebenskrisen helfen. Aber für diejenigen, denen dies nicht vergönnt ist, wird es schwer auszuhalten, durchzuhalten....
und ich wundere mich gar nicht mehr darüber, dass manch einer dann zur Waffe greift und das vernichten will, was ihn vernichtet, letztlich sich selbst in seiner Ohnmacht.
Es leben Bomben unter uns, man muss sie umarmen, damit sie nicht explodieren. (F.Ani)
Das Schlimme ist, wir haben diese Bomben erst dazu gemacht!!!
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