Ich hätte da noch ein paar Fragen:
Du behauptest, offener Unterricht werde seit 40 Jahren erprobt und würde den Schülern nicht helfen. Es ist mir nicht deutlich, auf welche Veröffentlichungen du dich beziehst. PISA, TIMSS, IGLU? Wie beurteilst du diese Vorzüge oder Nachteile?.
Dass in den letzten 40 Jahren vielleicht noch manch anderes verändert wurde oder im Wandel ist, erkennst du an, wenn du selbst die Stundentafeln in den Blick nimmst. Was ist mit der Lehrer-Schüler-Relation, mit den veränderten Bedingungen für Kinder im vorschulischen und schulischen Alter sowie danach?
Du gehst offensichtlich davon aus, dass in den Grundschulen oder auch darüber hinaus überall und ständig offene Unterrichtsformen vorherrschen. Geh doch bitte mal in mehrere Schulen und schau dich in den Klassenräumen um. Meinst du, in Klassenräumen ohne Material und mit kahlen Wänden herrscht ein munteres Treiben, steter Projektunterricht und jeder tut, wonach ihm der Sinn steht?
Sicherlich, es gibt Schulen, die sich sehr darum bemühen, Methodenvielfalt zu nutzen und auch solche LehrerInnen, die offen arbeiten. Es gibt aber auch viele, die dies nicht tun und bei denen der frontale Schulbuchunterricht sich in den letzten 30 Jahren nicht gewandelt hat bzw. LehrerInnen, die von MentorInnen oder KollegInnen solchen Unterricht übernommen haben.
Diejenigen, die hier offene Formen propagieren, sprechen häufig so deutlich, weil sie andere von einem anderen Weg überzeugen möchten ... oder zumindest davon, sich erst einmal auf den Weg zu machen, wirklich effiziente und effektive Formen auszuprobieren ... auch wenn sie zunächst oder von außen als zeitliche Verschwendung der heilloses Chaos wirken mögen. Zusätzlich zu den Inhalten der Fächer werden wichtige Fertigkeiten und Fähigkeiten gefördert, die die Schüler für das Lernen nutzen können und die sie in ihrer Persönlichkeit stärken. Und ich frage mich – oder auch dich – wie man die Effektivität dabei denn beurteilt.
Dass du der Grundschule Planlos-ziellos-Methodenvielerlei unterstellst, finde ich reichlich maßlos. Es geht nicht darum, bunten Methodenmix mal hier mal da einzusetzen. Es geht darum, den Schülern das Lernen beizubringen und dies wird nicht erst im Studium gebraucht, sondern bereits viel früher.
Offene Formen und Anleitungen, die das Lernen als Thema haben bzw. Lernformen vermitteln, zollen auch den Schülern Respekt, die nicht die häusliche Unterstützung finden und selbst (noch) nicht eigenständig lernen und üben können.
Du schreibst, in Klassen mit Methodenvielfalt wäre das Niveau abgesunken – im Vergleich zu gut geführten Klassen. Ich spreche mich entschieden dagegen aus, dass Klassen, die vielerlei Arbeitsformen beherrschen, nicht gut geführt seien. Mit einem wilden Haufen Schüler würde ich keine besonders offenen Formen beginnen – gerade für offene Unterrichtsformen sind Regeln und Absprachen besonders wichtig ... und sei es der von rolf so oft schon genannte Satz: „Keiner stört jemand anderen beim Lernen“, der, wie ich in den letzten Wochen gemerkt habe, fast immer passt
Das gewaltige Argument der Klassenführung ... das musst du noch ausführen. Warum ist es nicht mit offenem Unterricht vereinbar?
Dass an Universitäten neuere Formen keinen Einzug halten, finde ich eher ärgerlich. Dennoch gibt es - zumindest an den Universitäten, an denen ich StudentInnen kenne oder kannte – durchaus DozentInnen und auch ProfessorInnen, die ganz andere Formen kennen als 2stündige VorLESUNGEN aus Scripten, die sich jeder selbst durchlesen kann – im eigenen Tempo, einer bequemen Haltung und mit viel Platz, sich auszubreiten, parallel zu lesen, zwischendurch andere Meinungen einzuholen etc.
Eine Professorin stellte zu Beginn meines Studiums dar, dass die StudentInnen erfolgreich seine, die häufig in der Bibliothek wären und in aktuellen Zeitschriften lesen würden – Wie Recht sie hatte! Für das Lehrerdasein ist es hervorragend, wenn man schon zu Studienzeiten die Gewohnheit ausbildet, Aktuelles in Fachzeitschriften zu lesen. Diese Angewohnheit ist nämlich nachhaltig. Viel nachhaltiger als das lange Sitzen in endlosen Vorlesungen.
Innovative Seminare mit außeruniversitären Lernorten, mit Projekten und Präsentationen waren wahrlich nicht sehr häufig. Auch hier kann man fragen, warum die frontale Form von Professoren bevorzugt wird.
Manche lasen zum x-ten Mal das Script zur Einführung in irgendein Fach vor, andere ihre aktuelle Arbeit ... die sie anschließend veröffentlichten. Und dann gab es noch Professoren, die als Einführungsveranstaltung geballtes Fachwissen lasen, so dass Erstsemester eher verschreckt waren. Script? Fehlanzeige, gab es nicht. Sollten die Studierenden doch bitte besser aufpassen. Kann das Lernen sein? Oder ist das Lehre, die effektiv ist und zu guten Abschlüssen führt?
Es ist auch so, dass manche Studierende diese Seminare nicht wählen, gerade weil diese Arbeitsformen eine intensive Auseinandersetzung fordern und das selbstständige Aneignen von Inhalten ... etwas, was ihnen schlichtweg zu anstrengend ist.
Sicherlich sind manche von uns auch im Studium noch nicht weit genug im eigenständigen Lernen. Diese sind abhängig von straff organisierten Tagesabläufen, da sie nie gelernt haben, sich selbstständig zu organisieren, sich Inhalte anzulesen um sie dann in kleinen Lerngruppen zu diskutieren, weiterzudenken, neue Fragen zu entwickeln. Es wäre wünschenswert, wenn diese Studierenden es noch lernen, bevor sie einen universitären Abschluss erlangen.
„...Gegenwärtig erzeugt man dies nicht, sondern es werden Kinder erzogen, die weder vernünftig lernen können, noch über einen akzeptablen Wissensstand verfügen....“ schreibst du. Da bin ich wirklich beruhigt, dass du wenigstens die Erziehungsleistung anerkennst.
Palim