den Seiten- oder Quereinstieg als gewaltige Chance für das Schulsystem, und nicht als Bedrohung.
Ich bin selber Seiteneinsteiger. Mein Diplom und die anschließende Promotion bilden meine fachwissenschaftliche Basis. Da kann ein Lehramtsstudium mithalten, es ist ja auch ziemlich fachwissenschaftlich ausgerichtet.
Meine 5-jährige Tätigkeit in der freien Wirtschaft hat mich jede Menge Menschenkenntnis, Menschenführung, Frustrationstoleranz und das Arbeiten nach Zielen gelehrt. Ich glaube kaum, dass der pädagogische Teil des Lehramtsstudiums auch nur ansatzweise irgend etwas davon vermitteln kann - wenn man aktuelle Refs so fragt, fühlen die sich durch ihr Studium kaum für den echten Kontakt mit Schülern vorbereitet.
Meine Kenntnisse in Pädagogik und Didaktik habe ich in einem 1,5-jährigen Vorbereitungsdienst erlernt. Das meiste davon als "learning by doing", denn als Seiteneinsteiger wird man oft ziemlich allein gelassen. Ich hatte zwar sehr gute Ausbilder in den Fachseminaren, die mir eine Menge beibringen konnten, aber umsetzen musste ich es so ziemlich alleine, da mir durch mein volles Deputat kaum Zeit blieb, um mal zu hospitieren. Lediglich bei sporadischen Besuchen oder den obligatorischen Lehrproben bekam ich mal direkte Rückmeldung. Ein allgemeines Seminar (Pädagogik, Didaktik, Schulrecht, Schulorganisation, Beamtenrecht...) fand in meiner Ausbildung so gut wie nicht statt, nur im ersten Halbjahr gab's mal alle 14-21 Tage eine Sitzung von 1,5h Länge. Trotzdem fühle ich mich gut ausgerüstet, um meinen neuen Beruf ausüben zu können. Seit 3 Jahren arbeite ich nun als verbeamteter Lehrer und fühle mich pudelwohl dabei.
Macht mich das jetzt insgesamt zu einem besseren Lehrer? Sicher nicht. Ich bin aber der Meinung, dass eine Schule stark davon profitieren kann, wenn sie nicht nur pädagogische Inzucht betreibt, sondern immer wieder mal gezielt Leute außerhalb des Biotops Schule/Uni heranzieht, um mal neue Ansichten, neue Arbeitsweisen und neue Arten zu Denken kennen zu lernen. Die gute Mischung aus altbewährten Methoden und neuen Ideen ist es, die - wie überall - den größten Gewinn bringt.
Nur ein kleines Beispiel - die allseits "beliebte" Qualitätssicherung, bei uns in RLP "AQS" genannt. Im Vorfeld war ich bei uns an der Schule immer der, der eine Lanze fürs Qualitätsmanagement brach. Ich kannte das aus der Firma, für die ich gearbeitet hatte und wusste, dass QM einen Betrieb ganz schön ins Schwitzen, aber auch produktiv voran bringen konnte. Ich hatte selber auch QM-Projekte geleitet, und dabei Arbeitsprozesse unter Einbindung aller Beteiligten verbessert. Was ich dann an der Schule erlebte, war hanebüchener Unsinn. Dieses irrsinnige Verwaltungsmonster namens AQS bingt in etwa so viel Qualität an die Schulen, wie ein Zitronenfalter Zitronen faltet. Warum? Anstatt Profis aus dem Qualitätsmanagement anzuheuern, die etwas davon verstehen, wurden völlige Laien herangezogen, die das irgendwie autodidaktisch versucht haben, durchzuziehen. Dadurch, dass man Lehrer ist und beim Ministerium arbeitet, ist man halt doch nicht für alles qualifiziert.
Die Datenerhebung war mehr als nur fragwürdig und technisch bis zur Lächerlichkeit unausgereift. Die Auswertung würde jedem gelernten Statistiker die Zornesröte ins Gesicht treiben. Die daraus abgeleiteten "Qualitätsziele" hätten bei jedem Profi nur ein müdes Schmunzeln hervorgerufen, vielleicht auch noch einen Anruf beim Controlling, dass hier massiv Gelder verschwendet werden. Ob diese "Ziele" dann jemals überprüft werden, steht auch noch in den Sternen, im Schulalltag bekomme ich jedenfalls nichts davon mit, dass irgend etwas unternommen wird, um sie zu erfüllen. Warum auch... jede Minute, die darauf verwendet werden würde, wäre sowieso verschwendet.
Ein anderes Beispiel aus dem Schulalltag: Die Planung von kleineren oder größeren Projekten wird oft recht kopf- und ziellos angegangen. Die Folge ist viel mehr Arbeit, als eigentlich nötig wäre. Hier konnte ich schon mehrfach meine Erfahrungen als Projektmanager einbringen, was an meiner Schule auch gerne angenommen wurde.
P.S.: Ich war sehr erfolgreich in meinem Beruf und habe finanziell durch den Seiteneinstieg Einbußen erlitten, also hört bitte auf, Seiteneinsteiger als geldgeile Versager abzustempeln. Das ist in den meisten Fällen nicht zutreffend und es verletzt die so Abgeurteilten. Danke.
P.P.S.: Vielleicht habe ich an meiner Schule einfach nur Glück gehabt, aber bei uns arbeiten Beamte, Angestellte, Vertretungen und gering qualifizierte Aushilfen relativ harmonisch miteinander, ohne ständig gelb vor Neid dem anderen aufs Konto zu schielen.