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Forum: "AUA! - Diese Schüler sind unsere Zukunft? Teil I"
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| da denke ich zurück | | von: rhauda
erstellt: 11.07.2006 18:24:34 geändert: 11.07.2006 18:26:36 |
an die Zeit, wo meine Mutter, wenn mir die Schuhe zu klein waren sagte: "Kannst du die Zehen noch 2 Wochen zusammenkneifen, dann können wir neue kaufen."
Oder die Tatsache, dass es Limonade oder Malzbier immer nur bei meiner Oma gab. Bei uns wurde gespart, damit genug dafür übrig war, unser kleines Haus zu bezahlen, oder die Schulbücher.
Meine Mutter war mit 14 Jahren Vollwaise in der Nachkriegszeit, der Vater meines Vaters konnte nur etwas lesen und seinen Namen schreiben.
Das Ziel war, die Familie in bessere Verhältnisse zu bringen. Dafür wurden viele Opfer gebracht und ich bin meiner Mutter heute noch dankbar dafür, dass sie auf den Knien bei anderen Leuten schrubbend zugebracht hat, um uns den Besuch des Gymnasiums zu ermöglichen.
Bei allem Verständnis für soziale Probleme in Familien: wo bleibt der Wunsch, für ein besseres Leben auch zu arbeiten, auch unangenehme Dinge in Kauf zu nehmen, auch auf etwas Anderes zu verzichten?
Bibliotheken sind frei. Die Schule macht Angebote.
Es gibt gesponsorte Freizeiten. Auch im Fernsehen gibt es sinnvolle Sachen zu sehen. Bücher kann man leihen oder auf dem Flohmarkt kaufen. Der Schulbesuch ist kostenlos. Klassenfahrten zahlt das Sozialamt.
dies sind nur einige wenige Beispiele. Natürlich ist es immer schwieriger, erfolgreich zu sein, wenn die Voraussetzungen so ungleich sind. Das heißt aber nicht, dass man von vorherein aufgeben muss.
Ich befürchte, dass langfristig diese Bedienungs- und Berieselungsmentalität unsere sozialen Sicherungssysteme derart aushebeln wird, dass keine Mittel mehr da sein werden, um denen zu helfen, die es wirklich nötig haben.
Langsam habe ich auch keine Lust mehr darauf zu sehen, was ich am Monatsende für Abzüge habe bei einer vollen Stelle, um dann zu beobachten, wie die gleichen Kids, die in der Schule nur Theater machen und keinen Bock haben zu nichts die mit Steuergeldern finanzierten Nachhilfeangebote und Jugendfreizeitangebote, durch die sie eigentlich unterstützt werden sollten, auch noch sabotieren.
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| nein! | | von: rhauda
erstellt: 11.07.2006 19:56:18 |
Damals war es nicht so. Ich bin Jahrgang 62, habe also die richtig wilde 68er Zeit gar nicht mitgemacht. Allerdings gab es auch in meiner Schulzeit Anti-AKW Demos und die grüne Bewegegung, etc.
Die 68er waren hochpolitisch und hatten sehr wohl eine Vision davon, wie die Gesellschaft auszusehen habe.
Auch in den 70ern und 80ern zielten all die Protest-Aktivitäten darauf ab, in der Gruppe auch etwas zu bewegen, die Gesellschaft zu ändern.
Jugendliche warem Mitglieder von Bürgerinitiativen und die Grünen waren eine Partei voller junger Leute.
Auch wenn Vieles unter "Modeerscheinung" abgetan werden kann, bleibt doch, dass es dort um Ziele ging.
Man wollte etwas verändern und hat sich dafür eingesetzt.
Zurück zum Ausgangsthema: es wurde gesagt, dass die Probleme, die wir am Anfang des threads identifiziert haben, auch auf Perspektivlosigkeit zurückzuführen sind.
Ich habe versucht, das zu relativieren und Beispiele genannt.
Ich bin der Meinung, dass man Perspektivlosigkeit auch durch Eigenverschulden hervorrufen oder verstärken kann.
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| muss dir rechtgeben | | von: balou46
erstellt: 11.07.2006 20:22:42 |
was das Eigenverschulden angeht. Allerdings ist es doch auch "typisch deutsch" auf einem recht hohen Niveau zu jammern, also eine gewisse Vorbildfunktion ist schon von den älteren da.
Zu deiner Meinung, was die 68er betrifft: in den geisteswissenschaftlichen Bereichen war es teilweise so, wie du es schilderst. Den meisten war das aber relativ wurscht, sie liefen nur hinterher und fanden es gut, es denen da oben mal zu zeigen. So wie heute auch. Nur Arbeit war damals nicht unmodern: es war die Zeit, als Deutschland noch jede Menge "Gastarbeiter" holte. Insofern war die Perspektive besser.
Nur ist es heute ungleich problematischer, wenn wöchentlich Großunternehmen ankündigen, Jobs ins Ausland zu verlagern. Wir haben jetzt (Zahlen unseres Landkreises von letzter Woche) am Jahresende noch ca. 20% unserer Realschulabgänger ohne Lehrstelle, und ca. 40% gehen in eine weiterführende Schule, oft nur, um ein Jahr zu "parken". Ist das die eigenverschuldete Perspektivlosigkeit?
Es hilft nicht, den Jugendlichen die Schuld zuzuschieben, es geht ja nur um ihre Zukunft.
Natürlich ärgere ich mich, wenn der geringste Transfer von Mathe in die Wirklichkeit nicht klappt. Aber ich habe auch Schüler, die fahren Moped, tunen und frisieren es, und wissen dann in der Klassenarbeit nicht mal, welchen Sprit ein Zweitakter braucht. Hast du einen Ansatz, wie man das ändern könnte? Ich wäre glücklich drüber, wenn ich einen hätte. Und da finde ich auch nichts zwingendes bei Klippert & Co.
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| Früher war alles besser | | von: rwx
erstellt: 11.07.2006 21:09:24 |
ich versteh nicht, was diese früher war als besser Vergleiche sollen. Bzw. warum ignoriert wird, dass die Ausgangslage eine ganz andere war. Die Menschen haben von null angefangen, man konnte etwas aufbauen, weil es viel aufzubauen gab. Es gab das Wirtschaftswunder. Heute ist alles verteilt und an der Verteilung ändert sich nichts. Wieso soll ich massig in eine Rentenkasse einzahlen, aus der ich keine Auszahlungen mehr sehen werden. Klar, es ist ein Generationsvertrag, nur die Generation die heute von den Renten profitiert, hat doch schon das Kapital und die Immobilien. Ich find den Spiegel-Artikel gerade nicht mehr, aber die Rentner im Deutschland liegen im Schnitt bei 80% ihrer vorherigen Bezüge.
Der nächste Punkt sind die total überzogenen, von der Wirtschaft diktierten Anforderungen. Mit einem Hauptschulabschluss kann Mensch heute höchstens Maurer werden. Realschule reicht wahrscheinlich auch schon nicht mehr für eine Banklehre und in Stellenanzeigen wird nur nach diplomierten Fünfundzwanzigjährigen mit Auslands- und mehrjähriger Berufserfahrung gesucht. Den wirklichen Stellenwert der Bildung vermag ich da nicht zu erkennen.
Die Perspektivenlosigkeit ist nicht selbstgemacht oder eingebildet, sie ist einfach Fakt! |
| Erweckung - aber wie? | | von: oblong
erstellt: 11.07.2006 21:20:10 |
Deine ausgewogene Darstellung hat mir gut gefallen, balou; die Aussagen zu den 68ern kann man gut an Schlinks "Vorleser" nachvollziehen.
Noch mehr aber als APO, später Fundis und andere, sagen wir: Visionäre leben viele, aber beileibe nicht die Mehrheit der Jugendlichen, "gestärkt" durch die "rosigen Zukunftsaussichten" in einer Traum- und Schattenwelt; die Woche über schleppen sie sich trübe und übellaunig in die Schule, "gelebt" wird am Wochenende: LAN-Party, Szene-Kneipen, private Saufgelage (hängt vom Taschengeld und vom Freundeskreis ab)...
Ich habe lange gedacht, dass Brochs "Schlafwandler" Figuren der vorletzten Jahrhundertwende seien, doch jetzt kenne ich viele aus der Oberstufe, die, aus welchen Gründen auch immer, in einem Niemandsland zwischen der Flucht in eine Verlängerung der Kindheit und einem stumfen Hinnehmen der Alltagsanforderungen leben.
Das Warten auf den Traumjob gehört für die einen ebenso zum Alltag wie die Flucht in Nebenbeschäftigungen und Hobbies für die anderen.
Vielleicht trifft das, was ich umreiße, eher auf Gymnasiasten als auf Hauptschüler zu, doch ich denke, dass diese Sucht nach Selbstbestätigung in Randtätigkeiten auch dort zu finden ist: Das blitzschnelle Aufstapeln und Zusammenstecken von Bechern, das Versenden von 100 SMS am Tag mit fliegenden Fingern, das Modden von PC und andere bestaunenswerte Fähigkeiten sind leider nicht kompatibel mit der Suche nach einer passenden Ausbildung.
Liebe Grüße,
oblong |
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